Aus der Reihe "Österreichische Geschichte"
Rudolf Leeb, Maximilian Liebmann, Georg Scheibelreiter, Peter G. Tropper:
"Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart"


Die österreichische Kultur ist in ihrer historischen wie auch in ihrer gegenwärtigen Gestalt, bei aller zeitgemäßen Tendenz zur Säkularisierung, in ihrem Wesen zutiefst christlich geprägt. Ein Prägungsprozess, der vor rund 1800 Jahren einsetzte und in den Annalen der Geschichte anlässlich des so genannten "Regenwunders" im Markomannenkrieg (172 oder 174 n. Chr. Geb.), unter Kaiser Mark Aurel, eine erste Erwähnung findet. Von diesem "wundersamen Ereignis" ausgehend (ein gewaltiges Gewitter sicherte den Römern ihren Sieg in einer bereits verlorenen Schlacht im Marchfeld, nahe Vindobona, dem heutigen Wien), entwickelt das Autorenkollektiv seine Gesamtschau auf 1800 Jahre christliches Leben in Österreich. Wobei mit "christlichem Leben" auch wirklich christliches Leben gemeint ist, und nicht etwa eine tendenziöse Darstellung der Geschichte des katholischen Österreichs, wie man voreilig argwöhnen könnte. Das Buch ist letztlich ein Produkt gemeinsamer Forschungsbemühungen evangelischer und katholischer Kirchenhistoriker. Nicht nur unter Anmaßung falschen Stolzes sondern mit gutem Recht, dürfen die Autoren somit für sich die Ehre beanspruchen, ein Musterexemplar ökumenischer Kirchengeschichtsschreibung geschaffen zu haben, das wohl nicht so rasch Seinesgleichen finden wird.

Das Buch ist zwar "Geschichte des Christentums in Österreich" betitelt, womit die Sache auch nicht verfehlt bezeichnet ist, doch geben die Darstellungen letztlich weitaus mehr wieder denn bloße Österreichische Geschichte. Vielmehr wird an Hand des einen konkreten Beispiels europäische Geschichte schlechthin sichtbar, welche sich geradezu im Gegenstand der Betrachtung fokusiert, und dies allein schon aus dem trivialen Grund, dass Österreich als ehemaliges römisches Grenzland immer schon im Spannungsfeld der Kulturen lag und sodann später als führende Macht im deutschen Reich eine besondere überterritoriale Funktion innehatte. Österreichische Politik war zugleich deutsche Reichspolitik wie zudem - der Großmachtstellung gemäß - Europapolitik, die, einem gewissen religiösen Sendungsbewusstsein folgend, ständig nach Transzendierung ihrer Wirkgrenzen strebte und das bis hin zur kosmischen Idee einer göttlich verfügten Welt- und Naturordnung unter dem Zepter der Habsburgerdynastie in Wien. Zudem machten zeitgeschichtliche Entwicklungen auch in früheren Zeiten natürlich keineswegs an den Grenzen des heutigen Kleinstaates halt. Österreichische Geschichte ist folglich nicht einfach nur als österreichische Geschichte zu erachten, was aus den genannten Gründen insbesondere für österreichische Kirchengeschichte zutrifft.

Die Autoren veranschaulichen am Beispiel Österreichs, dass die ursprüngliche Christianisierung heidnischer Bevölkerung dem Grundmotiv nach nicht aus Sorge um deren Seelenheil erfolgte, sondern primär aus dem Interesse an der Errichtung und Sicherung von Herrschaft. So standen etwa die Franken nach ihren Siegen gegen die Awaren vor der Aufgabe, das soeben erst eroberte Ostland organisatorisch einzurichten und es politisch zu strukturieren. Das war ohne Hilfe der Kirche und ihrer Vertreter nicht zu erreichen, denn der Klerus stellte zur Karolingerzeit (800-1100) mehr oder weniger den gesamten gebildeten Stand. Wollte man also beständige Herrschaftsstrukturen errichten, so galt es für das Erste einmal zu missionieren. Weiters bedeutete "Konfessionalisierung" in einem gewissen Sinne auch immer "Sozialdisziplinierung". Es war Aufgabe der Kleriker, aus wilden Stammeshaufen verlässliche Untertanen zu machen.

