Paulo Coelho: "Elf Minuten"


Paulo Coelhos märchenhafter Roman über Sex oder die Kunst, die Liebe zu erlernen

Elf Minuten ist jene Zeit, die man normalerweise für Sex braucht. Und genau aus diesem Grund hat Paulo Coelho auch diesen Titel für seinen Roman gewählt.

"Elf Minuten" erzählt die Geschichte von Maria, einem brasilianischen Mädchen, das in ärmlichen Verhältnissen geboren wird. Die erste Liebe endet für Maria unglücklich und daraufhin beschließt sie, nie mehr eine Chance ungenützt verstreichen zu lassen. Doch auch alle weiteren Jungen, in die sich Maria verliebt, enttäuschen sie.

Maria lernt zu küssen, hat Sex, der sie allerdings nie befriedigt, und lernt ihren Körper kennen. Doch was es bedeutet zu lieben, erfährt sie nicht. Bei ihrem ersten Urlaub in Rio de Janeiro lernt Maria einen Schweizer kennen, der ihr verspricht sie in seinem Land als Sambatänzerin berühmt zu machen. In ihrer Gutgläubigkeit und getrieben von der Sehnsucht nach Ruhm stimmt Maria dem Angebot des Schweizers zu und begleitet ihn nach Genf, wo sie jedoch nicht als Sambatänzerin oder Modell arbeiten muss, sondern als Tänzerin in einem Nachtlokal. Hier erkennt Maria sehr schnell, dass ihre einzige Chance darin besteht, die Sprache des Landes zu lernen, weshalb sie sich in einem Französischkurs an der Volkshochschule einschreibt. Ein junger Araber, der zusammen mit ihr diesen Kurs besucht, verliebt sich in sie. Doch als sie eines Tages mit ihm einen Ausflug unternimmt und deshalb nicht zur Arbeit erscheint, verliert sie ihre Arbeit und wird auch von ihrem Freund verlassen.

Maria meint weiterhin, trotz aller Enttäuschungen, eine große Karriere als Modell vor sich zu haben. Deshalb lässt sie teure Bilder von sich machen und übergibt diese einer Agentur. Lange Zeit erhält sie keinen Auftrag, bis sich eines Tages ein Araber bei ihr meldet. Maria hofft nun auf die große Chance in dessen Heimat. Beim Abendessen mit dem Araber wird Maria klar, dass dieser nur an einer Nacht mit ihr interessiert ist. Trotz aller Bedenken geht Maria auf sein Angebot ein und schläft mit ihm für tausend Franken. So beginnt ihre Karriere als Prostituierte. Nach dieser einen Nacht ist Maria überzeugt davon, dass sie durch diesen Beruf, wenn schon nicht ihr großes Glück, dann doch wenigstens Reichtum finden kann. Sie beginnt im teuersten Bordell der Stadt zu arbeiten und ist bald schon eine der Besten ihres Berufes. Doch trotz allem hat Maria nicht vor, diesen Beruf ewig weiterzuverfolgen. Sie setzt sich ein Zeitlimit, nach dessen Ablauf sie in ihre Heimat zurückkehren und eine Farm kaufen will. Deshalb beginnt sie auch, Bücher über Landwirtschaft zu lesen. Als Maria eines Tages in einem Café über einem ihrer Landwirtschaftsbücher sitzt, wird sie von einem, wie man ihr sagt, sehr erfolgreichen Maler angesprochen. Er will Maria malen, weil er ihr "Licht" sieht. Trotzdem ihm Maria mitten im Lokal eine Szene macht, erscheint der Maler am Abend im Bordell und mietet Maria für den ganzen Abend. Doch es findet nicht statt, wozu es normalerweise bei solchen Treffen kommt. Ralf, der Künstler hat, wie er selbst sagt, kein Interesse an Sex. Nach und nach verliebt sich Maria in Ralf, doch gleichzeitig lernt sie auch noch einen "besonderen Kunden" kennen. Ein "besonderer Kunde" ist ein Kunde mit besonderen Vorlieben. Durch diesen Kunden lernt Maria einen neue Art von Sex und den Reiz, der von Schmerz ausgehen kann, kennen. Und dieser Kunde ist auch der erste Mann, mit dem Maria Sex hat und einen Orgasmus erlebt.

Doch das Ende des zeitlichen Limits, das sich Maria gesetzt hat, rückt immer näher. Soll sie bei Ralf bleiben oder in ihre Heimat zurückkehren? Der Roman findet ein überraschendes und wahrhaft märchenhaftes Ende.

Paulo Coelhos Art und Weise, Marias Geschichte zu erzählen erinnert stark an ein Märchen, das man kleinen Kindern erzählt. Dadurch dass die Geschichte einerseits aus der Sicht eines Erzählers und andererseits aus Marias Sicht erzählt wird ist es dem Leser möglich, Maria und ihre Beweggründe besser zu verstehen. Was der Beobachter auf die eine Weise sieht, sieht der Leser, nachdem er Marias Sicht der Dinge kennen gelernt hat, ganz anders.
Besonders beeindruckt hat mich auch die Tatsache, dass Paulo Coelho am Ende des Buches erzählt, wie es im Leben der wahren Maria weitergegangen ist. So erhält der Leser das Gefühl, dass auch im wahren Leben Märchen wahr werden können.

"Elf Minuten" erzählt aber nicht nur Marias Geschichte, sondern schildert auch die Entwicklung eines Mädchens zur Frau: Maria verlässt ihre Heimat als unerfahrenes junges Mädchen und wird durch meist traurige Erfahrungen zur reifen Frau, die weiß was es bedeutet zu lieben und sich wirklich hinzugeben.
Mich hat Marias Geschichte tief beeindruckt, vor allem deshalb, weil es dem Autor gelungen ist, auf glaubwürdige Art und Weise ein märchenhaftes Ende für eine traurige Geschichte zu schreiben.
Am Schluss von "Elf Minuten" könnten die Worte stehen " ... und wenn sie nicht gestorben sind ..."

"Schon seit zehn Jahren", so Coelho im Interview mit der deutschen Illustrierten "stern", habe er über Sexualität schreiben wollen. "Aber ich hatte weder eine tragfähige Geschichte noch eine Hauptfigur." Den Anstoß für den Roman habe schließlich die Begegnung Coelhos mit einer brasilianischen Edelprostituierten bei einer Signierstunde in Genf gegeben. "Aus Neugier", wie Coelho dem "stern" sagte, habe er sich mehrmals mit der Frau getroffen. "Etwa 60 Prozent des Buches beruhen auf ihrer Lebensgeschichte." In nur drei Wochen habe er dann den Roman geschrieben. 

(Anna Mehlmann; 08/2003)


Paulo Coelho: "Elf Minuten"
(Originaltitel "Onze Minutos")
Aus dem Brasilianischen von Maralde Meyer-Minnemann.
Gebundene Ausgabe:
Diogenes, 2003. 288 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
Diogenes, 2006. 284 Seiten.
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