George Prochnik: "Das unmögliche Exil"
Stefan Zweig am Ende der Welt
Entwurzelte
Freiheit: Stefan Zweig und das unmögliche Leben im Exil
Als Stefan Zweig 1934 Österreich verlässt und nach
England ins Exil geht, ist er einer der erfolgreichsten und
meistgelesenen deutschsprachigen Schriftsteller seiner Zeit. Als
leidenschaftlicher Kosmopolit ist er es gewohnt, Kontinente und
Länder zu bereisen, Vorträge und Lesungen zu halten,
längere Aufenthalte zu gestalten, um dann wieder in sein
Salzburger Domizil zurückzukehren. Aber der erstarkende
Nationalsozialismus und schließlich die Machtergreifung
Hitlers nagen an seiner Lebensbasis. Zweigs
Bücher
werden im NS-Deutschen Reich verbrannt, ihr Vertrieb verboten. 1938
verliert er endgültig Beruf und Existenz in seiner Heimat,
schließlich seine österreichische
Staatsbürgerschaft. Nach Jahren der Wanderung von Exilland zu
Exilland landet er in Brasilien und scheidet dort Ende Februar 1942
gemeinsam mit seiner Frau Lotte aus dem Leben. Im Mai 1942
beschließt die Wiener Universität, Stefan Zweig den
Doktortitel abzuerkennen. Stefan Zweig ist im Deutschen Reich nicht
mehr existent.
Sein Freitod löste Bestürzung und Trauer aus, vor
allem in der Exilgemeinde, aber auch Unverständnis und
Irritationen. Schließlich war er einer der
Glücklicheren unter den Verfolgten. Er hatte keine
finanziellen Sorgen, er bekam Visa und Aufenthaltsgenehmigungen, er
erlangte die britische Staatsbürgerschaft, und er hatte eine
junge Frau an seiner Seite. Und er war ungebrochen produktiv. Trotzdem,
das Exil wurde für Stefan Zweig nach und nach, mehr und mehr
unerträglich und unlebbar.
Was war geschehen in diesen acht Jahren des heimatlosen Wanderns?
George Prochnik, Journalist und Schriftsteller in New York und selbst
Nachfahre von NS-Flüchtlingen aus Wien, versucht in einer
umfangreichen Studie mit dem Titel "Das unmögliche Exil" den
Bedingungen eines Lebens im Exil auf den Grund zu gehen. Mit Empathie
begleitet er Zweig auf der Suche nach einem sicheren Hafen fernab vom
Krieg und rekonstruiert die jeweiligen Lebensumstände.
Die Notwendigkeit zu entscheiden, wo er sich niederlassen sollte und
wollte, trieb Zweig seit Hitlers Machtergreifung an. Er war zwar 1934
aus Österreich weg und nach England ins Exil gegangen, wo er
offiziell in London und Bath lebte, er unternahm aber weiterhin Reisen
nach Wien und Salzburg und quer durch Europa. Vorzugsweise zu "Flüchtlingsstützpunkten",
wie Prochnik es nennt, in Frankreich, der Schweiz und Italien. "Eine
sich hinschleppende Kostümprobe vor der endgültigen
Trennung von Europa." Als der Krieg England erreichte,
wanderte Stefan Zweig in die USA aus, und als dort der Krieg an die
Tür klopfte, flüchtete er weiter nach
Brasilien.
Dort, wo andere Emigranten einen sicheren Ort sahen, witterte er eine
Gefahr.
Anfang der 1930er-Jahre war sein politischer Pessimismus noch Ansporn,
intensiver zu leben, für "Hunger nach Ferne und den
Wunsch diese Welt noch einmal rund zu sehen, ehe sie zusammenkracht".
In der Salzburger Sicherheit schrieb er 1929 in seiner Biografie
über Joseph Fouché einen "Hymnus des Exils", das
Exil als eine schicksalsschöpferische Macht, die im Sturz den
Menschen erhöhe, im harten Zwang der Einsamkeit neu und in
anderer Ordnung die erschütterten Kräfte der Seele
sammelt. Zu Beginn seiner eigenen Exiljahre begrüßte
er auch diesen Neubeginn als eine Möglichkeit zur Bildung
einer neuen Identität, ohne den Ballast des Alten. Zweig war
ein weitgereister Kosmopolit, der kein Land und keine Kultur
fürchtete. Aber was ein fortwährendes Wandern
wirklich bedeutet, musste er am eigenen Leib schmerzhaft erfahren. Zu
Beginn war er sich wohl noch nicht bewusst, dass Exil kein statischer
Zustand ist, sondern ein Prozess mit ungewissem Ausgang.
