Nelson DeMille: "Das Ehrenwort "
Gerichtsthriller sind das amerikanischste aller literarischen Genres. Keine andere Kultur hat Anwälte und Richter zu solch hohem literarischen Standard erhoben. Darum ist es erstaunlich, dass ein Kriegsgerichts- bzw. Militärgerichtsprozess bisher eher selten das zentrale Thema eines amerikanischen Romans war. Vielleicht brauchte es einen so kundigen Schreiber wie Nelson DeMille, um dieses Thema richtig zu behandeln ...
Ben Tyson ist der Held dieses Romans und gleichzeitig der Angeklagte in diesem Prozess. Er ist ein guter Manager, ein guter Familienvater, ein guter Nachbar und ein guter Freund. Eines Tages gibt ihm ein Arbeitskollege ein Buch über Menschenrechtsverletzungen im Verlauf des Vietnamkrieges, und darin findet Ben ein Kapitel, das seine eigenen Erfahrungen in diesem Krieg behandelt. Als Lieutenant eines Zuges war er mit seinen Leuten in einem Krankenhaus, in dem fürchterliche Dinge geschahen. Alle im Zug hatten geschworen, niemals von diesen Dingen zu berichten, aber nun hatten zwei ehemalige Gefährten dies wohl doch getan, und plötzlich findet sich Ben im Zentrum des Medieninteresses. Er bekommt von seinen Freunden, seinen Kollegen und seiner Familie Fragen gestellt, auf die er auf Grund des Ehrenworts, das er vor Jahrzehnten gegeben hat, eigentlich keine Antworten geben kann.
Da er sich als einziger Offizier des Zuges auch als Einziger im Reservestatus
befindet, beschließt das Militär in einer Art Abrechnung mit dem Vietnamkrieg,
ihn zu reaktivieren und ihm vor einem Militärgericht den Prozess zu machen.
Trotz der Ratschläge seines Anwalts beschließt Ben gegen die Reaktivierung nicht
vorzugehen und sich dem Gericht zu stellen, weil dies seinem persönlichen Ehrgefühl
entspricht. Es wird - sehr zum Leidwesen des Militärs, aber auch zu Bens eigenem
Erstaunen - ein sehr medienwirksamer Prozess, der die generellen Fragen nach
der Zulässigkeit
von solchen
Prozessen in internationalen Zusammenhängen aufwirft, bis zurück
zu den Nürnberger Prozessen. Dabei tauchen
viele ethische und moralische Fragen
auf, die bis heute nicht ihre Gültigkeit verloren haben, und die sich eigentlich
nur aus dem persönlichen Rechtsempfinden heraus beantworten lassen.
Gerade in der Diskussion über die Kompetenzen
des internationalen Kriegsverbrechertribunals ist dieser Roman ein sehr bedenkenswertes
Stück Arbeit und in dieser Beziehung auch eher ein philosophisches Sachbuch als
ein Roman. Dass das Buch nebenher auch noch ein sehr guter Roman ist, der die
Schrecken des Krieges - und zwar jedes Krieges - und der Entmenschlichung derjenigen,
die gezwungen sind daran teilzunehmen, sehr eindringlich und plastisch demonstriert.
Jede Seite in einem Krieg verletzt Menschenrechte, und teilweise erscheint dies
aus den gegebenen Zusammenhängen auch einigermaßen "verständlich".
DeMille macht diese Zusammenhänge sehr verständlich - wobei er allerdings
dieses Verständnis nicht zur Grundlage eines Verzeihens macht, was besonders lobenswert
ist. Alles verstehen heißt eben nicht alles verzeihen. Dieses Buch sollte jeder
lesen, der meint, Krieg wäre in irgendeiner Form etwas Ehren- oder Würdevolles.
Es ist leicht - oder auch notwendig - dies zu glauben, wenn man über sich selbst
oder seine geliebten Vorfahren im Zusammenhang mit Kriegen nachdenkt, aber ich
glaube, dies ist eine Art Selbsttäuschung, ein Schutzmechanismus. Die notwendige
Glorifizierung der Grausamkeit um diese psychologisch zu verkraften. Aber es ist
nichts Glorioses daran und auch nicht an denen, die daran beteiligt sind. Dies
macht dieser Roman deutlich, genau wie DeMilles aktueller Roman "Upcountry" (Deutsch:
"Die Mission").
Es zeigt uns Menschen sehr deutlich, wie wir auf einem
bestimmten Level wirklich sind, und wie wir nicht gerne zugeben zu sein. Ich glaube,
wenn wir das könnten, würden wir endlich lernen, besser zu werden, als wir momentan
sind ...
(K.-G. Beck-Ewerhardy
Nelson DeMille: "Ehrenwort"
Ullstein 2003
767 Seiten
ca. EUR 9,95.
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Nelson DeMille: "Word
of Honor"
(Englische Ausgabe)
Warner Books, 1998. 880 Seiten.
ISBN 0-4466-7482-6.
ca. EUR 14,39.
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