Umberto Eco: "Die Geschichte der Schönheit"
Eine umfassende Einführung in die
Geschichte der Schönheit von der Antike bis in die Gegenwart
"Der Verdurstende, der eine Quelle findet
und sich sofort darauf stürzt, um zu trinken, hat kein Auge für die Schönheit.
Er kann sie später bewundern, wenn er seinen Durst gestillt hat. Deswegen ist
der Sinn für Schönheit etwas anderes als das Begehren." (Umberto
Eco)
Umberto Eco, bekannter Erfolgsautor und
Professor für Semiotik an der Universität Bologna, gibt in seinem Werk einen
Abriss über die verschiedenen Gesichter der Schönheit von der Antike bis in
die Gegenwart. Eco geht von dem Prinzip aus, dass Schönheit nie etwas Absolutes
und Unveränderliches war, sondern je nach der historischen Epoche und dem Land
verschiedene Gesichter hatte. Das Buch gleicht einer Enzyklopädie, und Ecos
kunsthistorischer Sachverstand wird mehr als deutlich. Der Universalgelehrte
Eco setzt mit "Die Geschichte der Schönheit" Maßstäbe, die Ihresgleichen suchen.
Beginnend mit dem ästhetischen Ideal
Griechenlands, spannt Eco seinen Bogen über unzählige große Werke der Bildhauerei,
Malerei, Architektur, Literatur und Philosophie, bis in die Neuzeit zur Avantgarde
und den provozierenden Arbeiten von
Andy Warhol. Dabei streift er die mathematischen
und ästhetischen Gesetzmäßigkeiten pythagoräischer Tradition, setzt sich mit
Proportionen in der Architektur auseinander, thematisiert Licht und Farben und
kann im Kapitel "Die Schönheit der Monster" dem Hässlichen das Gute abgewinnen.
Der Künstler ist, wie es
Leonardo da Vinci
zum Ausdruck gebracht hat, Schöpfer von Neuem und Nachahmer der Natur.
Wir beurteilen etwas als schön, wenn
es wohlproportioniert ist.
Pythagoras stellte als erster die Behauptung auf,
dass die Zahl das Grundprinzip aller Dinge sei, und die Pythagoräer untersuchten
die mathematischen Beziehungen, die die musikalischen Töne bestimmen, die Proportionen
der Intervalle und die Beziehung zwischen der Länge einer Saite und der Tonhöhe.
Aber nicht nur in der Musik spielen Proportionen eine große Rolle, sondern auch
in der Architektur, z.B. bei den Abständen zwischen den Säulen der Bauwerke
und bei der Gliederung der verschiedenen Teile der Fassaden. Der Goldene Schnitt
wird entdeckt und gilt fortan als harmonisches Prinzip in der Architektur und
Malerei. In der pythagoräischen Tradition unterliegen Mikro- und Makrokosmos
den gleichen mathematischen und ästhetischen Gesetzmäßigkeiten.
Jede Kultur besitzt neben der Vorstellung
des Schönen eine Vorstellung des Hässlichen. Allerdings ist es für einen Menschen
der Neuzeit nicht immer leicht festzustellen, ob bestimmte Fetische oder Masken
anderer Kulturen positive Wesen darstellen oder Monster. Die Vorstellungen
von Schönheit und vom Hässlichen unterliegen einem Wandel. Ist das Hässliche
notwendig? Alexander von Hales (13. Jahrhundert) betont, dass die Ordnung als
Ganzes schön ist und unter diesem Gesichtspunkt bekommt auch das Monströse seinen
Sinn, weil es zum Gleichgewicht des Ganzen beiträgt.
Im 15. Jahrhundert führen die Entdeckung
der Perspektive in Italien, die Einführung neuer Maltechniken in Flandern, der
Einfluss des Neoplatonismus und der von dem Dominikaner Savonarola ausgehende
Mystizismus dazu, dass Schönheit auf zwei unterschiedliche Weisen verstanden
wird, die sich nicht widersprechen. Man kann die Natur nachahmen oder versuchen,
die übersinnliche Realität zu verstehen und künstlerisch zum Ausdruck zu bringen.
Die rätselhafte Schönheit von Leonardo da Vincis Frauengesichtern findet hier
ihre Erklärung. Zwei unterschiedliche Manifestationen eines einzigen Schönheitsideals
stellt Tizian in seinem Gemälde
"Himmlische und irdische Liebe" dar.
War das 18. Jahrhundert eine vernünftige,
etwas kalte und distanzierte Epoche? Die Aufklärung fordert die Befreiung des
Geistes von den Nebeln des Obskurantismus. Der strenge Naturalismus beeinflusst
die Bauweise und die Ausgestaltung von Gärten. So drückt die Architektur des
18. Jahrhunderts, insbesondere in England, Nüchternheit und Strenge aus. Schönheit
wird zur Suche nach festen und damit auch einengenden Regeln. Gibt es einfache
Regeln? Neben der hellen Seite der aufklärerischen Vernunft, deren genialer
Vertreter Immanuel Kant ist, gibt es die dunkle Seite
der Vernunft im Theater der Grausamkeit des Marquis
de Sade.