Und es war dann wohl nicht nur auf dem Gebiet des heutigen Österreichs der Fall, dass die enge Verflechtung zwischen weltlicher Macht und Kirche zu einer Vertrauenskrise zwischen dem Volk und dem Priesterstand führte. "Antiklerikalismus" und Pfaffenhass waren die logische Reaktion auf oftmals von Klerikern und Mönchen sträflich vernachlässigte religiöse Tugenden. Am Vorabend zur Reformation im deutschen Reich (frühes 16 Jahrhundert) war die Verstimmung ob der ungeistlichen Lebensweise vieler Kirchenvertreter bereits weit gediehen, und so bedurfte es gerade noch eines begabten Aufrührers um das sprichwörtliche Fass zum Überschwappen zu bringen. Martin Luther wollte dieser Aufrührer nicht sein, meinen die Autoren, als er im Oktober 1517 seine Ablassthesen verfasste. Dem Wittenberger Professor der Theologie ging es darum eine akademische Diskussion in Gang zu bringen. Keinesfalls bezweckte er damit das, was da nun kommen sollte: Eine Spaltung der abendländischen Christenheit in konkurrierende Konfessionen bis hin zu kriegerischen Auseinandersetzungen.

Luthers kritische Thesen zur Abscheu erregenden Pastoralpraxis, aber auch seine Flugschriften mit theologisch-seelsorgerlichen Traktaten fanden - zuerst wider seine Absicht - weite Verbreitung im ganzen deutschen Reich, somit ebenso in Österreich, wo das Volk nicht nur in seiner überwiegenden Mehrzahl von der römischkatholischen Kirche abfiel und in hellen Scharen sich der reformatorischen Botschaft zuneigte, sondern es entfalteten sich ausgerechnet hier, im vermeintlichen Kernland römischkatholischer Kirchentreue, besonders radikale Strömungen. So war Österreich vermutlich ein, wenn nicht das Hauptverbreitungsgebiet der in mehrfacher Hinsicht extremen Täuferbewegung. Ihrer überragenden und doch kaum bekannten Bedeutung für die österreichische Reformationsgeschichte wird mit einem eigenen Kapitel im Buch Rechnung getragen.

Die Autoren räumen kräftig auf mit dem katholischerseits gepflegten Mythos vom urkatholischen Österreich, welcher der landläufigen Meinung Vorschub leistete, der katholische Süden sei lediglich aus dem Norden Deutschlands mit protestantischen Gedanken infiziert worden. Gedanken, deren "ketzerischer Gehalt" den österreichischen Ländern jedoch immer schon zutiefst wesensfremd gewesen sei. Dem wird eine mehr oder weniger hausgemachte Frühreformation entgegengehalten und die Herausbildung von eigenständigen reformatorischen Grundüberzeugungen, welche eine Distanzierung gegenüber der lutherischen und der Schweizer Reformation zur Konsequenz hatten. Erst mit der Ankunft der Jesuiten in Österreich, um 1550, kam es in den habsburgischen Ländern zu einer wirksamen Gegenreformation, welche dieses Mal jedoch wirklich von Außen nach Österreich herein getragen wurde.

Mit den Jesuiten kamen kompromisslose Verfechter der katholischen Sache ins Land, Gotteskrieger, vom romanischen Katholizismus geprägt, denen ihre unversöhnliche Haltung gegenüber dem Protestantismus und ihre unerbittliche Beharrung auf den rechten Weg zu großem Einfluss am Wiener Kaiserhof verhalf. Dem einfachen Volk waren die Jesuiten zuerst Fremde, die man nicht einmal umgangssprachlich verstand, doch sollte, so führen die Autoren aus, das von den Eiferern Gottes eingerichtete und geleitete Schulwesen schlussendlich selbst den Großteil der Abtrünnigen für die Akzeptanz gegenreformatorischer Anliegen gewinnen. Der Unterricht in diesen Schulen war nicht nur unentgeltlich, sondern für jene Zeit geradezu modern und innovativ. Er gewann die Zustimmung der verärgerten Bevölkerung und konstituierte zugleich eine Kaderschmiede zur Heranbildung katholischer Eliten des neuen Stils, die den Katholizismus erneuern und für die Zukunft prägen sollten. Zur Praxis der katholischen Erneuerung gehörte freilich auch die Vertreibung von Protestanten bis zum Jahre 1740 und, im angehenden Zeitalter der Aufklärung, Unduldsamkeit gegenüber Personen, die es wagten, sich ihres eigenen Verstandes zu bedienen. Diese weniger freundliche Seite der jesuitisch geleiteten Gegenreformation bleibt keineswegs ausgespart.

Religionspolitik wurde in den nachfolgenden Jahrhunderten vorwiegend aus dem Geiste der Intoleranz betrieben, so denn auch im konfessionellen Staat der Kaiserin Maria Theresia, die sich als "oberste Schutzfrau der Kirche" sah und "den Besitz des wahren Glaubens als unabdingbaren Bestandteil individueller Wohlfahrt" erachtete. Toleranz gegenüber Andersgläubigen oder Ungläubigen galt in diesen Tagen als eine Idee gegen die guten Sitten. Zugleich verminderte man mit päpstlichem Einverständnis die Zahl der Feiertage auf knapp die Hälfte. Aus ökonomischem Kalkül, wie in der geschichtlichen Betrachtung sarkastisch angemerkt wird.

