Egon Bondy: "Hatto"
Der Protest des Philosophen |
Ist denn Gott gezwungen zu sein? |
Nach Jahren des Lebens am Rande der Gesellschaft in den 50ern, dem
Studium der Philosophie und Psychologie und kurzer
Erwerbstätigkeit als Nachtwächter im Nationalmuseum
und ebenso kurzlebiger Schaffensphase als offiziell anerkannter
Schriftsteller, kehrte er nach dem Ende des Prager Frühlings
in den Untergrund zurück. Die Skepsis an den weltanschaulichen
Vorgaben des Regimes blieb sein Hauptmotiv im reichhaltigen, vor allem
lyrischen Schaffen. Aus seiner Perspektive des Samizdat-Dichters
verstärkte sich der Nonkonformismus - bis hin zur Emigration
aus seiner Geburtsstadt Prag nach
Pressburg, wo er im April 2007 starb.
Mit seinem Protagonisten, der historisch belegten Figur des
sächsischen Mönches
Hatto,
verbindet Bondy die Gelehrsamkeit, die innere Unruhe und den
Widerstandsgeist auf der Suche nach einem persönlichen,
unbeeinflussten Lebensweg. Hatto, der um das Jahr 900 die
ungelöste Thronfolge der Karolinger, nur an
persönlicher Macht und Vergnügen interessierte
Päpste und die Angriffe der Mauren auf das südliche
Italien erlebt, schreibt seinem Abt lange Briefe über seine
ausgedehnten Reisen durch Europa und mehr noch über seine
persönlichen Erkenntnisse. Angesichts des Elends, der
allgegenwärtigen Gewalt und der Endzeitstimmung dieser
mittelalterlichen Epoche stellt Hatto die Seinsfrage, fragt nach dem
Warum und gerät auf seiner philosophischen Suche nach
akzeptablen Antworten an den Rand der Gottesleugnung.
Doch Autor Bondy und - am Ende dieses Entwicklungsromans - auch Hatto
wissen, dass der Atheismus auf die drängenden Fragen der Zeit
keine Antwort geben kann, ohne dass diese Erkenntnis in ihrer Umkehrung
ein Gottesbeweis wäre. Bewiesen wird nur, dass lediglich die
Freiheit des Denkens und Glaubens und vor allem die Freiheit, eine
eigene Meinung zu haben und diese auch äußern zu
dürfen, menschliches Leid lindern kann.
Bondy hebt in seinem Roman den mehr als eintausend Jahre
älteren Hatto aus der Vergangenheit in die Zeitlosigkeit der
Geisteswelt. Das Nachdenken über die Grundfragen des Lebens
gibt der Philosophie einen Sinn, nicht aber der Philosophie als
akademischer Disziplin, sondern als persönlichem
Entwicklungsprozess.
Dennoch, oder vielleicht eben deshalb, ist dieses Buch über
den Dialog zwischen
Theologie
und Atheismus schwierig. Es fehlt an Handlung und Spannung;
Reflexionen und meditative Passagen aus einem meist düsteren
mönchischen Leben machen auch die Lektüre von nur 177
Seiten zu einer echten Herausforderung.
(Wolfgang Moser; 11/2007)
Egon Bondy: "Hatto"
Aus dem Tschechischen von Mira Sonnenschein.
Elfenbein Verlag, 2007. 180 Seiten.
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Egon
Bondy (20. Jänner 1930- 9.
April 2007), mit bürgerlichem
Namen Zbyněk Fišer, ist das wohl legendärste
Autorpseudonym aus dem
tschechoslowakischen Untergrund der 1970er Jahre. Trotz seines
umfangreichen
literarischen Werkes existierte er bis 1990 aber "offiziell" lediglich
als eine Gestalt in Bohumil Hrabals Erzählungen. Bereits in
den 1950er Jahren
lebte der antidogmatische marxistische Denker am Rande der
Illegalität. In
diese Zeit fällt auch seine stürmische Beziehung zu
der Tochter Milena Jesenskás
- Jana Krejcarová. Bondy verschrieb sich schon bald dem
"totalen Realismus",
einer auch von Hrabal
mitgetragenen künstlerischen Richtung.