Ist Schönheit eine Qualität des Objekts?
Im 18. Jahrhundert bildet sich allmählich eine neue Auffassung vom Schönen heraus.
Das Subjektive tritt in den Vordergrund und der Fokus liegt auf der Wahrnehmung.
Das, was schön ist, wird durch die Art und Weise definiert, in der wir es erfahren.
Daneben existiert etwas, vor dessen Darstellung unsere physische Natur ihrer
eigenen Grenzen gewahr wird, nämlich das Erhabene. Hierzu gehören besondere
Naturereignisse und imposante Landschaften, in denen Größe deutlich wird, die
weit über das menschlich Erfassbare hinausgeht. Für Kant ist es der bestirnte
Himmel, der das Erhabene zum Ausdruck bringt, weil dessen Anblick die menschliche
Erfahrungskraft überschreitet.
Friedrich Schiller bezeichnet in "Über das Erhabene"
das Schöne und Erhabene als zwei Genies, die uns die Natur als Begleiter durchs
Leben gab.
In der von der Industrialisierung und
dem Wachstum der Metropolen geprägten zweiten Hälfte des
19. Jahrhunderts steht
nicht mehr die Ästhetik im Vordergrund und der Künstler sieht seine Ideale bedroht.
Als Gegenbewegung entsteht eine ästhetische Religion, die die Schönheit um jeden
Preis verwirklichen will; ggf. muss das Leben selbst als Kunstwerk gelebt werden.
Das kulturelle Klima dieser Zeit wird als Dekadenz bezeichnet. Die Kunstszene
orientiert sich neu und Dandyismus, Symbolismus und Mystizismus sind Schlagwörter
für die entstehenden Kultbewegungen.
Der Schönheitsbegriff ist relativ und
so können auch in der gleichen Epoche verschiedene ästhetische Ideale gleichzeitig
existieren. Der viktorianische Schönheitsbegriff, geprägt von einer Vereinfachung
des Lebens und der Erfahrung in rein praktischem Sinn, entsteht parallel zur
Kultur der Dekadenz. In einer Welt, in der jedes Objekt jenseits seiner gewohnten
Funktionen zur Ware wird, in der jeder Gebrauchswert von einem Tauschwert überlagert
wird, verwandelt sich auch der ästhetische Genuss des schönen Objekts in die
Zurschaustellung seines Handelswertes. In der Architektur drückt sich künstlerische
Schönheit mehr in den Details der Konstruktion aus (z.B. Eiffelturm in Paris).
Industrie und Handel beeinflussen den Schönheitsbegriff. An die Stelle einer
ästhetischen Schönheit tritt eine funktionale Schönheit.
Frühere Jahrhunderte scheinen hinsichtlich
der Vorstellungen von Schönheit einheitliche Merkmale oder zumindest einen einheitlichen
Grundwiderspruch aufzuweisen. Was sind die Merkmale der Schönheit des 20. Jahrhunderts?
Für die Beantwortung dieser Frage fehlt uns die zeitliche Distanz. Vielleicht
sind es die Schönheit der Provokation und die Schönheit des Konsums, die augenfällig
werden. Die Avantgarde wirft die Frage der Schönheit nicht auf. Der Hang zum
künstlerischen Experiment manifestiert sich im Kubismus, Expressionismus und
Surrealismus. Die Kunst nimmt sich nicht mehr vor, ein Bild der natürlichen
Schönheit zu liefern. Sie will lehren, die Welt mit anderen Augen zu deuten.
Und genau damit reflektiert sie die Erkenntnisse der modernen Naturwissenschaften,
die längst ein Bild der Wirklichkeit zeichnen, das nicht mehr verstanden werden
kann. Erscheint es da nicht widersprüchlich, dass der Mensch den Konsum verherrlicht,
indem er sich nach der neusten Mode kleidet, die in den Massenmedien propagiert
wird? Aber Vorsicht: Es werden in den Medien gleichzeitig unterschiedliche Schönheitsideale
verkörpert. Dies erscheint widersprüchlich, könnte aber darauf hin deuten, dass
es im 20. Jahrhundert kein einheitliches Schönheitsideal gibt. Es ist alles
erlaubt, was sich gut vermarkten lässt und in der Pop Art berühren sich Provokationskunst
und Konsumkunst.
Das Buch ist thematisch aufgebaut und
enthält zahlreiche Abbildungen. Es beinhaltet eine umfassende Beschreibung der
Geschichte der Schönheit, deutlich gemacht anhand der Werke der Künstler, Dichter
und Schriftsteller der Weltgeschichte. Reichhaltige Illustrationen sowie Beschreibungen,
die gegliedert sind in durchgehende Texte für die Schnellübersicht sowie kleingedruckten
Detailbeschreibungen, machen das Buch zu einem wertvollen Kompendium für eine
breite Leserschaft. Der Aufbau des Werkes in siebzehn abgeschlossene Kapitel
erlaubt es, einzelne Bereiche gezielt herauszugreifen. Umberto Ecos Buch "Die
Geschichte der Schönheit" hat gute Chancen, zu einem Standardwerk der Kunstgeschichte
zu werden.
