Ruth Klüger: "Marie von Ebner-Eschenbach"
Anwältin der Unterdrückten
Wie
weise Verbündete blicken zwei ältere Damen vom
bläulichen Buchdeckel. Zwar ist eine erkennbar nicht nach
heutiger Mode gekleidet, und man bemerkt auch sofort die
unterschiedlichen Macharten der Porträts. Dennoch
könnten sie Schwestern sein, oder wegen des Zeit- und
Altersunterschieds vielleicht (Groß-)Mutter und Tochter. Auch
die Fotografien am Anfang und am Ende des kurzen Buchtexts lassen eine
äußerliche Ähnlichkeit erkennen. Mit
Absicht? Ich weiß es nicht, aber stelle bei der
Lektüre der Festrede sofort eine tiefe Seelenverwandtschaft
zwischen der mährischen Schriftstellerin Marie von
Ebner-Eschenbach (1830 bis 1916) und der
österreichisch-amerikanischen Germanistin und Autorin Ruth
Klüger (geboren 1931) fest. Die
Sechsundachtzigjährige ist 2017 genauso alt, wie die
bedeutendste österreichische Erzählerin des 19.
Jahrhunderts wurde.
Wer ihre Werke über diese ehemalige Pflichtlektüre
österreichischer Schulen hinaus liest, wird rasch erkennen,
dass diese mehr ist als die Autorin der rührenden
Tiergeschichte "Krambambuli". Sie schrieb sich mit ihren
Erzählungen und Romanen zur sozialkritischen und politisch
bewussten Chronistin des Zeitalters unter Kaiser
Franz
Joseph, mit dem sie Geburts- und Todesjahr teilt.
Frauen lesen anders, lautet der Grundgedanke des
äußerlich schmalen und inhaltlich gewichtigen
Büchleins, wahrscheinlich der gesamten Wiener
Veranstaltungsreihe "Autorinnen feiern Autorinnen". Es ist
überdies der Titel eines viel beachteten Essaybands von Ruth
Klüger (dtv, 1996, ISBN 3-423-12276-5). Anders ist auch ihr
Schreiben, weil die Bedingungen des weiblichen Schaffens und das
kulturelle Erbe anders sind.
Um dies zu beweisen und das spezifisch weibliche Eingehen auf
Ungerechtigkeit und Unterdrückung im Werk Ebner-Eschenbachs zu
illustrieren, lenkt die in Wien als Tochter eines jüdischen
Frauenarztes geborene Literaturwissenschaftlerin gleich eingangs die
Aufmerksamkeit der Zuhörer- bzw. Leserschaft auf das
härteste Thema in der Geschlechterbeziehung, das sich "im
ausgehenden 19. Jahrhundert wahrlich nicht eignete für die
Feder einer Adeligen" (Seite 16f.): Vergewaltigungen und
deren Nachwirkungen im Leben der rechtlosen Mütter und
verachteten Kinder.
Schriftstellerei galt in Jugendzeiten der Grande Dame der
deutschsprachigen Erzählung noch als entschieden unweiblich.
Selbst Friedrich
Hebbel nannte die damals junge Frau "leider"
eine Schriftstellerin (Seite 34). Somit ist das Schildern des
Machtgefälles zwischen Mann und Frau, oft verstärkt
durch soziale Bruchlinien zwischen Reich und Arm, das eigentliche Neue
ihres an ein weibliches und männliches Publikum
gleichermaßen gerichteten Werks. Die Kraftprobe zwischen der
Selbstbehauptung der Benachteiligten einerseits und der Nachgiebigkeit
bis hin zur Unterwerfung andererseits wird zum Leitmotiv, das sie
erfolgreich vom Geschlechterverhältnis auf andere Formen von
Diskriminierung und Ausbeutung ausdehnt, auf Juden und sogar auf Tiere
wie Pferde und Hunde wie den geschundenen Krambambuli.
Denn Unterwerfung ist keine Tugend! Sie ist es nie gewesen und darf es
nie mehr werden, lehren uns die zwei sprachgewandten und klugen Frauen,
die literarischen Anwältinnen der Unterdrückten.
(Wolfgang Moser; 01/2017)
Ruth
Klüger: "Marie von Ebner-Eschenbach.
Anwältin der Unterdrückten"
Mandelbaum, 2016. 55 Seiten.
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Marie von Eber-Eschenbach: "Unsühnbar"
Zu jung, um die beste Partie Wiens abzulehnen; zu leidenschaftlich, um
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eine Katastrophe zu ...
Ein schillerndes Figurenensemble, sprühende Dialoge und
Seitenhiebe auf die Bigotterie des im Niedergang befindlichen
österreichischen Adels machen diesen Ehebruchsroman -
erschienen fünf Jahre vor "Effi Briest" - zu einer
Leseentdeckung. Eindrucksvoll unterstreicht er den Rang
Ebner-Eschenbachs als herausragende Autorin des deutschsprachigen
Realismus.. (Manesse)
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Daniela
Strigl:
"Berühmt sein ist nichts. Marie von Ebner-Eschenbach. Eine
Biografie"
Eine erstaunlich moderne Schriftstellerin und ihr vielschichtiges
Werk.
Die berühmteste österreichische Schriftstellerin des
19. Jahrhunderts wurde lange nur als "Dichterin der Güte"
wahrgenommen. Doch sie war viel mehr: Poetische Realistin,
Dramatikerin, Aphoristikerin, Fürsprecherin der Emanzipation,
Kämpferin gegen den Antisemitismus, Offiziersgattin,
Uhrmacherin und "Reitnärrin". In der ersten Biografie seit
1920 verfolgt Daniela Strigl Ebner-Eschenbachs Weg von ihrer Geburt im
südmährischen Zdislawitz bis zum späten
Ruhm. Zerrissen zwischen adeliger Herkunft und sozialer Gesinnung,
Ethos und Ironie, Ehrgeiz und Bescheidenheit, gesellschaftlichen
Rücksichten und der Leidenschaft für das Schreiben,
hielt Ebner-Eschenbach gegen den Widerstand ihrer Familie, gegen die
Häme der Theaterkritik unbeirrbar an ihrem Ziel fest.
(Residenz)
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