Zsuzsa Bánk: "Heißester Sommer"
Erzählungen
Sommer in der
Winterdepression
Blätter segeln herab; dicke bunte Herbstblätter. Es
ist ein sonniger Herbsttag. Der Park, in dem die Beiden spazieren gehen, ist
menschenleer. Man könnte sie für ein Liebespaar halten. Früher hat sie es
genossen, dass man glaubte, Lydia könne sich in eine Person wie sie verlieben.
Sie war richtiggehend stolz darauf und hat Gerüchte und Lügen verbreitet, um
Andere in ihrer Vermutung zu bestärken. Doch jetzt will sie nicht mehr, dass
dieser Verdacht aufkommt. Denn Lydias Anblick stößt sie ab: "Lydia sieht aus,
wie sie aussieht, weil sie
nicht
isst."
Doch fand die Liebesgeschichte ohnehin nur im Kopf statt. Was
also, so fragt man sich, hat die Protagonistin verloren? Hat sie nicht
vielmehr etwas gewonnen? Die Freiheit, nicht mehr den Zwängen einer frei
erfundenen Illusion zu unterliegen? Die Antwort auf diese Frage gibt Zsuzsa Bánk
in ihrem zwölf Geschichten umfassenden Buch "Heißester Sommer"
nicht.
Statt sich mit solch banalen Dingen wie Fragen und Antworten
abzugeben, tut sie das, was sie kann: Geschichten erzählen, die
Nebensächlichkeiten detailliert beschreiben, ohne bei den vordergründig
wichtigen Dingen konkret zu werden. Einzig die Stimmung der Geschichte gibt sie
vor. Doch auch hier ist Vorsicht angebracht, denn die Autorin spielt geschickt
mit der Erwartungshaltung des Lesers. Beispielsweise in der Geschichte "Letzter
Sonntag". Die Protagonistin Anna reist ab und hängt melancholischen Gedanken
nach. Doch als sie ins Freie tritt, ist ihr erster Gedanke "... jetzt wo du
gehst, kommt der Frühling". In diesem Satz liegt zweifellos Melancholie. Aber
auch ein Hauch von heidnischen Ritualen und Opferbereitschaft. Ein Opfer, das
gebracht werden muss, um einen Neuanfang machen zu können, ja vielleicht sogar,
um irgendwo anders Wurzeln schlagen zu können.
Der Erzählband "Heißester
Sommer" enthält ein Dutzend Geschichten, eine Zahl, die zahllose Deutungen
zulässt. Zwölf Monate hat das Jahr,
zwölf
Tierkreiszeichen gibt es, und Jesus hatte zwölf Jünger. Ob die Zahl der
Geschichten eine Bedeutung hat oder nicht, weiß der Rezensent nicht. Aber obwohl
alle Geschichten Gemeinsamkeiten aufweisen, ist jede einzelne von ihnen anders
als die anderen, wie auch jeder Monat anders ist. Alle handeln von der
Inhaltslosigkeit des Lebens, der Suche nach dem kleinen Glück, und von einer
anderen Warte als jener des Erzählers aus betrachtet, sind die Protagonisten
auch glücklich. Nur bemerken sie es nicht und rennen weiter
Erwartungen und
Hoffnungen hinterher, die unerreichbar bleiben. Oft zitiert wird "Nicht das
Ziel ist wichtig, sondern der Weg". Zsuzsa Bánk kehrt diese Weisheit in ihren
klar strukturierten, teils kühl erzählten Geschichten um. Viele haben "das Ziel"
bereits erreicht, machen sich aber wieder auf den Weg und verzetteln sich dabei
oder verschwinden in der Zeit wie ein Schiff im Nebel.
(Wolfgang Haan; 12/2005)
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Zsuzsa Bánk, 1965 als Kind ungarischer
Flüchtlinge in Frankfurt geboren, arbeitete als Buchhändlerin und studierte
anschließend in Mainz und Washington Publizistik, Politikwissenschaft und
Literatur. Heute lebt sie als Autorin in Frankfurt am Main. Für ihren ersten
Roman "Der Schwimmer" wurde sie mit dem "aspekte-Literaturpreis", dem
"Deutschen Bücherpreis", dem "Jürgen-Ponto-Preis", dem
"Mara Cassens Preis" sowie dem "Adelbert-von-Chamisso-Preis" ausgezeichnet. Für die Erzählung "Unter Hunden"
erhielt sie den "Bettina-von Arnim-Preis".
Weitere Bücher der Autorin:
"Der Schwimmer"
Ungarn 1956: Die Panzer rollen, der
Aufstand schlägt fehl, die Hoffnung scheitert, dass die Welt eine andere hätte
werden können. Ohne ein Wort verlässt Katalin ihre Familie und flüchtet über die
Grenze in den Westen. Ihr Mann Kálmán verkauft Haus und Hof und zieht fortan mit
den Kindern Kata und Isti durch das Land.
Während Kálmán in Schwermut
verfällt, errichten sich Kata und ihr kleiner Bruder Isti ihre eigene Welt: Isti
hört, was die Dinge zu erzählen haben - das Haus, die Steine, die Pflanzen, der
Schnee -, während Kata den Geschichten der Menschen zuhört, denen sie auf ihrer
jahrelangen Reise begegnet. Der genaue Blick der Kinder trifft auf eine Welt,
die sie nicht verstehen. Nur wenn sie am Wasser sind, an
Flüssen, an
Seen, wenn
sie dem Vater zusehen, wie er seine weiten Bahnen zieht und wenn sie selber
schwimmen - nur dann finden sie verzauberte Momente der Leichtigkeit und des
Glücks. Beide ahnen, dass ihr Leben erst beginnt.
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"Die hellen Tage"
In einer süddeutschen Kleinstadt erlebt
das Mädchen Seri helle Tage der Kindheit: Tage, die sie im Garten ihrer
Freundin Aja verbringt, die aus einer ungarischen Artistenfamilie stammt und mit
ihrer Mutter in einer Baracke am Stadtrand wohnt.
Aber schon die scheinbar heile Welt ihrer Kindheit in den 60er-Jahren des 20.
Jahrhunderts hat einen unsichtbaren Sprung: Seris Vater starb kurz nach ihrer
Geburt, und Ajas Vater, der als Trapezkünstler in einem Zirkus arbeitet, kommt
nur einmal im Jahr zu Besuch. Karl, der gemeinsame Freund der Mädchen, hat
seinen jüngeren Bruder verloren, der an einem hellblauen Frühlingstag in ein
fremdes Auto gestiegen und nie wieder gekommen ist.
Es sind die Mütter, die Karl und die Mädchen durch die Strömungen und
Untiefen ihrer Kindheit lotsen und die ihnen beibringen, keine Angst vor dem
Leben haben zu müssen und sich in seine Mitte zu begeben.
Zsuzsa Bánk erzählt die Geschichte dreier Familien und begleitet ihre jungen
Helden durch ein halbes Leben: Als Seri, Karl und Aja zum Studium
nach Rom
gehen, wird die Stadt zum Wendepunkt ihrer Biografien - und zur Zerreißprobe für
eine Freundschaft zwischen Liebe und Verrat, Schuld und Vergebung.
Nach ihrem hochgelobten Debütroman "Der Schwimmer" schreibt Zsuzsa Bánk
die bewegende Geschichte dreier Kinder, die den Weg ins Leben finden. "Die
hellen Tage" ist ein großes Buch über Freundschaft und Verrat, Liebe und
Lüge - über eine Vergangenheit, die erst allmählich ihre Geheimnisse enthüllt,
und die Sekunden, die unser Leben für immer verändern. (S. Fischer)
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