Toril Brekke: "Die Frauen vom Fjord"


Mit diesem absolut lesenswerten Roman führt die norwegische Autorin Toril Brekke, eine der bekanntesten Schriftstellerinnen ihres Landes und dort seit 1992 PEN-Vorsitzende, ihre Leser wieder tief in die Geschichte Norwegens zurück. Wie schon in "Linas Kinder" und "Sara" gelingt es ihr auf besonders einfühlsame Weise, das Schicksal von Frauen mit der Schilderung von norwegischer und europäischer Geschichte zu verknüpfen.
Toril Brekke liebt ihre Frauenfiguren. Obwohl erfunden, sind sie für sie und ihre Leserinnen Vorbilder, Vorkämpferinnen für etwas, das erst die Frauen im späten 20. Jahrhundert wirklich erfahren und erleben konnten: Freiheit. Freiheit von der wirtschaftlichen Abhängigkeit von Männern (Vätern und Ehemännern), Freiheit, etwas zu lernen und sich zu bilden, Freiheit, sexuell aufgeklärt und unabhängig zu sein.

Dennoch, und das ist das Besondere an Toril Brekkes Büchern und ihren Frauengestalten: Indem sie das Leben, das Schicksal und das Leiden, aber auch das Glück dieser Frauen beschreibt, will sie etwas aufbewahren von einer Haltung und einer Lebensphilosophie, die während der Frauenbefreiung ausgangs des 20. Jahrhunderts leider verlorengegangen ist, deren Verlust man nun allenthalben in den Feuilletons beklagt und von der man gegenwärtig nicht weiß, ob sie mit der erkämpften Freiheit der Frauen heutzutage überhaupt verträglich ist.

So lässt Toril Brekke ihre Hauptfigur des zweiten Romanteils, Sanna, nachdem sie innerhalb von 15 Jahren, die in großer Dumpfheit an ihr vorübergezogen sind, zehn Kinder geboren hat, aus ihrer tiefen Depression aufwachen und beschreibt ihre Gedanken über den zu Ende gegangenen Lebensabschnitt:
"Doch, Sanna wusste, dass etwas zu Ende war. Wie durch eine Art Schleier konnte sie sich sehen. Durch einen Schleier, durch den etwas gesiebt worden war. Zehn Keime, die in ihr hängen geblieben waren, in ihrem Körper, um dort zu reifen. Wie etwas Heiliges kam ihr das vor. Aus einer Welt des Lichts waren sie gekommen, wie winzige blinkende Fische, anfangs einfach nur Seelen, Seelen, die in den Schleier gehüllt worden waren, in ihr, mit Knochen und Substanz, mit Herz und Lunge, bis sie hinausgestoßen worden waren ins das Irdische.
Doch, sie hatte das Wunder spüren können, als es zum ersten Mal geschehen war, nachdem die Schmerzen sich gelegt hatten, nachdem das Gefühl der Kränkung nachgelassen hatte. Da hatte sie sich erfüllen lassen von dem Wunder, während sie das Kind in den Armen gehalten hatte, während sie die Wärme des kleinen Körpers gespürt, während sie sein Gurgeln gehört hatte, als wolle er ihr etwas sagen, und als sie sein erstes richtiges Lächeln erlebt hatte. Ehe die Müdigkeit sie überwältigte.
Jetzt war es vorüber. Sie hatte das Ihre getan. War Schleier gewesen. Also musste sie wohl dankbar sein. In all den Jahren hatte sie jeden Abend gedankt, für das Essen auf dem Tisch, die Kleider an ihrem Leib, die Gesundheit ...
Sie hatte sie geboren. Das war der Sinn ihres Lebens gewesen. Als sie zu Kräften gekommen war, hatte sie sie besser kennen gelernt, hatte sie endlich als kleine und größere Menschen gesehen. Denn sie waren durchaus nicht gleich, auch wenn es so ausgesehen hatte, wenn sie johlend umherrannten . Nein, jedes hatte äußerlich und innerlich seine Eigenheiten."


