Jürgen Klein: "Elisabeth I. und ihre Zeit"
Faszinierendes
Zeitgemälde einer "Sternenkönigin"
Von 1558 bis 1603 saß Elisabeth I. auf Englands Thron und
führte in diesen 45 Jahren das Land vom mittelalterlich
geprägten Feudalstaat zur neuzeitlichen Weltmacht. Ihre
Herrschaft verlief blutig, dennoch war die Regentin bei weiten Teilen
der Bevölkerung beliebt. Außenpolitisch sicherte ihr
pragmatischer Kurs, der auf ein Gleichgewicht der Kräfte (balance
of powers) bedacht war, Englands vorrangige Position im
Konzert der europäischen Großmächte ab.
Künste, Wissenschaften und Entdeckungsfahrten blühten
in Elisabeths Regierungsjahren in einem Ausmaß, das
Britannien bis dahin nicht gekannt hatte. Eine ganze Epoche wurde nach
ihr benannt: die elisabethanische.
Jürgen Klein, Professor für Englische
Literaturwissenschaft und Landeskunde an der Ernst-Moritz-Arndt
Universität Greifswald, hat "Elisabeth I und ihre
Zeit" wunderbar porträtiert. Der bei anderen
Historikern oft trockene Stoff über religionsgeschichtliche
bzw. machtpolitische Hintergründe liest sich bei ihm wie ein
Krimi. Wenn Klein über die Throckmorton-Verschwörung
oder den Kampf gegen die spanische Armada schreibt, fühlt sich
der Leser selbst als Beobachter des Geschehens und lebt mit, obwohl
einem der Ausgang der Ereignisse ja bekannt ist.
Jürgen Kleins Buch öffnet Zeitfenster in dies
faszinierende elisabethanische Epoche und lässt frischen Wind
herein, der vielleicht manch verstaubtes England-Klischee
wegbläst. Hier nun ein geraffter Blick in den Windkanal.
Religionswirrwarr
England war in der ersten Hälfte des 16. Jahrhunderts
religiös ein tief gespaltenes Land. Elisabeths Vater, Heinrich
VIII., hatte sich aus persönlichen Gründen vom
Papsttum losgesagt und die Anglikanische Staatskirche mit ihm als
Suprematen gegründet. Klöster wurden enteignet,
katholische Priester in den Kerker geworfen. Religiös
bevorzugte der Tudor-König einen konservativen lutheranischen
Kurs. Sein Nachfolger, Edward VI., setzte hingegen auf den
radikal-protestantischen Calvinismus, während Queen Mary dann
wieder in den Schoß von Mutter Kirche zurückkehrte
und Protestanten zuhauf töten ließ, was ihr den
Titel "Bloody Mary" einbrachte. Elisabeth erlebte dieses Hin und Her am
eigenen Leib. Ihre königliche Halbschwester Mary hatte sie
1554 wegen Anschuldigungen der Ketzerei und Rebellion für ein
Jahr in den Tower geworfen. Als Elisabeth 1558 selbst den Thron
bestieg, versuchte sie die nebeneinander existierenden
Glaubensbekenntnisse unter ein Szepter zu bringen, ein Balanceakt, der
ihr sowohl bei den Rom-treuen Katholiken als auch bei den extremen
Protestanten (Puritanern) viele Feinde bescherte. 1570 exkommunizierte
Papst Pius V. (1566-1572) Elisabeth mittels der Bulle "Regnans
in Excelsis" und entband alle ihre Untertanen der
Treuepflicht zur Monarchin. 1580 kam der Gegenschlag, in dem das
Parlament ein Gesetz verabschiedete, das es allen Engländern
verbot, zum Katholizismus überzutreten. Sixtus V. (1585-1590)
schrieb über Elisabeth voller Bewunderung: "Sie ist
eine große Frau; und wäre sie nur katholisch,
hätte sie nicht ihresgleichen ..."
