Paul Auster, Sam Messer: "Die Geschichte meiner Schreibmaschine"
Im Juli 1974 kehrte Paul Auster nach
dreieinhalb Jahren Auslandsaufenthalt nach New York zurück. Seine kleine
Hermes-Schreibmaschine war auf der Reise schwer beschädigt worden und musste so
rasch als möglich ersetzt werden. Der damals noch nahezu unbekannte Autor hatte
fast kein Geld in den Taschen. Woher also so schnell eine neue Schreibmaschine
nehmen?
Doch ein paar Tage später wurde Paul von einem alten Freund vom
College in dessen Wohnung zum Essen eingeladen. Er erzählte von seinem Problem,
und sein Freund bot ihm (gegen ein kleines Entgelt von 40 Dollar) eine
Reiseschreibmaschine der Marke "Olympia" (westdeutsches Erzeugnis) aus dem Jahre
1962 an. Paul stimmte dem Offert zu. Seit jenem Tag im Jahre 1974 tippte er
jedes Wort, das er schrieb, auf dieser Maschine.
Paul Auster besaß die
Schreibmaschine schon viele Jahre, als ihm Sam Messer begegnete. Der
Kunstprofessor und Maler war von Anfang an von der Schreibmaschine des Autors
fasziniert. Immer trug er einen Skizzenblock bei sich, was dazu führte, dass im
Laufe der Zeit viele Abbildungen der Schreibmaschine, und in einigen Fällen auch
des einzigen Benutzers dieses Gerätes, entstanden. Die Magie der Maschine
spricht aus den Bildern von Sam Messer. Er malte die Schreibmaschine als
lebendiges Ding, das zu lachen, oder als Monster, welches eine Sonnenbrille zu
tragen scheint. Er zeichnete sie detailgetreu und verschwommen. Er ließ Paul mit
den Buchstabentasten jonglieren und stellte die seit der berühmten
New York
Trilogie markante Frage, ob Paul Auster denn überhaupt Paul Auster sei?
Eine gewisse Besessenheit von dieser mechanischen Schreibmaschine ist Messer
wohl nicht abzusprechen.
Im Laufe der Zeit verlor das Gerät für Paul sein
seelenloses Dasein. Es war kein Handlanger mehr, sondern ein treuer Freund.
Niemand konnte ihn davon überzeugen, in die Tastatur eines Computers zu hämmern.
Die Chance, dass das Geschriebene mit einem einzigen Tastendruck oder bei einem
kurzen Stromausfall für immer und ewig verschwindet, war für Paul zu groß. Somit
schrieb er seine sämtlichen Romane und Erzählungen ohne eine einzige Ausnahme
auf dieser Schreibmaschine. Im Jahre 2000 kaufte sich der Autor 50 Farbbänder
(viel mehr wären kaum aufzutreiben gewesen), da er wusste, dass schon bald keine
mehr für diese Schreibmaschine passenden produziert werden würden.
In
Nacht des
Orakels macht sich die Hauptfigur auf die Suche nach spezifischen
Notizbüchern. Kann es sein, dass diese Notizbücher die Pauls Sehnsucht nach den
Farbbändern zum Ausdruck bringen, welche ihm möglicherweise kurz zuvor endgültig
ausgegangen sind? Zumindest zwei längere Romane hat Paul Auster nach dem Jahre
2000 fertig gestellt. Neben Nacht des Orakels noch Das Buch der
Illusionen. Nunmehr mag also vermutet werden, dass der Autor mit einer
anderen (möglicherweise wieder mechanischen?) Schreibmaschine an seinem neuesten
Roman schreibt.
Die Beziehung eines ungewöhnlichen amerikanischen Autors
zu seiner Schreibmaschine hat etwas Besonderes an sich. Er wollte sich zu keinem
Zeitpunkt von ihr trennen. Sie ist der einzige Gegenstand, den er über 25 Jahre
lang aufbewahrt und benutzt hat. Es ist eine erstaunliche Entdeckung, dass der
vielleicht innovativste US-Autor der Gegenwart sich jahrelang beharrlich
weigerte, Texte auf einem Computerbildschirm erscheinen zu lassen. Der Leser
wird nicht darüber aufgeklärt, ob sich dieser Zustand nunmehr verändert hat. Ein
kleines Geheimnis sollte aber ohnehin jeder Autor haben.
Ganz am Ende der
mit Sam Messers Skizzen und Bildern angereicherten Geschichte ist dem
Rezensenten etwas ins Auge gestochen. Zunächst schreibt Sam Messer Dankesworte
an jene Menschen, durch die dieses Buch in dieser Form entstehen konnte. Der
kleine Text stammt vom 10. September des Jahres 2001. Auf der darauffolgenden
Seite ist die Schreibmaschine vor der Skyline von New York abgebildet. Die
Zwillingstürme des World Trade Centers stehen in voller Pracht da. Hier mag also
eine
Botschaft ausgesendet werden, die der Leser und Betrachter dieses Buches für
sich interpretieren mag. Dem Rezensenten ist dieses Detail erst bei mehrmaliger
Sichtung der Bilder und einzelner Textstellen aufgefallen.
Wer die Werke
von Paul Auster schätzt, oder ihn zu seinen Lieblingsautoren zählt, sollte sich
der Anziehungskraft dieser wunderbar skizzierten und gemalten Erzählung nicht
entziehen können. Damit wird ein völlig neues Kapitel aus dem Leben des Autors
aufgeschlagen. Und Paul ein wenig über die Schulter schauen zu können, ist mehr,
als die meisten Autoren zulassen wollen. Das spricht ebenso für den Autor wie
jene autobiografischen Bezüglichkeiten, welche aus Von der Hand in den
Mund hervorgehen.
(Jürgen Heimlich; 09/2005)
Paul Auster, Sam Messer: "Die Geschichte meiner
Schreibmaschine"
(Originaltitel "The Story
of My Typewriter")
Deutsch von Werner Schmitz.
Rowohlt, 2005. 80
Seiten.
ISBN 3-498-00065-9.
Buch bei amazon.de
bestellen