Leonard Mlodinow: "Feynmans Regenbogen"
Die Suche nach Schönheit in der Physik und im Leben
Was
Physiker an der Physik und am Leben fasziniert
1981, California Institute of Technology (Caltech): Der Verfasser, ein
junger Stipendiat auf der Suche nach seiner beruflichen und
persönlichen Zukunft, trifft auf einen lebenden Mythos seines
Fachs, Richard Feynman, Nobelpreisträger und Verfasser
spannender populärwissenschaftlicher Bücher. Eines
dieser Bücher hat seinerzeit den Verfasser veranlasst, Physik
zu studieren.
Mlodinow erhielt sein Stipendium aufgrund der viel versprechenden
Ansätze in seiner Doktorarbeit und einigen weiteren
Veröffentlichungen. Doch in seiner ersten Zeit am Caltech, der
wohl bedeutsamsten Forschungsstätte der Welt, martern ihn
Selbstzweifel und die Frage, worüber er überhaupt
forschen soll. Fast zwangsläufig sucht er die Nähe
des Mannes, dessen Buch ihm zum Wegweiser wurde. Feynman ist bereit,
aus seinem reichen Erfahrungsschatz etwas abzugeben, auch wenn er kein
Patentrezept liefern kann und will. In Mlodinows Buch wird die
vorsichtige Annäherung der beiden geschildert: Der junge, vom
Erwartungsdruck überforderte Hoffnungsträger und die
bereits todkranke Koryphäe, die mit Zufriedenheit
zurückblickt und dennoch längst nicht mit dem Leben
abgeschlossen hat, legen ihre Standpunkte und Erfahrungen dar. Es
dauert bis über Mlodinows Zeit am Caltech hinaus, die Weisheit
Feynmans ganz zu begreifen und die Tatsache, dass der berühmte
Physiker vor allem deshalb so erfolgreich war, weil er Zeit seines
Lebens ein wissbegieriges, verspieltes Kind blieb.
Um Physik geht es in diesem bemerkenswerten Buch natürlich
auch. Der Autor umreißt in groben Zügen und gut
verständlich die Suche nach der einheitlichen Feldtheorie
für die vier Grundkräfte der Natur - die schwache und
die starke Kraft sowie die elektromagnetische Kraft und die Gravitation
- und erklärt die Schritte auf diesem Weg, zum Beispiel die
Entwicklung der
Quantentheorie und ihren Konflikt mit
Einsteins
Relativitätstheorie, die Entdeckung der Quarks als
Bestandteile der Nukleonen (Atomkernbausteine) und die Stringtheorie,
mit deren Hilfe möglicherweise eine einheitliche Theorie
erstellt werden kann.
Wesentlich ist aber die Verbindung von Physik und Leben. In diesem
Zusammenhang werden einige sehr unterschiedliche Physiker des Caltech
und ihre jeweilige Arbeitsweise porträtiert, zum Beispiel der
Entdecker der Quarks, Murray Gell-Mann, John Schwarz, der allen
Widerständen zum Trotz die Stringtheorie über viele
Jahre weiter verfolgte, und natürlich Richard Feynman. Und es
ist Feynman, der den Autor schließlich begreifen
lässt, warum Physiker gar nicht anders können, als
sich mit Physik zu befassen: Die Physik bildet die Schönheit
der Natur ab; Physik und ästhetisches Empfinden sind nicht
voneinander zu trennen. Exemplarisch für Feynmans Weltbild
steht die
Episode,
die für den Titel Pate stand: Der unglückliche
Mlodinow und Feynman betrachten einen Regenbogen. Feynman
erklärt, Descartes sei der Erste gewesen, der den Ursprung des
Regenbogens korrekt erklärt habe, und fragt den jungen Mann,
was Descartes zu seiner mathematischen Analyse inspiriert haben
möge. Mlodinow sucht nach allerlei naturwissenschaftlichen
Argumenten, die Feynman lässig beiseite wischt mit der
Erklärung:
"Ich würde sagen, seine Inspiration war, dass er
Regenbögen wunderschön fand."
Feynman lehrt seinen Adepten auch, dass gute und erfolgreiche Arbeit
nur leisten kann, wer tut, wovon er auf selbstverständliche
Weise überzeugt ist und woran er glaubt. Diese Hilfe hat sich
der Autor offensichtlich zu Herzen genommen, denn er ist unter anderem
Autor erfolgreicher Filme und populärwissenschaftlicher
Fernsehsendungen geworden.