Widersacherin Maria Stuart
Eine Frau von Größe war auch Maria Stuart,
Königin von Schottland, die verwandtschaftlich
begründete Ansprüche auf Englands Thron geltend
machte. Unterstützt wurden ihre Bestrebungen durch Frankreich,
das traditionell gute Beziehungen
zu Schottland pflegte (The
Auld Alliance). Durch geschickte politische und
militärische Manöver gelang es Elisabeth aber, die
Franzosen von Schottland weitgehend fern zu halten. Zuerst versuchte
Elisabeth, Maria Stuart, durch Heirat mit einem Protestanten, zu
neutralisieren. Als das nicht klappte, wurde Mary, Queen of Scots,
gefangen genommen und blieb bis zu ihrer Hinrichtung am 8.2.1587 lange
18 Jahre in englischer Burghaft.
Während dieser Zeit blieb Maria jedoch nicht untätig.
Durch den Diplomaten Sir Francis Throckmorton korrespondierte sie mit
Bernardino de Mendoza, dem spanischen Gesandten in London,
über Invasions- und Umsturzpläne. Drehscheibe der
"Throckmorton-Verschwörung" von 1583 war aber die
französische Botschaft. Dabei gelang das Kunststück,
dass weder der französische Botschafter, noch der
König von Frankreich davon wussten. Es war ein Komplott Maria
Stuarts gemeinsam mit der Familie de Guise und
Philipp II. von Spanien.
Die Verschwörung flog auf, Throckmorton wurde wegen
Hochverrats hingerichtet, und Mendoza des Landes verwiesen. Damit
spitzte sich der Konflikt mit Spanien zu, während Elisabeth
strategisch klug Frankreich offiziell von allen
Invasionsanschuldigungen draußen hielt. 1584 verbot Elisabeth
Jesuiten und katholischen Seminarpriestern die Einreise nach
England. Diese Geistlichen schürten den Hass auf die
"Ketzerin" und
waren in etliche Attentatspläne verstrickt. Gleichzeitig sah
die Königin aber auch die "Puritaner zunehmend als
subversive Mitglieder der Gesellschaft" an (Klein).
Elisabeth galt zwar von Haus aus als dickschädelig, folgte
aber aus Gründen der Räson in vielen Fragen dem
Ratschlag ihres Geheimen Staatsrates ("Privy Council"), dem Sir William
Cecil, späterer Lord Burleigh, als 1. Sekretär
vorstand. Cecil diente seiner Königin fast vierzig Jahre und
galt als besonnener Stratege. Großer Einfluss kam auch Sir
Francis Walsingham zu. Als Botschafter in Paris hatte er das von den
Katholiken angerichtete Hugenotten-Massaker der
"Bartholomäusnacht" (1572) mit eigenen Augen gesehen. Dieses
Trauma manifestierte sich in seiner Überzeugung, dass England
nicht wachsam genug sein könne, um Ähnliches auf
eigenem Boden zu verhindern. Walsingham ist der Gründungsvater
des Geheimdienstes Ihrer Majestät. Seine Spitzel
überwachten britische Häfen, infiltrierten
katholische Priesterseminare und besorgten Nachrichten aus dem Ausland.
Legendär und mächtig wurden auch Elisabeths
Günstlinge Lord Robert Dudley (Earl of Leicester), Robert
Devereux (Earl of Essex) oder Sir Christopher Hatton, denen die
Königin vor ihrer späteren
"Jungfräulichkeit" körperlich zugetan gewesen sein
soll.
Konflikt mit Spanien
1559 hatte England seine Ansprüche auf Calais aufgegeben. Das
markierte einen Paradigmenwechsel in der Außenpolitik, zumal
damit das primäre Augenmerk von Interessen am
europäischen Kontinent auf die "freie Welt der offenen Ozeane"
umschwenkte. Frankreich trat als Hauptfeind zusehends in den
Hintergrund und machte der damaligen Weltmacht Nummer eins, Spanien,
Platz. Mit dem aus der Neuen Welt herbeigeschifften Gold und Silber
subventionierte der erzkatholische König Philipp II. nicht
zuletzt die Gegenreformation in England. Deshalb kaperten oder
versenkten englische Freibeuter im Auftrag Ihrer Majestät
Elisabeth spanische Galeonen, wo immer es ging.
