Aharon Appelfeld: "Tzili"
Es ist Winter 1941. Die deutsche
Wehrmacht und die SS sind auf dem Vormarsch nach Osten. Auch in einem kleinen
Dorf irgendwo in Osteuropa spüren die Menschen, dass da etwas Gewaltiges auf
sie zukommen wird. Insbesondere die jüdischen Einwohner des Dorfes haben große
Angst, denn die Gerüchte über die Gräueltaten der Deutschen speziell an Juden
eilen den Soldaten weit voraus.
Als die Gefahr nicht mehr von der Hand zu weisen ist, entscheidet die Familie
von Tzili Kraus, deren Geschichte im Folgenden erzählt wird, zu fliehen und das
jüngste und ihrer Meinung nach dümmste Familienmitglied Tzili zur Bewachung
des ärmlichen Hofes zurückzulassen. So schwer diese Entscheidung auch für die
zehnjährige Tzili zu begreifen ist, sie wird dem jüdischen Mädchen das Leben
retten.
Sie flieht und schlägt sich die nächsten drei Jahre allein durch. Sie trifft
dabei die Hure Katharina, von der sie einiges lernt, was ihr später auf ihrer
Flucht weiterhelfen wird, sie trifft den Juden Mark, den sie lieben lernt und
von dem sie schwanger wird, und sie verliert ihn wieder.
Ihre letzte Zeit vor der Befreiung der Vernichtungslager durch die Alliierten
verbringt sie bei einer Bäuerin, die sie schlägt und misshandelt.
Niemand außer Mark hat sie auf ihrer ganzen Flucht eigentlich gut behandelt,
weil sie sich immer wieder als eine Tochter von Maria ausgibt, einer in ihrem
Heimatdorf und der ganzen Gegend berühmt-berüchtigten Prostituierten. Alle
verachten sie deswegen, besonders nachdem ihre Schwangerschaft nicht mehr zu übersehen
ist, aber niemand hält sie für eine Jüdin.
Auch von dieser Bäuerin flieht sie und schließt sich jüdischen Überlebenden
der Lager an und folgt ihnen auf ihrem Weg quer durch Europa bis an die Adria,
wo sie sich nach Palästina einschiffen wollen.
Aharon Appelfeld, der einem breiten deutschen Publikum erst durch seine jüngst
veröffentlichte Lebensgeschichte bekannt geworden ist, hat kürzlich in einem
lesenswerten Interview mit der "Zeit" darauf hingewiesen, dass er, ähnlich wie
Imre Kertész und Andere, die die
Lager und die Verfolgung der Juden als Kinder erlebt hätten, nicht historisch
über dieses Zeit schreiben könnten, sondern seine Aufgabe sei es, Vergangenheit,
Gegenwart und Zukunft zusammenzubinden.
"Tzili" muss als eines von Appelfelds gelungensten Beispielen dafür
gelten. Wer seine Lebensgeschichte gelesen hat, wird in dem Kind Tzili viel
Autobiografisches entdecken. "Tzili" ist ein wunderbares Stück Prosa,
das trotz allem Schrecklichen und Unsagbaren, das es be- und manchmal auch nur
umschreibt, so viel Hoffnung und Überlebenswillen ausstrahlt, dass es den Leser
ansteckt.
Das vorliegende Buch ist der vierte Band von Romanen Appelfelds , die DTV in
einer preisgünstigen und schön aufgemachten Ausgabe dem deutschen Publikum zur
Verfügung stellt.
Nachdem Aharon Appelfeld mit "Geschichte eines Lebens" nun auch
breiteren Leserschichten bekannt geworden ist, steht zu hoffen, dass DTV diese
Reihe fortsetzt. Bei 30 Romanen, die Appelfeld in Israel veröffentlicht hat,
sollte das kein großes verlegerisches Problem sein.