Der zu Zeiten der Gegenreformation begründete, aber irgendwann dann doch antiquierte Staatskatholizismus wollte nur widerwillig von seiner dominanten Stellung im Staat zurücktreten, was in den 30er-Jahren des 20. Jahrhunderts mit ein Grund für bürgerkriegsähnliche Geschehnisse sein sollte. Gegner war diesmal die aufstrebende Sozialdemokratie, die im Sozialhirtenbrief der österreichischen Bischöfe von 1925 ihres Antiklerikalismus wegen gegeißelt wurde. Nichtsdestotrotz sollte es in den Jahren nach dem Zweiten Weltkrieg zu einer Trennung von Staat und Kirche kommen, wie denn auch unter Kardinal Dr. Franz König (Kardinalsernennung 1958) zu einer Aussöhnung mit der "roten Reichshälfte". Die römischkatholische Kirche Österreichs versteht sich nun nicht mehr als eine Dienerin des Staates mit weltanschaulicher Verpflichtung, sondern als dessen Partnerin, wie im Buch zur Darstellung gebracht wird. Es ist das Recht und die Pflicht der Kirche, sich in öffentlichen Fragen gemäß ihrer sittlichen Überzeugung einzumengen. Aber sie sollte es nicht im Dienste einer politischen Gruppe tun, meinte in diesem Zusammenhang Dr. Max Neugebauer, Sprecher der Sozialdemokratischen Partei Österreichs (SPÖ) bei den Verhandlungen zu den Konkordatsverträgen der Jahre 1960 bis 1968.

Die Entwicklung von der Dominanz der katholischen Kirche hin zu einer Gemeinschaft freier Kirchen in einem freien Staat wurde, nach Meinung der Historiker, in Österreich hinreichend vollzogen und steht als Prozess einer Loslösung und Emanzipierung von zuletzt fatalen Bindungen im Zentrum der Schlussbetrachtungen. Eine Entwicklung übrigens, die auch den mündigen Gläubigen hervorbrachte und immer noch hervorbringt. Basisbewegungen wie das "Kirchenvolks-Begehren" von 1995 (über eine halbe Million Katholiken setzten ihre Unterschrift unter ein innerkirchliches Reformbegehren) bekunden den Abschied vom traditionellen katholischen Untertanengeist. Der Gläubige wird zum Revoluzzer gegen die Autorität des Bischofs, fordert das Recht auf innerkirchliche Mitbestimmung und verweigert sich gegenüber, zu früheren Zeiten noch ganz selbstverständlichen, Parteibindungen christlicher Elterngenerationen. Freilich bleibt die katholische Kirche über ihre Nähe zum landesüblichen Verbändekatholizismus eine wichtige Rekrutierungsbasis der christdemokratischen Österreichischen Volkspartei (ÖVP), eine liberalkonservative Großpartei ständischen Zuschnitts, doch ist die historisch geprägte Beziehung zwischen Kirche und Staat in unseren Tagen entspannt und kaum noch einer Ereiferung wert. Die jüngsten Entwicklungen und Perspektiven christlichen Gemeinschaftslebens werden von den Autoren jedenfalls als durchaus erfreulich beurteilt, wenn auch die Diskussion über die Beziehung von Religion, Kirche und Staat noch offener geführt werden müsse. Im Großen und Ganzen scheinen Konflikte mit dem Christentum jedoch der Geschichte anzugehören. Das religiöse Gesellschaftsproblem der Zukunft wird somit dann wohl auch eher nicht ein christliches sein, sondern eines, das aus der multiethnischen Gegenwartsstruktur des ehemals christlichen, heute zusehends multikulturellen Abendlands herrührt. Zum Abschluss sei dazu dem Politologen Anton Pelinka das Wort überlassen, welcher folgende Auffassung vertritt: Wieweit das Grundprinzip der Zweiten Republik "Eine freie Kirche im freien Staat" bzw. "Freie Kirche in der freien Gesellschaft" weiterhin tragfähig ist, "wird sich in Zukunft noch viel deutlicher beim Islam erweisen".

(Harald Schulz; 03/2004)


Rudolf Leeb, Maximilian Liebmann, Georg Scheibelreiter, Peter G. Tropper:
"Geschichte des Christentums in Österreich. Von der Spätantike bis zur Gegenwart"

Ueberreuter, 2003. 624 Seiten.
ISBN 3-8000-3914-1.
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