Ab 1567 unterstütze Elisabeth aktiv den Befreiungskampf der
protestantischen Niederlande gegen die spanischen Besatzer. Der Grund
war rein pragmatisch: Ein endgültiger Sieg der Spanier
hätte Holland nämlich zu einem gefährlichen
Aufmarschgebiet für eine Invasion Englands gemacht. 1585
setzte ein 8.000 Mann starkes englisches Heer unter dem Earl of
Leicester über, um den Niederländern beiseite zu
stehen. Bereits 1580 hatte Spanien Portugal annektiert und damit
alleinigen Anspruch auf die vom Papst ursprünglich beiden
Ländern verbriefte Herrschaft in den Kolonien erhoben. Im
selben Jahr war Sir Francis Drake auf seiner "Golden Hind" von einer
Weltumsegelung reich beladen zurückgekehrt. Die Menge an
Gold,
Juwelen und Gewürzen war so groß, dass die Teilhaber
seiner Expedition eine Rendite von 4.700 % (!) einstreiften.
Drake, von den Spaniern "El Draque" genannt, machte 1588 seinem Namen
alle Ehre, als er als Vizeadmiral der englischen Marine die spanische
Armada besiegte. Diese Invasionsflotte aus 130 Schiffen, 9.000
Soldaten, 1.000 Matrosen und 2431 Kanonen war der bis dahin
schrecklichste seegestützte Heeresaufmarsch, den England je
gesehen hatte. Die Briten stellten dem feindlichen Flottenverband 190
Schiffe entgegen, die kleiner und wendiger und zudem mit besserer
Artillerie bestückt waren. Zudem ließ Drake
Brandschiffe mitten in die Armada treiben. Die den Landkampf
gewöhnten spanischen Entertruppen kamen so nie nahe genug an
den Feind heran, sie wurden in drei Gefechten aus sicherem Abstand
versenkt. Den Rest besorgten raue See, Krankheiten sowie
niederländische Rebellen, die eine spanische Entsatzflotte in
Dünkirchen am Auslaufen hinderten. Mit der Niederlage der
Armada scheiterten sowohl Philipps Invasionspläne in England
als auch alle Rekatholisierungsversuche des Papstes. Englands Aufstieg
zur See- und Weltmacht hatte begonnen.
Herrscherin der Meere
Während Spaniens Bevölkerung unter Philipp II. trotz
der immensen Reichtümer aus der Neuen Welt zusehends verarmte,
etablierte sich im England Elisabeths I. ein wohlhabender Mittelstand.
Und dieser förderte den Überseehandel, der nach
Drakes erfolgreicher Weltumsegelung rapide Zunahmen verzeichnete. Es
entstanden frühe Aktiengesellschaften wie die "Muscovy
Company" (Russlandhandel), die "Eastland Company" (Baltikum), die
"Barbary Company" (Marokko), die "Levante Company" (Mittelmeer) bzw.
die berühmteste von allen, die "East India Company", die ab
1600 gen Fernost schiffte.
Richard Hayklut, Oxford-Absolvent und militanter Protestant, stellte
sich ganz in den Dienst des britischen Welthandels. Wenn Spanien schon
den Süden der Neue Welt dominiere, dann müsse England
den Norden des Kontinents in Besitz nehmen, lautete sein Credo. Er war
die treibende Kraft der englischen Kolonialisierung Nordamerikas.
Verbesserungen im Schiffbau, der Bewaffnung und in nautischen
Fähigkeiten kamen Haykluts "Amerikaprojekt" zugute. Sir Walter
Raleigh, neben Drake wohl bekanntester "Sea Dog" im Dienste der
Königin, legte dann den Grundstein der Kolonie Virginia (in
Anlehnung an die "Jungfräulichkeit" Elisabeths, die nur mit
England selbst verheiratet war).
Goldene Ära für Wissenschaft und Kunst
Im elisabethanischen Zeitalter "erweiterte sich der Horizont
Englands zum Universalen, ob in der Kultur, den Wissenschaften und den
Künsten oder in der Politik", schreibt
Jürgen Klein. Es war ein Spannungsfeld, in dem die
mittelalterliche Scholastik abgelöst wurde; einerseits von den
"geheimen Wissenschaften" (Hermetik, Platonismus) eines John Dee;
andererseits von der empirischen Naturwissenschaft eines Francis Bacon.
Zudem wuchs der allgemeine Bildungsstand im Land.
