Bernhard van Treeck: "Das große Cannabis-Lexikon"

Alles über Hanf als Kulturpflanze und Droge


Cannabis, Haschisch, Marihuana - oder weniger bedrohlich im Ausdruck, Hanf: Eine der ältesten Nutz- und Kulturpflanzen der Menschheitsgeschichte ist wohl wie selten ein anderes Gewächs mit einer derartig großen Ambivalenz besetzt. Zum Einen dienen beispielsweise Fasern der Pflanze als Rohstoffe für edles Papier, für Stoffe und Taue von unerreichbarer Reißfestigkeit, für bestes Dichtungsmaterial und hochwertige Dämmstoffe. Sogar renommierte Autohersteller setzten und setzen immer noch - oder wieder - den Rohstoff zur Weiterverarbeitung ein, um ihn dann als Material in ihre Autos einzubauen. Was kann an so einer wunderbaren Pflanze dann so schlecht sein?
Und doch schwingt da immer noch bedrohliche eine andere Verwendung mit: Cannabis als Rauschdroge. Als angeblich "böse" Substanz, verantwortlich für das Unglück von Tausenden von Menschen, oftmals gleichgestellt den wirklich gefährlichen Suchtgiften wie Heroin, Kokain und anderen - vor allem - chemisch hergestellten Drogen. Aber was hat es wirklich mit dem Hanf auf sich?

Dieser Frage, aber nicht nur ihr, geht dieses Kompendium des deutschen Psychiaters und Psychotherapeuten Bernhard van Treeck nach. In diesem lexikalischen Werk versucht der Arzt alfabetisch aufgelistet auf so viele als nur mögliche Aspekte rund um und im Zusammenhang mit Hanf einzugehen und beschränkt sich dabei eben nicht nur auf medizinische Gesichtspunkte. Sowohl rechtliche, als auch ökologische, kulturhistorische als auch politische Bereiche werden angeschnitten - schier nichts bleibt ausgespart, wobei sich der Autor selbstverständlich bewusst ist, dass auch ein solches Werk in keiner Weise Anspruch auf völlige Abdeckung dieser Thematik stellen kann.
Aber immerhin hat sich van Treeck alle Mühe gemacht, sachlich und fachlich richtig auf die berühmte, geliebte, verhasste und verfolgte fünfblättrige Pflanze einzugehen: Man liest über das erste Auto, welches vom Acker wächst (vom berühmten Henry Ford gebaut!) ebenso wie von der germanischen Göttin Freya, der der Hanf als heilige Pflanze zugeordnet wurde. Es ist anscheinend alles da, was den Interessierten, den Benützern (in welcher Form auch immer!?), aber auch den Erschreckten von Nutzen sein könnte. So - und in erster Linie gesehen - ist eigentlich alles vorhanden, um dieses Werk zu einem erstklassigen Standardwerk über Cannabis werden zu lassen und diese Rezension mit gutem Gewissen zu beenden - wäre da nicht noch die Absicht, die der deutsche Psychiater mit der Herausgabe dieses Buches verfolgte, zu klären; ab diesem Zeitpunkt beginnt die eigentliche Problematik dieses Buches - wohl aber der gesamten Diskussion über Cannabis: Ist diese Droge wirklich so gefährlich wie vielerorts behauptet wird? Ist die immer noch gängige gesetzliche Restriktion im Bezug auf den Hanf gerechtfertigt oder nicht? Ist es gesundheitsgefährlich, Haschisch/Marihuana zu konsumieren oder doch nicht ungesünder als die legale, westliche Gesellschaftsdroge Alkohol oder gar weniger schädlich?

Nun, das größte Problem an der Beantwortung all dieser und noch vieler anderer und ähnlicher Fragen ist es wohl, dass der Hanf - obgleich er, wie auch dieses Kompendium durchaus erschöpfend bezeugt - seit mehreren tausend Jahren vom Menschen zu sich genommen wird, offenbar noch immer medizinisch zu wenig "erschlossen" ist, oder aber sich die dafür zuständigen Kapazitäten in diesen Fragen noch immer nicht auf ein einigermaßen abschließendes Gesamturteil einigen konnten.
Diese Ambivalenz spürt man auch in van Treecks Werk. Einerseits hat er als Arzt der Gesellschaft gegenüber eine besondere Verantwortung, andererseits will er nicht weiter die landläufigen Urteile (oder auch Klischees!) bedienen. An sich ist sein Ansatz sicherlich kein übler und ein durchaus um Redlichkeit bemühter; was er gleichsam als "roten Faden" zum Ausdruck bringen will, ist ja schon seit Paracelsus bekannt: "Die Dosis macht das Gift!" oder anders ausgedrückt: Alles mit Maß und Ziel.
Wer ab und zu einmal einen Joint raucht, endet noch lange nicht im Irrenhaus oder am Friedhof, doch - seiner Meinung nach - besteht dabei (wie bei allen lustvollen Angelegenheiten) auch immer die Gefahr, dass sich die Gelegenheit sehr schnell zur Alltäglichkeit entwickeln könnte und dann - möglicherweise(!?) - doch den Einzelnen wie auch die gesamte Gesellschaft bedrohen und schädigen könnte.
Das ist, was in diesem Buch oftmals den Eindruck des "Eiertanzes" erweckt. Da kann oder will sich Dr. van Treeck nicht wirklich für eine "Seite" entscheiden. Ist er nun einmal in diesem Fahrwasser, dann neigt der gute Mann rasch dazu, apodiktisch zu werden (z.B. wenn er behauptet, dass "[...] es eindeutig widerlegt ist, dass Cannabis die Kreativität steigert.[...]").
Wie kommt er eigentlich auf eine derartig sture Aussage? Sollte er eigentlich als Psychiater nicht wissen, dass es mannigfache Persönlichkeiten gibt, dass der Cannabiskonsum per se natürlich niemanden zum "Künstler macht", andererseits es sicherlich kreative Menschen gibt und gab, die durchaus mittels Drogen zumindest ihre Perspektiven zu erweitern imstande waren. Derartige Aussagen verwundern dann schon, vor allem weil ja Dr. van Treeck zum Einen für sein Werk zweifellos gut recherchiert hat und darüber hinaus um eine Beseitigung von Vorurteilen dieser Kulturpflanze gegenüber bemüht ist! Sind das etwa Zugeständnisse und an wen?!

Derartiges allerdings tut dem an sich guten und in seiner Art übersichtlichen Buch keinen allzu großen Abbruch. Van Treeck schien sich bei der Herausgabe dieses Buches wohl an den Grundsatz zu halten, dass die Wahrheit "irgendwo" in der Mitte zu finden sei. Sollte er sein Lexikon noch irgendwann einmal überarbeiten und er u.a. zuvor genannte Schwachpunkte beseitigen, so würde wohl auch gewünschte Mitte noch breiter werden und somit sein Buch auch noch besser, noch fundierter.

(Franz Furch)


Bernhard van Treeck: "Das große Cannabis-Lexikon. Alles über Hanf als Kulturpflanze und Droge"
Schwarzkopf & Schwarzkopf, 2000. 441 Seiten.
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