Gustav Ernst: "Grado. Süße Nacht"
"Das Geschlechtsleben ist ein Hund. Ich bitte Sie, das nicht misszuverstehen, gnädige Frau, aber ich möchte Ihr Angebot nicht annehmen."
Wie von Gustav Ernst nicht anders zu
erwarten, strotzt auch der vorliegende Roman von einer massiven
Körperlichkeit,
die passagenweise nur schwer erträglich ist. Seine Sprache und vor allem die
Gedanken des Protagonisten triefen vor Deftigkeit und Kraftausdrücken bis hin zu
Gewaltfantasien. Der Sexualakt bzw. dessen Vorspiel, der sich in Gedanken des
Mannes abspielt und die damit verbundenen Vorstellungen, Befürchtungen, Ansinnen
und Wünsche wirken oftmals degoutant, ohne jede Zärtlichkeit und Wertschätzung
gegenüber der möglichen Partnerin.
Das Fleischliche steht im Mittelpunkt,
und der Körper des Gegenübers wird schonungslos seziert von einem Mann mittleren
Alters. In Grado lernt er auf der Strandpromenade eine attraktive Dame kennen
und lädt diese zum Essen in ein gemütliches Lokal ein. Während des fulminanten
Mahls führt der Mann gedankliche Monologe, in denen er sein Gegenüber mit
"Gnädige Frau" tituliert und seinen Fantasien freien Lauf lässt. Der Mann
bekennt sich zur Ablehnung des unausgesprochenen Angebots der Frau zum
Beischlaf. Er sinniert über böse Überraschungen im Hinblick auf Geschlechtsorgane,
die sich erst beim Spreizen der Beine offenbaren. Er spricht von der
anstrengenden und vernichtenden Bewältigungsarbeit anlässlich der Konfrontation
mit ihrer beider Körper und berichtet stolz, dass nicht die schlechtesten Frauen
an seinen Zehen gelutscht hätten, auch wenn diese nicht immer im besten Zustand
gewesen seien.
Die Falten im Gesicht seines Gegenübers beschäftigen ihn
und die Frage, ob ihre Haut am Hals und an den Brustansätzen bereits im
Anfangsstadium des Mürbewerdens steht. Betrachtet man diese Gedankengänge
vorerst noch als durchaus legitim, wenn auch durchzogen von einer
Geringschätzigkeit gegenüber Frauen im Allgemeinen, so erschrecken doch jene
Fantasien, in denen sich der Mann vorstellt, mit welchem zu einer Grimasse
verzogenen Gesicht die gnädige Frau ihm den Dreck von der Eichel schlecken wird.
Grenzwertig die Vorstellung, durch das Nichtwollen der Frau in ihren After
einzudringen, die jeden Respekt gegenüber der Ablehnung der Frau, auch wenn der
Vorgang nur in seinen Gedanken stattfindet, vermissen lässt. Während der Lektüre
erscheint eine dem Abendessen folgende gemeinsame süße Nacht immer
unvorstellbarer.
Gustav Ernst, Jahrgang 1944, trägt die Bezeichnung
"Sprengmeister" zurecht, denn auch "Grado. Süße Nacht" enthält hochexplosiven
Stoff, der für manchen Leser nicht so leicht zu verdauen sein wird. Während der
Lektüre hat sich bei mir immer wieder massive Ablehnung breit gemacht und vor
allem eine vehemente Abneigung dagegen, mit Herren mittleren Alters zu
speisen.
Gustav Ernst wird in Holland als einer der bedeutendsten
experimentellen deutschsprachigen Autoren gehandelt. Neben seinen Bühnenstücken
hat er auch drei Romane, einige Kurzgeschichten und Hörspiele verfasst.
Gemeinsam mit seiner Frau Karin Fleischanderl hat er 1997 die
Literaturzeitschrift "kolik" gegründet.
(Margarete Wais; 08/2004)
Gustav Ernst: "Grado. Süße
Nacht"
Deuticke, 2004. ca. 150 Seiten.
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