Carmen-Francesa Banciu: "Berlin ist mein Paris"

Geschichten aus der Hauptstadt

 

Amerikaner und Amerika-Liebhaber gibt es hier
wie Sand am Meer. Leider muss ich gehen.
Hier im Schlotzki´s trifft sich die Welt.
Wer sagt denn, Berlin wäre keine Weltstadt?

(Carmen-Francesca Banciu)


 

35 Jahre lang hatte sie keinen Schritt außerhalb der Grenze machen dürfen. Rumänien war dominiert vom Diktator Ceaucescu, der Geheimpolizei Securitate. Als dann der Kommunismus rundherum aufbrach, und Ceaucescu mitsamt seiner Frau erschossen wurde, begann eine neue Ära. Carmen-Francesa Banciu konnte unbehelligt ausreisen, Ferien machen.
Ihre erste Reise führt über Frankfurt nach Berlin. Sie ist so fasziniert von der Stadt, dass sie nochmals kommen möchte. Es bleibt schließlich nicht nur beim Kommen. Sie wird in Berlin ansässig, und ihre Familie folgt ihr nach.

Anfangs ist es schwierig. Sie fühlt sich überfordert. Die Stadt hat einen unglaublichen Rhythmus. Berlin ist in der Entwicklung. Sie ist in der Entwicklung. Die Sprache ist in Berlin in ihrem Kopf in Entwicklung. Sie schreibt rumänisch, bis die deutsche Sprache langsam zu ihrer Sprache wird. Nichts ist absolut. Es gibt keinen Anfang. Es gibt kein Ende. Es gibt nur ein Dazwischen. Auch ihre Geschichten über Berlin sind ein Dazwischen. Alles ist in Bewegung. Sie reflektiert über Gewesenes, Seiendes und Werdendes. Ihr Schreiben ist Deutsch. Sie will die Sprache erobern. Die Sprache erobert sie.

Berlin ist eine Baustelle. Der Potsdamer Platz liegt unter ihr, wenn sie aus dem Fenster ihres Arbeitszimmers schaut. Die Kräne und die Wolken sind ineinander verschränkt. Meist schreibt sie in einem Cafe. Im Cafe Adler am Checkpoint Charlie. Ein geschichtsträchtiger Platz, wo sie Geschichten erschafft. Sie liebt Berlin. Eine Stadt prägt. Und sie ist ein Teil der Stadt, und beim Urlaub in Spanien ist sie glücklich, wenn sie sagt, eine Deutsche zu sein. In Berlin wird eine Woche des "ausländischen Mitbürgers" abgehalten. Ein Ausdruck, der auch in Österreich einen scheelen Beigeschmack hat. Trotzdem hält sie eine Lesung. Obzwar kaum Zuhörer sich einfinden. Denn mit der Werbung insbesondere für die Lesung hat es nicht geklappt.

Die Liebesgeschichte zwischen Detlef und Yolanda ist das Herzstück des Buches. Es gibt auch einen Kopfteil, einen Bauchteil und Etwas, das alle Sinne anspricht. Das Buch entzieht sich allen Klischees. Eine Stadt ist eine Stadt ist eine Stadt. Die Stadt ist Berlin. Die Stadt ist nicht Paris, aber ihr Paris. Sie schreibt, sie fühlt, sie denkt, sie lebt. In Berlin. Es ist ihre neue Heimat.

Carmen-Francesca Banciu schrieb kein gewöhnliches Buch. Sie lebte auch nie ein gewöhnliches Leben. Sie wurde geprägt von ihrer Kindheit in Rumänien. Und sie freut und ängstigt sich, als sie zum ersten Mal auf dem Rummelplatz das Blut in ihrem Kopf hochsteigen fühlt, weil ihr ein Looping das Herz zuschnürt. Sie studiert Kirchenmalerei und Außenhandel in Bukarest. Sie setzt sich mit Politik auseinander, synchronisiert diese in eine poetische Struktur. Sie liebt es, Menschen zu beobachten und ihre Geschichten zu hören. Sie weiß, dass sie immer präsent sein muss. Nur dann kann sie als Autorin Neues bilden. Nie weghören. Immer im Jetzt. Mit Freude. Das Leben hat sich für sie gewandelt. Sie ist in Berlin. Die Entwicklung von Berlin zu Berlin dauert noch an. Und auch ihre Entwicklung ist nie zu Ende. Es gibt nur ein Dazwischen. Keinen Anfang und kein Ende. Berlin ist ein Dazwischen für viele Menschen. Und hat einen multikulturellen Kern. Das ist gut so. Sie hat ein Gefühl für die Menschen in Berlin. Und lässt den Leser mit auf die Reise gehen nach Berlin. Dabei bleiben Überraschungen nicht aus. Dem Buch sind viele Leser zu wünschen. Nicht nur Berliner. Berlin ist eine Weltstadt, weil sich die Welt in ihr spiegelt. Wer noch nie in Berlin war, und dieses Buch liest, wird Lust auf Berlin bekommen. Und wer schon in Berlin war, und dieses Buch liest, wird sich umso mehr freuen, schon mal dort gewesen zu sein.

(hei; märz 02)


Carmen-Francesca Banciu: "Berlin ist mein Paris"
Geschichten aus der Hauptstadt
Ullstein Berlin
191 Seiten
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