Andreas Eschbach: "Der Nobelpreis"
Der gekaufte Ruhm
"Mit einfachen Worten gesagt, der einzige Weg, auf dem wir uns der Wahrheit nähern können, ist der, die Zahl unserer Illusionen zu verringern." |
(Sofía Hernández Cruz in "Der Nobelpreis") |
Der Nobelpreis, die höchste Auszeichnung auf den Gebieten Physik, Chemie, Physiologie oder Medizin,
Literatur
und für Friedensbemühungen, geht auf den schwedischen
Erfinder und Industriellen Alfred Nobel zurück. Dieser
verfügte in seinem Testament die Einrichtung einer Stiftung, die
sich der Aufgabe widmen sollte, unabhängig von nationalen
Zugehörigkeiten, Preise an diejenigen zu vergeben, deren Werke der
Menschheit im jeweils vergangenen Jahr den größten Nutzen
brachten.
Nach seinem Tod im Jahre 1896 brauchte es einiges an Vorbereitungszeit
bis die Nobel-Stiftung gegründet wurde. Seit 1905 erarbeiten
Nobelkomitees jährlich in geheimen Auswahlverfahren Vorschläge, die sie
den Entscheidungsgremien vorstellen. Im Falle des Nobelpreises für
Physiologie oder Medizin entscheidet die Nobelversammlung des
Karolinska Instituts in Stockholm über die künftigen Preisträger. Die
Preisvergabe erfolgt in einer ehrwürdigen Veranstaltung, an der das
schwedische Königshaus und die bisherigen Preisträger beteiligt sind.
Andreas Eschbach erläutert in den ersten beiden Kapiteln seines
Romans ausführlich die Entstehungsgeschichte und die
Modalitäten für das Auswahlverfahren und die Vergabe des
Nobelpreises. Das uralte höfische Zeremoniell beeindruckt
Preisträger und Weltöffentlichkeit gleichermaßen.
Eschbach bereitet die Leser mit diesem Einstieg auf das Unerhörte
vor: Ist eine Verschwörung möglich, mit dem Ziel, die
Preisvergabe zu manipulieren?
Damit ist der Rahmen abgesteckt, in dem sich die Geschehnisse abspielen. Eschbach beschreibt ein Szenario, das die Vergabe
der höchsten wissenschaftlichen Auszeichnung in einem anderen Licht erscheinen lässt. Entstanden ist ein spannender
Psychothriller, der nicht nur von den Handlungen selbst lebt.
Professor Hans-Olof Andersson, Mitglied der Nobelversammlung, wird
Geld
angeboten für die Wahl einer bestimmten Kandidatin. Er lehnt
entrüstet ab. Daraufhin wird seine Tochter Kristina entführt.
Bei seinen Nachforschungen wird Andersson schnell klar, dass es um ein
viel größeres Komplott geht, in das Mitarbeiter der Polizei
und zahlreiche Mitglieder des Nobelkomitees verstrickt sind. Ein
Wettlauf mit der Zeit beginnt. Wer könnte Andersson helfen, die
Erpresser ausfindig zu machen und seine Tochter zu befreien?
In seiner Not wendet sich Andersson an seinen Schwager Gunnar Forsberg,
zu dem er seit dem Unfalltod seiner Frau Inga, an dem Andersson Schuld
hatte, ein sehr gespanntes Verhältnis hat. Forsberg sitzt wegen
Einbruchs und Industriespionage im Gefängnis. Andersson erreicht
seine Freilassung und Forsberg macht sich sofort auf die Suche nach
seiner Nichte, an der ihm viel liegt, da sie seine einzige noch lebende
Verwandte ist. Seine zahlreichen Kontakte in die Unterwelt und seine
besondere Fähigkeit, ohne Spuren zu hinterlassen einbrechen und
Firmengeheimnisse ausspionieren zu können, wird gefordert. Aber
Forsberg ist nicht nur Actionheld, er hat auch eine Vorgeschichte, die
ihn und seine Handlungen maßgeblich beeinflussen. So wuchs er
zusammen mit seiner Schwester Inga in einem streng geführten
Waisenhaus auf. Später wohnte er mit ihr zusammen und konnte nie
akzeptieren, dass diese den farblosen Hans-Olof Andersson geheiratet
hat.
Eschbach schreibt flüssig und verständlich. Die
Handlungsstränge werden nicht in mehrere sich von Kapitel zu
Kapitel abwechselnde Parallelgeschichten zerhackt, sondern es handelt
sich um eine durchgängige Erzählung. Im Laufe des Romans
wechselt er von einer berichtenden Erzählform zu einer Ich-Form
(Perspektive von Gunnar Forsberg), ein Wechsel, der nur im ersten
Moment verwirrt.
Kann man "Der Nobelpreis" mit Büchern von Dan Brown vergleichen? An einen solchen
Vergleich muss man differenziert herangehen: Dan Brown schreibt extrem spannend,
jedoch bewegen sich seine Charakterstudien an der Oberfläche. In "Der Nobelpreis"
verläuft der Spannungsbogen flacher als in Büchern wie "Illuminati"
oder "Diabolus",
aber die Psychogramme der Protagonisten einschließlich der daraus ableitbaren
Handlungsmotivation sind plausibel beschrieben. Eschbach arbeitet zahlreiche
persönlichen Konflikte und ihre Vorgeschichten heraus, so dass der Roman auch
unter der Prämisse "Veränderungsprozesse von Menschen" interpretiert werden
kann.
"Der Nobelpreis" ist ein lesenswerter Roman, der spannend geschrieben ist und in dem Handlungs- und
Beziehungsbeschreibungen in einem ausgewogenen
Verhältnis zueinander stehen.
(Klemens Taplan; 10/2005)
Andreas
Eschbach: "Der Nobelpreis"
Lübbe, 2005. 555 Seiten.
ISBN 3-7857-2219-2.
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Hörbuch (gekürzte Lesung; Sprecher: Stephan Benson)
Lübbe, 2005.
ISBN 3-7857-3048-9.
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