Cornelia Tsirigotis, Arist von Schlippe, Jochen Schweitzer (Hrsg.): "Coaching für Eltern"
Elterliche Präsenz, Marte Meo und Systemische Beratung
Seitdem
die "Super-Nanny" ihren Weg von Australien über
Großbritannien auch auf die Bildschirme im deutschsprachigen
Raum gefunden hat, führt dies - zusammen mit allerlei
Pressemeldungen über Familienleben - zu der weit verbreiteten
Ansicht, dass viele Erwachsene mit der
Erziehung
ihres Nachwuchses
überfordert sind. Politikerinnen und Populisten haben
wiederholt eine Art Elternführerschein eingefordert, und immer
öfter wird bei den Jugendämtern der Städte
um "Erziehungshilfe" angefragt. Zum Teil sicherlich aufgrund der naiven
Vorstellung, dass diese Hilfe innerhalb von drei bis vier Werbeblocks
zu bewerkstelligen sein müsste, wie man es ja auch aus dem
Fernsehen kennt. Die Idee eines "Eltern-Coachings" ähnlich dem
Coaching im Managementbereich und in anderen Wirtschaftsbereichen
erscheint darum umso folgerichtiger und verführerischer. Hier
setzen die Beiträge dieser Aufsatzsammlung zum
Familien-Coaching an.
Die Sammlung stützt sich auf vier thematische
Großbereiche. Im ersten Teil geht es dabei um die Frage,
inwiefern Coaching im erzieherischen und familiären Bereich
überhaupt Sinn haben kann. Nicht ganz überraschend
bei einem Buch zu eben diesem Thema wird die Nützlichkeit des
Coachings auf diesem Gebiet als sicher angenommen und unterstrichen.
Die Beiträge von von Schlippe, Loth und Rotthaus zu diesem
eher erkenntnistheoretischen Bereich hinterfragen die Idee darum auch
eher am Rande. Sicher ist allerdings, dass schon bevor es
Pädagogen im modernen Sinn gab, viele Eltern ihre Kinder
ziemlich erfolgreich aufgezogen haben und darum ein parentaler
Instinkt, den die meisten Autoren der vorliegenden Aufsätze
voraussetzen, sicherlich sehr wahrscheinlich ist. (Ein Argument, das
sich seltsamerweise in diesem Buch nicht so explizit wiederfindet.)
Im zweiten Teil des Buches wird das Prinzip der elterlichen
Präsenz näher betrachtet, wobei auch die Idee des
gewaltfreien Widerstands gegen Gewalttätigkeit in der
Erziehung eine große Rolle spielt. In diesem Zusammenhang
werden verschiedene typische Problemfelder der Erziehung aufgezeigt,
wie Absentismus, Drogenkonsum,
Gewalttätigkeit gegen Dinge und
Personen und der Umgang mit einer chronischen Erkrankung wie etwa
Diabetes. Es werden Fälle aus der Kinder- und
Jugendpsychiatrie und -psychologie, von Jugendämtern und
anderen erziehungsrelevanten Bereichen zur Illustration vorgestellt,
die durchaus Varianten der Wahrnehmung von Präsenz zeigen.
In den nächsten beiden Abschnitten werden die
Coaching-Konzepte des seit etwa 2002 aufgekommenen "Marte Meo" und der
systemischen Beratung vorgestellt. Während sich Letzteres auf
bereits bewährte Techniken wie Konfliktmanagement im Sinn der
offenen Mediation, Zeitlinie und
Familienaufstellungen
beruft, mit dem
Novum der Sprechchorarbeit von Jochen Schweitzer-Rothers, wird im
"Marte Meo"-Abschnitt dieses Konzept umfänglich dargestellt
und von Peter Bünder in Abgrenzung zu Fernsehprogrammen wie
"Super-Nanny" gebracht - hierbei handelt es sich um das meiner Meinung
nach überflüssigste Kapitel einer Sammlung zur
Erziehungsforschung, das ich je gelesen habe. Der Vergleich eines
Doku-Drama-Formats mit wirklich therapeutisch-beratender Arbeit in
einem Buch wie diesem, das in erster Linie von Praktikern für
Praktiker geschrieben ist, erscheint im günstigsten Licht
niedlich.
"Coaching für Eltern" ist kein Buch zum schnellen Durchlesen
für den interessierten Laien, sondern richtet sich in erster
Linie an Leser, die berufsfeldbedingt bereits über gewisse
Erfahrung in der Arbeit mit erziehungsauffälligen Kindern und
Jugendlichen verfügen. Diese Zielgruppe findet hier eine
Orientierung über den aktuellen Stand ihres Arbeitsfeldes und
gute Hinweise für die Erweiterung ihrer Arbeit.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 10/2006)
Cornelia
Tsirigotis, Arist von Schlippe, Jochen Schweitzer (Hrsg.): "Coaching
für Eltern"
Carl-Auer Verlag, 2006. 288 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Cornelia
Tsirigotis, systemische Familientherapeutin und Supervisorin, Kinder-
und Jugendlichenpsychotherapeutin. Redakteurin der
familientherapeutischen Zeitschrift Systhema. Lien zur Netzseite:
https://www.tsirigotis.de/.
Arist von Schlippe, Prof. Dr. phil., Dipl.-Psych., Professor
für Führung und Dynamik von Familienunternehmen;
Psychologischer Psychotherapeut; Autor zahlreicher Fachbücher,
u. a. "Lehrbuch der systemischen Therapie und Beratung" (zus. m. J.
Schweitzer-Rothers).
Jochen Schweitzer, Prof. Dr. rer. soc., Dipl.-Psych., Professor
für Medizinische Psychologie und Psychotherapie an der
Universität Heidelberg. Psychologischer Psychotherapeut,
Kinder- und Jugendlichenpsychotherapeut.