"Feynmans Regenbogen" bietet einen außergewöhnlichen
Einblick in das Denken eines der angesehensten Forscher unserer Zeit -
und mehr: Es macht die Beschäftigung mit der Physik begreifbar
als eine Philosophie, eine Denkart, eine Lebensform. Damit ist dieses
Buch in der Lage, beim Leser das Bild einer trockenen,
unverständlichen Wissenschaft mit furchtbar vielen Formeln und
Gleichungen, wie es leider allzu oft in der Schule vermittelt wird,
durch einen herzerwärmend lebendigen Eindruck zu ersetzen.
Die Übersetzung trifft den Originalstil ganz
vorzüglich, wie ich ein paar englischen Auszügen
entnehmen konnte; der leichte, fast plaudernde Ton bleibt erhalten,
ohne dass der Eindruck von Oberflächlichkeit entsteht.
Hervorzuheben sind auch die meines Erachtens völlig
fehlerfreie (!) Umsetzung und die ansprechend schlichte und hochwertige
Ausstattung. "Feynmans Regenbogen" füllt inhaltlich eine
Lücke und ist vom Verlag als rundum empfehlenswertes Buch
realisiert worden.
(Regina Károlyi)
Leonard
Mlodinow: "Feynmans Regenbogen"
Übersetzt
von Michael Schmidt.
rororo, 2007. 208 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Leonard Mlodinow im Sandammeer-Interview ...
Ein
weiteres Buch des Autors:
"Wenn Gott würfelt oder Wie der Zufall unser Leben bestimmt"
Unser Wohlstand, unsere Erfolge, unsere Karrieren, unser ganzes Leben:
Der
Zufall bestimmt dies alles viel stärker, als wir es wahrhaben
wollen. Meist
machen wir uns Illusionen über seine Rolle. Aber er folgt
Gesetzen, die man
berechnen kann. Und wer sich traut, genau hinzuschauen und dem Zufall
eine
Chance zu geben, der - so zeigt der Autor in diesem brillant
geschriebenen
Buch - gewinnt an Klugheit und trifft seine Entscheidungen mit tieferer
Einsicht. Leonard Mlodinow nimmt den Leser mit auf eine Reise durch das
Universum von
Zufallsforschung, Wahrscheinlichkeitslehre und Statistik - und
eröffnet ihm zugleich eine neue Sicht auf die Welt um
ihn herum. (Rowohlt)
Buch
bei amazon.de bestellen
Deepak Chopra,
Leonard Mlodinow: "Schöpfung oder Zufall? Wie
Spiritualität und Physik die Welt erklären. Ein
Streitgespräch"Zwei
Erfolgsautoren im Streitgespräch über die
großen Fragen unseres Lebens
Ein führender Wissenschaftsautor und eine herausragende
spirituelle Persönlichkeit diskutieren über Kosmos,
Evolution, Leben, Geist und Gott.
Wissenschaft erforscht die Welt, wie sie sich den fünf Sinnen
und dem Verstand zeigt; Spiritualität betrachtet das
Universum
als absichtsvoll und durchdrungen von Sinn.
Entsprechend gibt es unterschiedliche Antworten bei grundlegenden
Fragen wie "Was ist Leben?", "Wie ist das Universum entstanden?", "Wie
sind Gehirn und Geist verbunden?", "Ist Gott eine Illusion?".
Die beiden bekannten Autoren
Deepak
Chopra und Leonard
Mlodinow (Co-Autor
von Stephen Hawking) nähern sich diesen Fragen von
zwei Seiten: von der naturwissenschaftlichen und der spirituellen. Wer
hat Recht?
In einer Zeit des Übergangs, in der die alten
religiösen Sicherheiten bröckeln, aber auch die
Wissenschaft im Zeitalter der
Quantenphysik
die Grenzen des materiellen Weltbildes berührt, ist die
Diskussion der beiden Autoren hoch aktuell. Kann Spiritualität
die Lücke ausfüllen, die die Kirchen hinterlassen?