Das Pseudonym
"Egon Bondy" wählte er aus Protest gegen den im sowjetischen
Einflussgebiet auflebenden Antisemitismus. Nach der
Niederschlagung des
Prager
Frühlings konnte Bondy, der
Philosophie
und Psychologie
studiert hatte, nur
noch im Untergrund veröffentlichen: Vertonungen seiner
Gedichte sangen die
Mitglieder der Gruppe "The Plastic People of the Universe",
deren spätere
Verhaftung den Anstoß zur Gründung der "Charta 77"
gab. Egon Bondy
lebte seit Anfang der 1990er Jahre bis zu seinem Tod in Bratislava,
seinem
selbstgewählten slowakischen "Exil". Zu seinem Werk
zählen auch
umfangreiche philosophische Schriften.
Lien zu Alban Nikolai Herbsts Text "WIE ICH BEINAHE MIT EGON BONDY
GESPROCHEN HÄTTE":
https://albannikolaiherbst.twoday.net/stories/3560819/
Ein weiteres Buch von Egon Bondy:
"Die
invaliden Geschwister"
Egon Bondys utopischer Roman "Invalidní sorouzenci" (1974)
spielt in
einer düsteren Zukunft im Jahr 2600. Auf dem letzten
Stück Festland, das von
einer langsam ansteigenden Brühe aus Abfällen
vorangegangener Generationen
umgeben ist, leben neben den "Offizieren", den "Heimgesuchten"
und den "ordentlichen Bürgern" die sogenannten "Invaliden",
denen das Bewusstsein für ihre eigene Geschichte abhanden
gekommen ist und die
sich nun auf die Suche nach einem Paradies in vorzivilisatorischem
Zustand
machen. (Elfenbein Verlag)
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Leseprobe:
Der Erzbischof begann nun damit, die wertvollen Gaben zu zeigen, die er
kürzlich
von den Herzögen erhalten hatte, weil sie seine
Unterstützung bei der
Forchheimer Wahl suchten: Goldenes und silbernes Geschirr, kostbare
Stoffe und
seltene Pelze, aber auch Kuriositäten und wertvolle
Nichtigkeiten wie die
Federn eines Pfaus oder der Schwanz eines Basilisken befanden sich
darunter
ebenso wie eine antike Karte mit der Darstellung der Erde. Der
Erzbischof
entfaltete die Rolle, um sie sodann voller Stolz als ein Geschenk der
Gesandtschaft des westfränkischen Königs zu
präsentieren. Er betonte, sie sei
wahrhaftig römischen Ursprungs, da hier, wie er
erklärte, Jerusalem entgegen
der Wahrheit nicht in der Mitte der Welt dargestellt worden war.
(Tatsächlich
handelte es sich, obgleich die Karte schon einige Jahrhunderte alt sein
musste,
um eine von einem ungelehrten Mönch angefertigte Kopie
späteren Datums.) Für
alle erkennbar war Jerusalem nachträglich in den asiatischen
Teil eingezeichnet
worden. Lesen konnten die Karte allerdings nur der Erzbischof, Salomon
und Hatto.
Die drei beugten sich also über das äußerst
seltene Werk. Keiner von ihnen
hatte eine solche Karte öfter als ein-, zweimal zu Gesicht
bekommen. Zuerst
konnte Hatto die Umrisse Italiens, dann aber auch schon leicht die des
Mittelmeers erkennen. Oberhalb im Süden Afrika, unten der
Norden mit Gallien
und Germanien und noch etwas tiefer die skandische und die englische
Insel. Ganz
unten jenes Ultima Thule, ein häufiger Gegenstand seiner
Überlegungen. Links
im Osten zog sich das Festland bis zum Land der Serren hin. Im Westen
endete es
mit einigen Halbinseln im Ozean. Auch die größten
Gebirgsketten und Flüsse
waren auf der Karte eingezeichnet. Doch Hatto benötigte eine
Weile, bis er
erkannte, wo das eigene Land zu finden war. Der Erzbischof, der bereits
einige
Zeit dem Studium der Karte gewidmet hatte, deutete den
geschätzten Gästen mit
seinem Finger die entsprechenden Umrisse an. Da - und da - und hier.
Hier
leben schon die Sarazenen und von hier aus ziehen die Heiden los. Hatto
betrachtete das Pergament mit größter
Aufmerksamkeit. Es war ein sehr
seltsames Gefühl, alles auf einer so kleinen Fläche,
auf der eine so große
Stadt wie Mainz gar nicht auffiel, aufgezeichnet zu sehen. Er folgte
konzentriert dem Finger des Erzbischofs, ja er forderte ihn auf, alles
noch
einmal zu zeigen ...