Péter Esterházy: "Eine Frau"
Brust oder Keule - nach
Esterházy-Art
Geometrische Konstruktionen in und aus Schamdreiecken
Brüste und Schenkel, Schweißgeruch, Schwanz und Möse sind die Hauptzutaten für 97 Kurzkapitel zum Thema "Beziehungen" - zumindest verkündet der Buchdeckel Letzteres. Was sich dann auf den etwas mehr als 200 Seiten findet, sind die tagebuchartigen Notizen eines Augenblickspräparators, der Sinneseindrücke zu konservieren versucht; die Wiedergabe der Erlebnisse eines Ich-Erzählers, der sich vorwiegend über seine Bezugspersonen und seine Wirkung auf diese zu definieren scheint.
Jedes Kapitel beginnt mit einer Variation von "Es gibt eine Frau. Sie liebt mich." bzw. "Es gibt eine Frau. Sie hasst mich.", daran anschließend entspinnen sich Schilderungen und Berichte von zwischenmenschlichen Begegnungen, Aufzeichnungen von Unterhaltungen, gelegentlich auch historische und politische Überlegungen. Das Wort "Frau" scheint in diesem Buch als Bezeichnung alles Anderen, Fremden, Unverständlichen schlechthin herhalten zu müssen, und im Grunde genommen handeln die Kapitel von zeitgenössischen Versagensängsten und der Sehnsucht nach wirklicher Nähe, die lichterloh in den Menschen brennt. Die salopp präsentierte Dualität von Liebe und Hass vereinfacht jedoch bekanntlich zu sehr, und so relativiert der Erzähler selbst seine einleitende Schwarzweißmalerei, indem er das Lieben und das Hassen jeweils sowohl zu ergründen als auch zu begründen sucht und die innewohnende Verkomplizierung durch vorzugsweise peinlich (wörtlich gemeint!) genaue Beschreibungen illustriert. Dazu wird das Wirrwarr aus Brüsten und Schenkeln mit tüchtigen Spritzern Samenflüssigkeit wie auch Panik angesichts der Vergänglichkeit des Fleischlichen, verpackt in Frischhaltekapitel mit Isolierverschlüssen gewürzt, wodurch eben jene Leichtigkeit auf der Strecke bleibt, derer Beziehungen unbestritten bedürfen. Man könnte so weit gehen, dieses Werk als "Safer Sex-Literatur" zu bezeichnen, denn der Ich-Erzähler kann oder will sich nicht entscheiden, alle Hüllen fallen zu lassen und verbleibt geschützt in seiner ummantelten Befindlichkeit, als würde der Erregung keinerlei befreiende Entladung zugestanden.
Esterházy beabsichtigte bestimmt, allerhand Gescheites in möglichst kurze Kapitel zu pferchen, und stellenweise ist dieses Unterfangen sogar als geglückt zu bezeichnen; etwa wenn er das Grübeln des Ich-Erzählers in schummrige Winkel der menschlichen Triebstruktur wuchern lässt. Doch leider wird die mögliche Entwicklung allzu oft und leicht von der Zuflucht zum nächsten Orgasmus blockiert, und sogar die zahlreichen Momente der sexuellen Aktivität erstarren in hochtrabender Sprache (oder würden Sie es als alltäglich bezeichnen, beispielsweise den Orgasmus mit den Worten "du, du Ombudsfrau, du" herauszuschreien?). Andererseits ist das gedankliche Verharren des Ich-Erzählers in den Niederungen des Alltäglichen kein Wunder, denn sein Kopf steckt häufig zwischen weiblichen Schenkeln, geliebten wie gehassten, die geleckt, bestaunt, gestreichelt bisweilen auch gebissen werden.
Das Menschen Verbindende liegt neben dem Trennenden auf dem schriftstellerischen Seziertisch, und obwohl man sich lesenderweise sozusagen hautnah am Geschehen befindet, will keine rechte Nähe zum Dargestellten aufkommen. Zu deutlich tritt des Autors Bestreben hervor, sich mit ungenügenden Stilmitteln an der Mannigfaltigkeit sexueller Anziehungskraft und erotischer Spannung zu schaffen zu machen und den Geschlechtsakt auf diese Weise als Zentrum gesellschaftlicher Probleme darzustellen. Der Stillstand selbst wird jeweils als Momentaufnahme eingefroren, der Ich-Erzähler verharrt überwiegend in einer urteilenden Voyeuristenrolle, wenn er z. B. die Ausführungen über die Einstellung der Menschen zu ihren eigenen Körpern sowie jenen ihrer Partner mit einem doch als verächtlich zu bezeichnenden Ton unterlegt.