Für Stefan Zweig wurden die Jahre des Exils zu immer
höheren Stufen der Hoffnungslosigkeit. Außerdem
produzierte es Notwendigkeiten, die seine persönliche Freiheit
bestimmten, wie eine gleichsam erzwungene Solidarität mit
allen Exilanten und Juden und eine de facto erzwungene Notwendigkeit,
eine Ein-Mann-Wohlfahrtseinrichtung zu werden. Zu diesen allgemeinen
Exil-Erfahrungen kamen bei Zweig noch persönliche
Eigenschaften, welche die Situation schließlich
unerträglich machten. Gefühle des Getriebenseins,
depressive Stimmungen, außergewöhnliche Angst vor
dem Altern und das alles verbunden mit dem Bemühen, seine alte
Euphorie und Energie zurückzugewinnen. So sehr er Kosmopolit
und Pazifist war, so sehr war er auch Pessimist und dezidiert kein
politischer Kämpfer. Die Künstler könnten
den Lauf der Welt nicht ändern, war sein Credo. Dann lieber
aus dieser unheilvollen Welt gehen, der Freitod als philosophische
Antwort, wie er jenen von Egon
Friedell
kommentierte.
Während Prochnik alle Stationen und Bedingungen des Exils
detailreich ausleuchtet, liefert Zweig selbst in seiner Autobiografie
"Die Welt von gestern" am eindruckvollsten eine Schilderung der
stückweisen Zerstörung seiner intellektuellen
Identität und Lebenswelt. Sie begann schon lange vor 1934. Der
Verlust der Freude an seiner berühmten Autografensammlung und
der Bibliothek, die Bücherverbrennung der Nazis, die
Hausdurchsuchung, die Emigration und die Auflösung der
Salzburger Villa, Verlust der Staatsbürgerschaft. Schicht um
Schicht wird die Identität gehäutet. Und so sehr er
sich auch bemüht, er kann diesem Prozess nicht entkommen.
Nicht in England, nicht in den USA und schließlich auch nicht
in Brasilien. Genau diesen Prozess sichtbar zu machen, gelingt George
Prochnik in seiner lesenwerten Studie, die über das Schicksal
von Stefan Zweig hinausweist.
Zu Beginn ihres Aufenthaltes in Petropolis unweit von Rio de Janeiro,
Brasilien, waren die Eheleute Zweig noch wie verzaubert von der
üppigen Naturschönheit und sprachen vom Paradies, in
dem sie gelandet sind. Und sie versuchten, wie er in einem Brief
schrieb, die Welt zu vergessen, ebenso wie er wünschte, die
ganze Welt würde sie vergessen. Gleichzeitig wuchs das
Gefühl, nirgendwo hinzugehören und auch das
Gefühl, nirgendwohin gehen zu können. Seine Welt und
seine Zeit waren am Ende angelangt.
Gegen Ende des Jahres 1941 hatte Zweig in einem Brief an den Regisseur
und Schriftsteller Berthold Viertel geschrieben, dass das Leben ihrer
Generation besiegelt sei und sie keine Macht hätten, den Gang
der Ereignisse zu beeinflussen. "Diejenigen von uns, die
still ein Ende machten, waren vielleicht die weisesten; sie hatten ein
abgerundetes Leben, während wir noch an dem Schatten unserer
selbst weiter hängen." Zweig erlebte das Exil als
Ende ohne Neuanfang, als Vernichtung seiner gesamten Person, seiner
literarischen und materiellen Existenz, seiner
staatsbürgerlichen Heimat, seiner Identität. Am 23.
Februar 1942 setzte er diesem Zustand ein Ende - und nahm seine Frau,
die noch ein ganzes Leben vor sich hatte, mit.
(Brigitte Lichtenberger-Fenz; 10/2016)
George
Prochnik: "Das unmögliche Exil. Stefan Zweig am Ende der Welt"
C.H. Beck, 2016. 397 Seiten, mit 29 Abbildungen.
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