Åke Edwardson: "Der Himmel auf Erden"
Mit seinem neuesten Kriminalroman "Der Himmel auf Erden" ist es Åke Edwardson gelungen, seine bisherigen Bücher bei weitem zu übertreffen
Göteborg knapp vor
Weihnachten.
Mehrere junge Männer werden von einem unbekannten
Täter überfallen und mit einem nicht zu
identifizierenden Gegenstand niedergeschlagen. Nur ein Junge schafft es
dem Anschlag unverletzt zu entgehen. Erik Winter und sein Ermittlerteam
stehen vor einem Rätsel. Es gelingt ihnen nicht, einen
Zusammenhang zwischen den Opfern herzustellen.
Kein Opfer scheint den Täter gehört
oder gesehen zu haben, es gibt keine Zeugen, und keines der Opfer zeigt
auch nur
die geringste Bereitschaft, der Polizei bei den Ermittlungen helfen zu
wollen.
Gleichzeitig kommt es, zunächst von der Polizei unbemerkt, zu
seltsamen Vorfällen
in Kindergärten. Immer wieder berichten Kinder, dass sie bei
einem unbekannten
Onkel ins Auto gestiegen seien, der ihnen irgendetwas weggenommen habe.
Die
Eltern der Kinder entdecken, dass der Unbekannte entweder ein Spielzeug
oder ein
Schmuckstück entwendet hat. Bei Untersuchungen im Krankenhaus
stellt sich
heraus, dass den Kindern ansonsten nichts passiert ist. Auch der
Kindergarten
von Winters Tochter ist betroffen. Als ein Junge vom Täter
schwer verletzt
wird, wird klar, dass es nicht bei dem einen Verbrechen bleiben wird
und dass
der Täter sich immer mehr zum unvorstellbar Grausamen hin
entwickelt.
Gleichzeitig stoßen die Kommissare bei ihren Ermittlungen im
Fall der
niedergeschlagen Männer auf immer mehr Ungereimtheiten. Sie
entdecken zwar
Zusammenhänge, können diese aber nicht verstehen. Die
Geschichte wird immer
wieder auch der Sicht des Täters geschildert. Indem der Leser
den Täter kennen
lernt und schon lange vor den Kommissaren die Möglichkeit hat,
Zusammenhänge
zu erkennen, tun sich ihm Abgründe der menschlichen Seele auf,
wie sie tiefer
nicht sein könnten.
Lange vor den Ermittlern erkennt der Leser, dass es sich
nur einem Täter handelt. Doch wie schon so oft in den
Büchern von Edwardson
stellt sich die Frage, wer der wahre Täter ist. Derjenige, der
heute Verbrechen
begeht oder diejenigen, die ihn vor Jahren zu dem machten, was er heute
ist. Je
weiter die Handlung fortschreitet, desto mehr lernt auch der Kommissar
den Täter
kennen. Winter lebt und ermittelt mit der ständigen Angst um
seine kleine
Tochter im Kopf. Mit einem Einfühlungsvermögen, das
man ihm bis jetzt
nicht zugetraut hätte, versucht er den verwundeten Jungen dazu
zu bringen, ihm
mitzuteilen, wer ihn so schwer verletzt hat.
Als die Weihnachtstage immer näher rücken, geschieht das wovor sich alle die Ermittler, die Eltern und auch der Leser immer schon gefürchtet haben. Ein kleines Kind wird entführt. Winter und seiner Truppe wird nun immer klarer, wen sie suchen müssen. Winter erfährt, dass der Täter seiner Tochter schon näher war, als er überhaupt zu denken gewagt hätte. In einer verzweifelten Suche am Heiligen Abend versuchen die Ermittler, das Leben des entführten Kindes zu retten.
Mit seinem neuesten Roman
erzählt uns Åke
Edwardson eine Geschichte, vor der wir uns alle fürchten. Eine
Geschichte, wie sie unmenschlicher nicht sein könnte. Wir als
Leser erkennen
die Abgründe der menschlichen Gesellschaft, die eigentlich
nichts Menschliches mehr an sich zu haben scheint. Wir lernen den
Täter und seine
Geschichte kennen, haben Mitleid mit ihm und hassen ihn trotzdem, je
weiter die
Geschichte vorschreitet, immer mehr.
Edwardson ist es gelungen den Leser etwas
von dem unwahrscheinlichen Schmerz und der Verzweiflung spüren
zu lassen, die
Eltern
fühlen müssen, wenn ihre Kinder an den Orten, wo sie
eigentlich am
sichersten sein sollten, in Gefahr geraten, die man nicht abwenden
kann.
Auch Winter gerät im Zuge seiner Ermittlungen immer wieder in
die Rolle des
hilflosen Opfers. Er versucht alles, um das Unfassbare zu verhindern
und muss am
Ende doch erkennen, dass er eigentlich nie eine wirkliche Chance
hatte.
Mich hat
dieser Kriminalroman von Åke Edwardson tief beeindruckt. Nicht nur
weil es der
Autor geschafft hat, mir Gefühle zu zeigen, die ich mir bisher
nicht einmal in
meinen schlimmsten Alpträumen vorstellen konnte, sondern auch
weil es ihm
gelungen ist, mit Erik Winter, den wir schon aus vorangegangenen
Kriminalromanen
kennen eine Figur zu schaffen, die sich weiterentwickelt hat und
gereift ist.
War Erik Winter in den ersten Romanen noch ein unverbesserlicher Snob,
so ist er
jetzt zum liebenswerten Menschen gereift, der Gefühle wie
bedingungslose Liebe,
Angst und Hass kennt und diese auch zulässt. Trotzdem
Edwardson uns in "Der
Himmel auf Erden" ein Bild unserer Gesellschaft zeigt, vor dem wir am
liebsten
die Augen verschließen würden, hat er Leser nicht
das Gefühl, dass der Autor
mit erhobenem Zeigefinger ständig Gesellschaftskritik
übt. Auch wenn die erzählte
Geschichte traurig ist, schafft es Edwardson trotzdem auf seine
spannende
Art einen Kriminalroman zu erzählen, zu fesseln und trotz all
der Abgründe den
Leser immer wieder auch zum Schmunzeln zu bringen.
Beeindruckend an Edwardsons Büchern
ist auch, dass man immer auch etwas über das Privatleben der
Ermittler erfährt.
Man lernt ihre Probleme, ihre Ängste und Sorgen aber auch ihre
Familien und
ihre besten Seiten kennen. Dadurch erhält der Leser ein
komplettes Bild der
Personen und hat nicht den Eindruck, dass es sich bei Winter und seinen
Kollegen
"nur" um Kommissare handelt.
Ich kann "Der Himmel auf Erden" allen Fans von Edwardson nur weiterempfehlen. Allerdings gewinnt die Geschichte an Reiz, wenn man die vorherigen Erik Winter Romane "Vertauschtes Gesicht" oder "Tanz mit dem Engel" gelesen hat. Alles in allem der bisher beste Edwardson!
Åke Edwardson, Jahrgang 1953, lebt mit seiner Frau und zwei Töchtern in Göteborg. Bevor er sich dem Schreiben von Romanen widmete, arbeitet er als erfolgreicher Journalist u.a. im Auftrag der UNO im Nahen Osten, schrieb Sachbücher und hat an der Universität von Göteborg Kreatives Schreiben unterrichtet.
(Anna Mehlmann; 11/2002)
Åke Edwardson:
"Der
Himmel auf Erden"
Aus dem Schwedischen von Angelika Kutsch.
Claassen,
2002. 463 Seiten.
ISBN
3-546-00294-6.
ca. EUR 22,-.
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