(Klemens Taplan; 09/2004)
Umberto Eco: "Die
Geschichte der Schönheit"
Aus dem Italienischen von Friederike Hausmann
und Martin Pfeiffer.
Hanser, 2004. 438 Seiten.
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Umberto Eco wurde am 5. Jänner 1932 in
Alessandria (Piemont) geboren. Nach Abschluss des Studiums der Pädagogik und
Philosophie mit einer Dissertation über Ästhetik des Thomas von Aquin an der
Universität Turin 1954 arbeitete er beim Italienischen Fernsehen RAI und war als
freier Dozent für Ästhetik und visuelle Kommunikation in Turin, Mailand und
Florenz tätig. Seit 1971 unterrichtet er Semiotik an der Universität
Bologna.
Er verfasste zahlreiche Schriften zur Theorie und Praxis der
Zeichen, der Literatur, der Kunst und nicht zuletzt der Ästhetik des
Mittelalters. Seine Romane "Der Name der Rose" und "Das Foucaultsche Pendel"
sind Welterfolge geworden.
Umberto Eco starb am 19. Februar 2016.
Weitere Bücher des Autors (Auswahl):
"Die Kunst des Bücherliebens"
Für Umberto Eco ist Büchersammeln ein Akt ökologischer Fürsorge:
"Wir haben nicht nur die Wale, die Mönchsrobben und die Bären in den
Abruzzen zu retten, sondern auch die Bücher." Wirkliche Leser möchten
ihre Lieblingsbücher deshalb nicht nur lesen, sondern auch besitzen und zu
Hause ins Regal stellen. Für sie hat Eco "Die Kunst des Bücherliebens"
geschrieben. Der Romancier, Wissenschaftler und Geschichtenerzähler aus Italien
nähert sich darin der ewigen Frage "War Shakespeare zufällig
Shakespeare?",
und er zeigt auch, dass mit Werken wie dem "Book of Lindisfarne"
oder den "Très Riches Heures", welche die Geistesgeschichte
seit Jahrhunderten prägen, eine ganze Kultur auf dem Spiel steht. (Hanser)
zur
Rezension ...
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"Die Geschichte der Hässlichkeit"
Zu allen Zeiten haben Philosophen und Künstler
Definitionen des Schönen
gesucht. Das Hässliche dagegen ist meist nur als Gegensatz zum Schönen
verstanden worden, fast nie wurde es für sich selbst betrachtet. Umberto Eco
hat nun in seiner Geschichte der Hässlichkeit ein wunderbares Panoptikum
versammelt: von Hölle und Teufel zu Monstern und Märtyrern, von den Hexen zu
den Satanisten, vom Grotesken zur Obszönität, von der Apokalypse bis zum
modernen Kitsch. Ein phänomenales Buch, das mit einem überwältigenden
Reichtum an Abbildungen und Textstellen die faszinierende Nachtseite jener
Schönheit zeigt, in welcher sich die abendländische Kultur so gerne sonnt. (Hanser)
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"Im Krebsgang voran. Heiße Kriege und medialer Populismus"
Zerstört der mediale Populismus die Demokratie? Im dritten Jahrtausend geht es
nicht voran, sondern nur noch zurück: Auf den
Kalten Krieg folgten die heißen
Kriege in Afghanistan und im Irak, der längst vergangen geglaubte Konflikt
zwischen Christentum und Islam ist zurück, und der Darwinismus wird von
christlichen Fundamentalisten angezweifelt. Mit dieser provozierenden These
mischt sich Umberto Eco in die politischen und kulturellen Diskussionen unserer
Zeit, und er tut es pointiert, ironisch und klar. Kann vernünftiges
Argumentieren noch etwas ausrichten gegen
politische Parolen, die ihre
Primitivität über neue Medien in alle Welt verbreiten? Ein großes Buch zur
politischen Situation unserer Zeit. (Hanser)
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"Nullnummer" zur Rezension ...
"Quasi dasselbe mit
anderen Worten. Über das Übersetzen"
Umberto Eco und
Philip
Roth schreiben ihre Bücher auf Italienisch und Englisch, und wir lesen sie
auf Deutsch. Steht dann in beiden Sprachen dasselbe auf dem Papier? Oder hat der
Übersetzer aus dem Original einen völlig anderen Text gemacht? Umberto Eco,
der weltweit bedeutendste Semiotiker und Zeichentheoretiker, hat ein Buch
geschrieben, das die Diskussion über das Übersetzen auf eine vollkommen neue
Grundlage stellt. Kann der Übersetzer das Original verbessern? Gibt es so etwas
wie Wörtlichkeit? Diesen Fragen geht Eco nach, illustriert mit Beispielen aus
den berühmtesten Texten der Weltliteratur. (Hanser)
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