Alois Brandstetter: "Lebensreise"


Vielerlei Wissenswertes zu Literatur, Malerei, Kirche, dem heiligen Aloysius und manchem mehr

2015 erschien Alois Brandstetters Roman "Aluigis Abbild", worin sich der Autor mit seinem Namensvetter, dem heiligen Aloysius von Gonzaga (1568-1591), teils auf historischen Zeugnissen beruhend, teils fiktiv auseinandersetzt. Von seiner Frau mit einem Reisegutschein für eine Wallfahrt auf den Spuren des Renaissance-Heiligen beschenkt (und auf dieser von ihr begleitet), kamen weitere Erfahrungen hinzu, die nun unter anderem in seiner "Lebensreise" verarbeitet wurden. Will heißen, unter vielem anderen, denn Brandstetter, emeritierter Germanistikprofessor der Universität Klagenfurt, liebt das weitschweifige und frei assoziierende Erzählen. Und wer wagt es schließlich schon, mittendrin den Hörsaal zu verlassen, und wer legt schon - positiver formuliert - ein Buch, das immer wieder mit interessanten Informationen aufwartet, nicht zu Ende gelesen beiseite? Die Gefahr besteht freilich, dass man sich dergestalt so manches wenig Fesselnde anhören muss; am risikolosesten werden vielfältig an Kunst und Religion Interessierte, die bei ihrer Brandstetterlektüre von einem hohen Grundniveau ausgehen dürfen, unterwegs sein.

Drei thematische Gravitationsfelder kann man indessen in der "Lebensreise" ausmachen, die allein - keinerlei Kapitel unterteilen die geballte bildungsbürgerliche Ladung - für ordnende Gestaltung sorgen: der Heilige in seiner Zeit mit seiner römisch-katholischen Religion, seiner jesuitischen Ausbildung und seiner moralischen Rigorosität, welche über strenge Einhaltung äußerer Forderungen hinausgehend für einen frühen Tod des sich für Pestkranke aufopfernden Lombarden geführt hat; diverses biografisches Material aus der bisherigen Lebensreise des Autors, von seinen Erfahrungen in dem Bischöflichen Gymnasium Petrinum in Linz (welches man ihn, da er zu oft Karl May gelesen und sich ähnlich schändlichen Unternehmungen hingegeben, nicht beenden ließ) bis hin zu Geschichten aus dem Familien- und Freundeskreis; schließlich mit dem Beruf zusammenhängend die Welt der Literatur einerseits, die der Sprachwissenschaft andererseits, was dem Leser eine Vielzahl etymologischer Ausführungen beschert.

Häufig werden Anekdoten und Geschichten aus dem Literaturbetrieb, nicht zuletzt solche, bei denen der Autor eine Rolle spielte, eingestreut. Man erfährt etwa, warum Josef Winkler und Egyd Gstättner nicht mehr befreundet sind, dass (aber nicht warum) es bei Fabjan Hafners Begräbnis ganz fürchterlich geblitzt hat, und bei der ganzen Thematik führen die Gedankenverbindungen des Autors naturgemäß wiederholt zu dem irischen Jesuitenzögling James Joyce.
Ein weiterer prominenter Bereich ist Brandstetters "unglückliche Liebe
", wie es heißt, zur Malerei, zu den Alten wie El Greco und Rubens (welcher in "Aluigis Abbild" ein Porträt des Adelssprosses Aloysius anfertigen soll) und zu den Neueren wie Herbert Boeckl oder Ernst Fuchs und verdienstvollen Förderern wie Otto Mauer und Egon Kapellari.
Besonderes Anliegen ist dem Autor das Christentum im allgemeinen, der römische Katholizismus im besonderen, an dessen Schwinden aus dem öffentlichen und privaten Leben er sichtlich leidet, ohne dieser Entwicklung allerdings allzuviel entgegensetzen zu können, da hier ein stärkeres In-die-Tiefe-Gehen, als es seinen sich kaum über mehr als zwei Seiten erstreckenden Abhandlungskurzausflügen entspricht, vonnöten wäre. Aus seinen eigenen edukatorischen Bemühungen kann man nur (oder immerhin) ableiten, wie man es besser nicht macht, durchaus angebracht sind seine Hinweise auf unnötige, oft einer falschen Auffassung von Modernität entspringende Beleidigungen religiöser Einstellungen, kämpferisch gibt er sich nur ganz selten, wenn er etwa fordert, Heinrich den Achten von England statt "defensor fidei" "Henricus apostata" zu nennen.

Alois Brandstetters Deutsch ist bei alledem eines Germanistikprofessors würdig, ein wenig weitschweifig zwar auch in den Einzelsätzen, doch da seine Persönlichkeit zum Ausdruck bringend, dennoch leicht zugänglich und nicht ohne Wortwitz (wenn er beispielsweise über die unumgängliche Umgänglichkeit von sich zur Wahl stellenden Politikern spricht) und Selbstironie ("In Udine kennt Sie kein Mensch!"; S.134), sein Latein, indem er meist dem Leser die Übersetzung überlässt, sehr anspruchsvoll und sein Griechisch, auch wenn er sich einmal einer Tau-Theta-Verwechslung schuldig gemacht hat, sehr passabel.

(fritz; 01/2021)


Alois Brandstetter: "Lebensreise"
Residenz Verlag, 2020. 400 Seiten.
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