Kerstin Beck: "Verschleierte Flucht"
Die Geschichte meiner Flucht aus der DDR nach Pakistan
Abenteuerliche Autobiografie,
Reisebericht und Zeitdokument in einem
Kerstin Beck, 1960 in Gera geboren, studierte an der Ostberliner Humboldt-Universität
Asienwissenschaften und legte ihren Schwerpunkt auf Afghanistan. Diese Wahl
traf sie nicht ohne Grund: Schon lange missfiel ihr das politische System der
DDR; sie wollte unbedingt in die Bundesrepublik fliehen, wusste aber, dass dies
über die innerdeutsche Grenze fast unmöglich war. Es schien ihr realistischer,
einen Studienaufenthalt in Afghanistan zur Flucht nach Pakistan zu nutzen.
Tatsächlich konnte sie 1983/1984 ein halbes Jahr als Gaststudentin in Kabul
verbringen. Allen Restriktionen zum Trotz suchte und fand sie dort rasch Kontakte
zu Afghanen, die sich bereit zeigten, ihr bei der Flucht zu helfen.
1984 war Afghanistan seit vier Jahren von den
Sowjets besetzt, die einen unerbittlichen
Terrorkrieg gegen die Bevölkerung und aufständische Mudschahedin führten. Der
Umstand, dass Kerstin Beck dem Kommunismus den Rücken wenden wollte, machte
sie in den Augen der Mudschahedin zu einer Verbündeten.
Sie suchte auch diskret Hilfe in der Botschaft der Bundesrepublik, die aber
scheinbar verweigert wurde. Im Hintergrund begannen allerdings die Geheimdienste,
diverse Strippen zu ziehen - wovon Kerstin Beck erst nach ihrer Flucht erfuhr.
Afghanische Bekannte brachten sie heimlich aus Kabul fort; anschließend überquerte
sie mit vier Mudschahedin und als Muslima verkleidet - daher der Titel - zu
Fuß und auf dem Pferderücken das verschneite Hindukusch-Gebirge und gelangte
tatsächlich nach
Pakistan, ein lebensgefährliches und strapaziöses Unternehmen. Und auch
in Pakistan war das Abenteuer nicht vorüber: Man hielt sie für einen russischen
Spion in Frauenkleidern, sie wurde zu einer Art Faustpfand für eine Mudschahedin-Untergruppe,
deren Kommandant sie zudem unbedingt heiraten wollte, und hinter den Kulissen
pokerten die Geheimdienste um sie.
Nicht nur ihr, sondern auch dem Leser erscheint es wie ein Wunder, dass sie
schließlich doch in die Bundesrepublik einreisen und dort ein neues Leben in
Freiheit beginnen konnte.
Kerstin Beck hat mit diesem Buch nicht nur eine packende autobiografische Erzählung
verfasst. Sie erklärt auch die Vorgeschichte,
Hintergründe
und Folgen des sowjetisch-afghanischen Krieges, der hierzulande mangels
der heute üblichen Medienpräsenz eher wenig Beachtung fand, und zeigt auf, in
welch grauenvoller Weise die afghanische Bevölkerung von der Sowjetarmee terrorisiert
wurde. Frau Beck bringt dem Leser die Kultur des stolzen, patriotischen afghanischen
Volkes mit seiner Hilfsbereitschaft und grenzenlosen Gastfreundschaft nahe und
weckt ein gewisses Verständnis für die Mudschahedin, die für die Unabhängigkeit
ihres Landes kämpften und noch heute kämpfen - wobei sie klar hervorhebt, dass
Auswüchse wie das Taliban-Regime mit der von ihr tief respektierten Lehre des
Islam nicht gerechtfertigt werden können.
Spannend und informativ fand ich zudem die abschließende Schilderung der geheimdienstlichen
Vorgänge hinter den Kulissen, von denen Kerstin Beck natürlich erst nach ihrer
Flucht erfuhr.
Auch der geschickte Aufbau macht das Buch zu einem packenden Leseerlebnis: Subjektive
Erzählung im Tagebuchstil wechselt mit Abdrucken geheimdienstlicher und gerichtlicher
Dokumente (die nach der "Wende" zugänglich wurden) sowie Schilderungen von zeitgleich
stattfindenden Vorgängen "außerhalb", etwa geheimdienstlichen Ermittlungen.
Geschickt eingearbeitete Rückblenden begründen die Motivation der Autorin ebenso
wie den Afghanistan-Bezug durchs Studium.
Der Stil ist angenehm unkompliziert, die Sprache eindringlich, doch nicht zu
emotional gefärbt; es gelingt der Autorin, sehr eindrucksvolle Stimmungsbilder
zum Beispiel von der Gebirgslandschaft, aber auch von den schlichten Unterkünften
und ihren zwischenmenschlichen Begegnungen zu zeichnen. Informationen werden
in klarem, sachlichem Stil übermittelt. Erfreulich: Das Buch ist praktisch frei
von Rechtschreib- und Zeichensetzungsfehlern - angesichts der zunehmenden Schludrigkeit
mancher Verlage ist dieser Umstand eine Hervorhebung wert.
Fazit: Ich kann Kerstin Becks "Verschleierte Flucht" uneingeschränkt empfehlen.
(Regina Károlyi; 04/2005)
Kerstin Beck: "Verschleierte Flucht"
Ullstein, 2005. 270 Seiten.
ISBN 3-550-07611-8.
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