Sanna schafft es, ihren Töchtern Möglichkeiten zu bieten, ihre Träume weiterzuentwickeln, und sie schafft es, zu ihrem Mann, Andreas Morck, eine neue Beziehung aufzubauen. Und damit tritt sie in die Fußstapfen ihrer Mutter Sara, deren Leben im ersten Teil des Buchs beschrieben wird. Sie ist Tochter einer Hebamme, heiratet schon früh den armen Kaufmannsgehilfen Jacob Mortensen und zieht mit ihm nach Trondheim, eine Stadt, die von nur einigen Familienclans beherrscht wird, die immer noch Deutsch miteinander sprechen und kaum einen Anderen neben sich hochkommen lassen. Doch die Zeit dieser feudalen Strukturen ist um 1860 herum vorbei. Jacob Mortensens Krämerladen, den er zunächst in einem heruntergekommenen Viertel aufgemacht hat, beginnt, nicht zuletzt durch Saras Interventionen, indem sie die Außenstände eintreibt, als ihr Mann auf Geschäftsreise ist, zu wachsen, und mehrere Jahrzehnte später ist Jacob Mortensen erfolgreicher Unternehmer, Reeder und Mitglied der Stadtregierung.

Schon früh, als das Geschäft noch nicht viel abwirft, nehmen Jacob und Sara immer wieder Kinder aus ihren beiden Familien bei sich auf und ziehen sie groß. Ähnlich wie später ihre Tochter Sanna über eine lange Zeit gänzlich unglücklich ist, schildert Toril Brekke auch Saras Leben zunächst als unglücklich und traurig. Sie liebt Jacob nicht wirklich und versucht verzweifelt, einen Lebenssinn zu finden und ihrer großen Sehnsucht nach Freiheit einen Ausdruck zu geben.
Doch es dauert sehr lange, bis sie ihr Leben akzeptieren und Jacob als den fürsorglichen und treuen Ehegefährten schätzen lernt.

Wie Toril Brekke im Epilog des Buchs die Gedanken ihrer Hauptfiguren Sara und Jacob anlässlich ihrer Goldenen Hochzeit schildert, zeugt von großem Mitgefühl und der heutigen Sehnsucht, etwas von dieser Kraft und Liebe, die es über 50 Jahre durch alle Krisen hinweg schafft, für die heutige Zeit, für heutige Beziehungen hinüberzuretten.

"Die Frauen vom Fjord" ist ein Frauenroman, den der Rezensent mit großem Interesse und mit Gewinn gelesen habe. Er ist mitreißend erzählt und will dafür werben, seinen Traum vom persönlichen Glück nicht aufzugeben. Das gilt nicht nur für die Frauen, sondern auch für Männer. Wie beide Geschlechter auch in langjährigen Beziehungen und Ehen diese Träume umsetzen können, welche Loyalität, Liebe und Nachsicht es für beide Seiten braucht, ist ein tägliches Thema, wenn man so lebt und Kinder großzieht.
Toril Brekke zeichnet Figuren, an deren Stärke und Geduld man sich aufbauen kann.

(Winfried Stanzick; 03/2007)


Toril Brekke: "Die Frauen vom Fjord"
Aus dem Norwegischen von Gabriele Haefs.
Droemer, 2007. 443 Seiten.
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Toril Brekke, geboren 1949, ist eine der bekanntesten norwegischen Autorinnen und seit 1992 Vorsitzende des PEN-Clubs ihres Landes. Sie schreibt Romane und Erzählungen sowie Kinder- und Jugendbücher.

Ein weiteres Buch der Autorin:


"Linas Kinder"

Mit 17 Jahren begegnet Lina dem zwölf Jahre älteren Anton, der in einer Mittsommernacht am Fjord zum Tanz aufspielt. So beginnt die Geschichte einer Spielmannsfamilie, die Toril Brekke über mehrere Generationen hinweg erzählt. Meisterhaft versteht sie es, die Fäden der einzelnen Lebensgeschichten in der Hand zu behalten und miteinander zu verknüpfen, so dass vor den Augen des Lesers das vielschichtige Panorama einer Familie, aber auch eines Landes entsteht.
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