Der Aussage mancher Rezensenten, dass "Eine Frau" ein "erotisch-textliches Experiment" sei, kann somit wahrlich nicht ohne Vorbehalte zugestimmt werden. Experiment: ja. Doch ob oder inwieweit sich der Leser mit der Funktion eines Erotik-Katalysators zufrieden gibt, bleibt unklar, denn Esterházy schreibt schlicht und ergreifend nicht organisch genug, um ein gieriges Verlangen nach erotisierenden Zeilen zu befriedigen. Seine Art, Sexszenen zu schildern, lässt einen vollkommen kalt, und auch die vorhin bereits erwähnten peinlich genauen Beschreibungen führen zum Erschlaffen zumindest des Interesses am geschilderten Coitus. Wendungen wie "Eiter ist ihr wichtigster Körperteil", "heitere Brüste", "rätselhafte Zähne", das "ekelhafte Weiß des Fleisches", "brüchige Zehennägel", "summende Schenkel" mögen noch einigermaßen erträglich sein, die "Rose des Mastdarms" als Bezeichnung für den Schließmuskel und "diamantene Achse der Welt" als Ausdruck für das männliche Geschlechtsorgan klingen hingegen gelinde gesagt wie Ladenhüter aus "1001 Umnachtung" und stehen tendenziell der angestrebten Lustentfaltung entgegen. Esterházy verwendet einmal die Formulierung von der "demütigenden Kluft zwischen Wunsch und Wirklichkeit" - Erotik spielt sich bekanntlich auch, und manche meinen sogar hauptsächlich, im Kopf ab; ohne gesprochene Worte also. Warum sich also demütigen (lassen)? Negativ empfundene Leere und Langeweile entspringen dem eigenen Denken, daran ändern auch die heitersten Brüste und die samtigsten Schenkel nichts!
(Felix; 11/2002)
Péter
Esterházy: "Eine Frau" Peter
Esterhazy
(Originaltitel
"Egy nö")
Aus dem Ungarischen von Zsuzsanna Gahse.
Berliner
Taschenbuch Verlag, 2002. 208 Seiten.
ISBN 3-4427-6123-9.
ca. EUR 8,90.
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Ergänzender Buchtipp, sozusagen das "Gegenstück":
Anna Kaleri: "Es gibt diesen Mann"
Erzählungen
Jede von Anna Kaleris Geschichten über Männer beginnt
mit dem Satz: "Es gibt diesen Mann." Diese Feststellung ist wichtig,
denn dieser Mann ist ein abgründiges Wunderwesen:
"Er ist Katholik. Bis zu dieser Entdeckung war alles harmonisch."
"Er redet treffsicher über
das Ewig Weibliche,
nur in Detailfragen gerät er mitunter ins Schwanken."
"Er liebt es, inmitten von Menschenmillionen gefangen zu sein. Er
fühlt sich in den stumpfsinnigen Gedärmen von
Großstädten wohl."
"Er lacht sich tot, wenn ich singe, denn fast alle Lieder, die ich
kenne, handeln von Bäumen."
"Er hat einen Vogel. Einen verdammt schwarzen."
"Den Rosenverkäufer schickt er höflich und routiniert
vom Tisch."
Und was sagt die Frau in diesen Geschichten dazu: "Ich bin modern und
erwarte von keinem Mann, für fünf Mark romantisch zu
sein." Allerdings fände sie es schon besser, wenn dieser Mann
kein Katholik wäre, nicht so selbstsicher vom Ewig Weiblichen
spräche, sich nicht von Menschenaufläufen gefangen
nehmen lassen würde oder sich in einen schwarzen Vogel
verwandelte. Nach "frostigen Nächten steht aber doch eine
Rose
in betäubendem Rot auf dem Tisch", und die Frau in Anna
Kaleris Geschichten sucht in all den Männern doch den Mann,
den sie lieben könnte.
(Luchterhand, 2003. 144 Seiten.)
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