Mario Fortunato: "Die Entdeckung der Liebe und der Bücher"
Mario Fortunato erzählt von seiner Kindheit in einem süditalienischen Dorf am Meer, von seiner Schulzeit, seinem Philosophiestudium in Rom und von seinen frühen Liebesabenteuern. In erster Linie ist sein Buch jedoch eine Liebeserklärung: Eine Liebeserklärung an die Bücher, die ihm zunächst helfen, der Enge des kalabrischen Provinzalltags zu entfliehen und die dann ständige Lebensbegleiter bleiben. So erklärt der Autor im Vorwort: "Hier spricht ein Leser, der seine Verehrung all jenen Büchern erweist, die sein Leben bereichert haben. Und weil der Leser ein junger Mann ist, der mit der Entdeckung seiner Liebe zu Büchern auch sich selbst und das Leben entdeckt, ist dieses Buch gleichzeitig die Erzählung eines Lebens."
Der Erzähler fühlt sich von klein auf zu anderen Jungen hingezogen - zu Cecé und Sergio, beide Nachbarkinder, aber auch zu einem jungen Maurerlehrling am Strand, mit dem er kein einziges Wort wechselt, der ihn aber dennoch fasziniert. Sehr früh wird er sich seiner Homosexualität bewusst. Als er im Wörterbuch das Wort "homosexuell" nachblättert, hat er den Eindruck, "dass die Große Enzyklopädie seinen Gefühlen und Empfindungen für Cecé nachgeschnüffelt und sie in eine kalte, überhebliche Sprache gebracht hat."
Negative Seiten seines "Andersseins" erlebt er erst später, als Student. Nach dem Tod seines ersten Lebensgefährten fährt er voll Trauer aus Rom zurück zu seiner Familie nach Kalabrien. Er hofft auf Trost. Doch seine Eltern und Verwandten verstehen seine Trauer nicht, sie messen ihr nicht den gebührenden Stellenwert zu. Ich dachte: Wenn die Frau oder die Verlobte meines Bruders gestorben wäre, wäre das eine Tragödie. Hier stirbt mein Gefährte, mein Freund, mein Geliebter, und sie sagen "Denk nicht dran" oder "Das wird schon wieder" oder "Du darfst es dir nicht zu Herzen nehmen". Das sagen sie dir, das bekommst du zu hören."
Trost findet er schließlich bei Büchern. Diese stellen eine Art Lebenselixier für ihn dar. Sein erstes bedeutsames Leseerlebnis hatte der Erzähler als Schuljunge, bei der Lektüre von Prousts "Auf der Suche nach der verlorenen Zeit". Diesem Autor fühlte er sich in irgendeiner Weise verbunden, ohne genau zu wissen, warum. Ähnliche Schlüsselerlebnisse hat er später bei Truman Capote, Thomas Mann, William Somerset Maugham, Michel Tournier, André Gide, Roland Barthes, Virginia Woolf, James Purdy, Ingeborg Bachmann, Pier Vittorio Tondelli und Natalia Ginzburg. Texte dieser Autoren lässt Fortunato an den passenden Stellen in seine Erzählung einfließen. Er kommentiert sozusagen seine eigene Entwicklung durch Passagen aus seinen Lieblingsromanen. Diese sind so gewählt, dass sie Lust zum weiter- oder wiederlesen machen. Womit es der Autor schafft, seine Lesebegeisterung auf den Leser zu übertragen.
(dtom; 1/2002)
Mario
Fortunato: "Die Entdeckung der Liebe und der Bücher"
Verlag Klaus Wagenbach, 2001. 140 Seiten.
ISBN 3-8031-2395-X. ca. EUR 8,90. Buch
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Ein weiteres Buch des Autors:
Mario
Fortunato: "Spaziergang mit Ferlinghetti. Essays"
Aus dem Italienischen von Jan Koneffke.
Schöffling & Co., 08.08.2011. ca. 352 Seiten.
Mario Fortunato
unternimmt einen Streifzug in die jüngste Vergangenheit, als
die Welt sich veränderte und mit ihr ein literarisches
Universum unterging.
Er schildert Persönlichkeiten,
Szenen, reale Orte und Orte der Gefühle: Rom, Berlin, New
York, Tanger, London. Er erzählt wie in einem Roman von
Beziehungen, Leidenschaften, Streitigkeiten, Trennungen, neuen
Begegnungen mit:
Jorge
Luis Borges, der Menschen an ihren Händen erkennt.
Matt Dillon, der aus Neugier anruft, während Franco Fortini um
sieben Uhr morgens telefonisch in den Schlaf platzt. Außerdem
Giulio Einaudi, der mit Nanni Moretti zusammen Hühnchen isst,
Salman
Rushdie, der sich in seiner Wohnung verkrochen hat, Natalia
Ginzburg, die Angst hat, vor Publikum zu sprechen, während
Doris
Lessing den Autobus nach Monreale nimmt. Oder David Grossman,
umgeben vom Spielzeug seiner Kinder, Joseph Brodsky, der in seiner
Nobelpreisrede die Schwulen begrüßt, und Alberto
Moravia, der in einem Augenblick der Zerstreutheit stirbt.
Paul Bowles, der an Einsamkeit leidet, und Colin Firth, der öffentlich an Berlusconi
appelliert.
Mario Fortunato, geboren 1958, studierte Philosophie in
Rom.
Er ist Publizist und Verfasser von Gedichten, Erzählungen und
Romanen. Von 2000 bis 2004 war er Direktor des Italienischen
Kulturinstituts in London; gegen seine Absetzung durch Silvio
Berlusconi aufgrund seiner Homosexualität erhob sich
internationaler Protest. Sein Roman "Unschuldige Tage im Krieg" kam auf
die Kurzliste des "Premio Strega" und wurde mit dem "Mondello e Super
Mondello" ausgezeichnet.
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