Gentlemen scholars wie Sir Philipp Sidney wurden zu
Idolen. Er schrieb mit "Arcadia" den "bedeutendsten
englischen Roman" (Klein) jener Zeit und verfasste das
Traktat zur "Verteidigung der Poesie". Edmund Spenser verherrlichte im
Fragment gebliebenen Werk "Faerie Queene" Elisabeth
als märchenhafte Feenkönigin. Christopher Marlowe
nahm sich der "Tragical History of Doctor Faustus"
an. Mit Raleigh u.a. hochgestellten Persönlichkeiten traf er
sich im Gelehrtenzirkel "Schule der Nacht". Und in Person
William
Shakespeares betrat Englands bis heute bekanntester Dichter die
Bühne. Elisabeth, die selbst fünf Sprachen
beherrschte und antike Autoren schätzte, hatte dieses kreative
Klima möglich gemacht.
Einen besonderen Platz nahmen Theater ein. Sie "präsentierten
eine lebendige Renaissancewelt des elisabethanisch London. Sie waren
Orte für jedermann, für Geschäfte und
Passionen, Handel und Wandel; sie waren Informationsbörse,
politische und amouröse Kontaktbörse, es wurde
gegessen und getrunken. Entspannung und Heiterkeit, aber auch
Nachdenklichkeit im Blick auf die Kürze des menschlichen
Lebens und das Tragische menschlicher Existenz fanden dort ihren Platz",
fasst Jürgen Klein zusammen.
In Fußnotenform kommt der englische Schreiber Richard Bruce
Wernham zu Wort, der 1966 schrieb: "Wenn wir Shakespeare als
den bedeutendsten Dramatiker der Zeit betrachten, so finden wir in der
Königin Elisabeth die größte Schauspielerin
der Epoche".
In der Tat soll es die Regentin geliebt haben, zu Pferde oder in der
Sänfte durchs Land zu reisen, um von ihren Untertanen gesehen
und bewundert zu werden. Ihre offiziellen Besuche in Cambridge (1564)
und Oxford (1566) verliefen mit Staatspomp und akademischen
Gepränge. 1588 kulminierte die Verherrlichung Elisabeths in
Form der Astaraea, der jungfräulichen Sternenkönigin.
Giordano Bruno, Freidenker und Wissenschafter, der 1600 in Rom
verbrannt wurde, fand folgende Worte: "Im
Verständnis der Künste, in der Kenntnis der
Wissenschaften, in der Beherrschung der Sprachen, ist sie ohne Zweifel
allen Fürsten voraus, und ihre Überlegenheit ist so
groß, dass sie die einzige Herrscherin des Erdkreises sein
würde, wenn ihre weltliche Herrschaft der Kraft ihres
erhabenen Geistes angemessen wäre. (...) Ich meine
Königin Elisabeth, die an Namen und Würde keinem
König nachsteht..."
Nach dieser Eloge eines Genies, die schwerlich zu überbieten
ist, überlässt der Rezensent dem Leser alle weiteren
Beurteilungen zur Person Königin Elisabeths der I. von England.
(lostlobo; 09/2006)
Jürgen
Klein: "Elisabeth I. und ihre Zeit"
C. H. Beck, 2004. 200 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Herbert Nette: "Elisabeth I."
(Rowohlt-Monografie)
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Cornelia Wusowski: "Elisabeth I. Der Roman ihres
Lebens"
Elisabeth I.: Ein ganzes Zeitalter trägt ihren Namen. Ihr
Vater: der legendäre Heinrich VIII., Despot, Vollblutmonarch
und Abenteurer. Ihre Mutter: Anne Boleyn, die auf dem Schafott endete.
Elisabeth war das Lieblingskind und wurde doch zum Bastard
erklärt. Sie war Thronfolgerin, und man verbannte sie in den
Tower. Sie lernte, Königin zu sein, formte England zur
Weltmacht und rettete die Freiheit ihres Landes im Sieg über
die spanische Armada. Cornelia Wusowski zeigt in ihrem blendend
recherchierten Roman eine gebieterische, leidenschaftliche, kluge Frau
und Monarchin und macht ein bedeutendes Zeitalter europäischer
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