Und ermöglicht die Quantenphysik einen Brückenschlag
zwischen Geist
und Materie? Ein spannendes Debattenbuch in der Tradition der
großen Brückenbauer zwischen Wissenschaft und
Spiritualität. (Arkana)
Buch
bei amazon.de bestellen
Leseprobe:
Wir näherten uns dem Physikgebäude. In der Ferne
erblickte ich Feynman. In den letzten paar Tagen hatte ich nach ihm
Ausschau gehalten und gehofft, ihm ganz beiläufig
über den Weg laufen zu können. Ich wollte wissen, ob
er noch mit mir redete. Ich sagte zu Constantine, ich würde
ihn später besuchen. Dann ging ich hinüber zu Feynman.
Als ich ihn erreichte, betrachtete er gerade einen Regenbogen. Sein
Gesicht wirkte angespannt, als ob er sich konzentrierte. Als
hätte er noch nie einen Regenbogen gesehen. Oder als
wäre es vielleicht sein letzter.
Vorsichtig näherte ich mich ihm.
"Professor Feynman. Hallo", sagte ich.
"Schauen Sie, ein Regenbogen", sagte er, ohne mich anzusehen. Ich war
erleichtert, als ich in seiner Stimme keine Spur von
Verärgerung mehr bemerkte.
Gemeinsam starrten wir den Regenbogen an, der ziemlich beeindruckend
wirkte, wenn man stehen blieb, um ihn anzuschauen. Was ich
normalerweise nicht tat - damals.
"Ich frage mich, was
die
alten Griechen wohl von Regenbögen hielten", sagte
ich grüblerisch. Viele Mythen beruhten auf Sternen, aber ich
dachte, Regenbögen müssen genauso geheimnisvoll
gewirkt haben.
"
Das ist eine Frage für Murray", erwiderte er. Eines Tages
testete ich Feynmans Aussage und fragte Murray. Natürlich
stellte ich fest, dass Murray eine wahre Enzyklopädie war,
wenn es um eingeborene und antike Kulturen ging. Er sammelte sogar
Artefakte. Von ihm erfuhr ich, dass die Navajos im Regenbogen ein
Glückszeichen erblickten, andere Indianer hingegen eine
Brücke zwischen den Lebenden und den Toten. Ich verstand die
Namen dieser Indianer nicht ganz, weil Murray sie so authentisch
aussprach, dass man sie nicht verstand.
"Ich weiß nur", fuhr Feynman fort, "dass nach einer Legende
Engel seine Enden vergolden und nur ein nackter Mann ihn erreichen
kann. Als ob ein nackter Mann nichts Besseres zu tun hätte",
sagte er mit einem zweideutigen Lächeln.
"Wissen Sie denn, wer als Erster den wahren Ursprung von
Regenbögen erklärt hat?", fragte ich ihn.
"Das war Descartes", erwiderte er. Nach einem Augenblick sah er mir in
die Augen. "Und welches Hauptmerkmal des Regenbogens inspirierte
Descartes wohl zu seiner mathematischen Analyse?", wollte er wissen.
"Na ja, ein Regenbogen ist eigentlich ein Kegelschnitt, der als Bogen
der Spektralfarben erscheint, wenn Wassertröpfchen vom Licht
der hinter dem Betrachter stehenden
Sonne
beleuchtet werden."
"Und?"
"Ich nehme an, die Inspiration war die Erkenntnis, dass das Problem
analysiert werden konnte, indem man ein einzelnes Tröpfchen
und die Geometrie der Situation untersuchte."
"Sie übersehen ein entscheidendes Merkmal des
Phänomens", widersprach er.
"Gut, ich geb's auf. Was hat ihn also Ihrer Meinung nach zu seiner
Theorie inspiriert?"
"Ich würde sagen, seine Inspiration war, dass er
Regenbögen wunderschön fand."
Ich blickte ihn einfältig an.
Er blickte mich an.
"Wie läuft's mit Ihrer Arbeit?", erkundigte er sich dann.
Ich zuckte mit den Schultern. "Eigentlich läuft da gar
nichts." Ich wünschte, ich wäre wie Constantine. Bei
ihm lief alles wie geschmiert.
"Darf ich Sie mal was fragen? Denken Sie an Ihre Kindheit
zurück. Für Sie liegt sie ja nicht allzu weit
zurück. Waren Sie als Kind schon vernarrt in
Naturwissenschaften? Waren sie Ihre große Leidenschaft?"
Ich nickte. "Solange ich zurückdenken kann."
"Für mich auch", erwiderte er. "Vergessen Sie nicht, sie
sollen Spaß machen." Und mit diesen Worten ging er weiter.