(Winfried Stanzick; 04/2005)
Aharon Appelfeld: "Tzili"
Übersetzt von Stefan Siebers.
dtv, 2005. 192 Seiten.
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Aharon Appelfeld, geboren 1932 in
der Bukowina, wurde mit acht Jahren von den Deutschen in ein ukrainisches Lager
verschleppt, aus dem ihm die Flucht gelang. Über Italien gelangte er nach dem
Krieg nach Palästina. Für seine in englischer und hebräischer Sprache erschienenen
Romane erhielt er mehrere Literaturpreise.
Drei weitere Bücher des Autors:
"Zeit der Wunder"
Österreich 1938. Der zwölfjährige Bruno kehrt mit seiner Mutter aus den
Sommerferien in seine Heimatstadt zurück. Da stoppt der Zug auf freier Strecke,
und eine klare Lautsprecherstimme schallt durch den Raum: Alle Ausländer sowie
Nichtchristen haben sich sofort registrieren zu lassen. Anzeichen des
heraufziehenden Unheils sind überall.
Nur Brunos Vater, ein gefeierter jüdisch-österreichischer Schriftsteller,
sucht unermüdlich nach Erklärungen für das Unerklärliche. Alle Demütigungen
schiebt er auf die Ostjuden. Als die früher so stille Kleinstadt sich immer
deutlicher gegen sie wendet und sich die verleumderischen Angriffe auf sein Werk
und seine Person verstärken, übernimmt er sogar grundlegend antisemitische
Positionen und verlässt Frau und Sohn. Er bleibt nicht der Einzige; auch vielen
anderen erscheint ihr Judentum jetzt als Makel. Bald darauf ruft der Rabbi alle
Juden der Kleinstadt in der Synagoge zusammen. Am nächsten Morgen steht der
Viehzug bereit ...
Bruno überlebt. Drei Jahrzehnte später kehrt er aus Jerusalem in die Stadt
seiner Kindheit zurück und wandelt auf den Spuren seines Vaters, auf der Suche
nach seiner eigenen Vergangenheit.
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"Geschichte eines Lebens"
"Manchmal genügt der Geruch von gammeligem Stroh oder ein Vogelschrei, um mich
weit weg und tief in mich hinein zu schleudern." Der dies sagt, der Schriftsteller
Aharon Appelfeld, war bei Ausbruch des Zweiten Weltkrieges sieben Jahre alt,
ein behütetes Kind assimilierter Juden in Czernowitz,
ein kleiner Junge namens Erwin. Seine Kindheit endet über Nacht: Deutsche und
Rumänen ermorden seine Mutter, er hört ihren Schrei. Als er nach Monaten im
Ghetto und dem Todesmarsch durch die Steppen der Ukraine im Lager eintrifft,
wird er von seinem Vater getrennt. Erwin gelingt die Flucht in die Wälder. Ein
Baum mit roten Äpfeln prägt sich dem Hungernden unauslöschlich ein.
Allein im Wald, umgeben von Tieren, versteckt er sich. Dann setzt Regen ein, es
wird kalt. Er klopft bei Bauern, gibt sich als christliches Waisenkind aus. Bald
hat er die Gesichter seiner Eltern, sein Zuhause fast ganz vergessen. Sechs
lange Jahre dauert der Krieg. Nach Aufenthalten in Durchgangslagern, wo Gaukler,
Schmuggler und Diebe gestrandete Kinder für sich arbeiten lassen, bringt ihn
ein Schiff nach Palästina. Er kommt allein und ohne Sprache, ein Vierzehnjähriger,
der alles verloren hat und von vorn beginnen muss. Von seinem Leben, wie es sich
Aharon Appelfeld heute zeigt, erzählt dieses berührende literarische Zeugnis,
ein kluges, poetisches Buch über den Kampf zwischen Erinnerung und Vergessen,
Reden und Schweigen - eines der großen Werke jüdischer Literatur (Rowohlt)
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