Robert Galbraith: "Der Seidenspinner"
Cormoran
Strikes zweiter Fall
Seitdem er den Mord
an
dem Fotomodell Lula Landry entdeckt und dann aufgeklärt hat,
eine Straftat, welche die Polizei zunächst für einen
Selbstmord gehalten hatte, steht Cormoran Strikes Telefon nicht mehr
still, und das Geld kommt regelmäßig in die
Betriebskasse. Aber jene Fälle, die Cormoran in der Regel
bekommt, sind nicht unbedingt nach seinem Geschmack. Untreuen
Ehepartnern für Reporter oder die jeweilige andere
Hälfte des Paares nachzujagen verschafft ihm nicht gerade
Erfüllung - auch wenn seine neuen Klienten offensichtlich sehr
große Brieftaschen besitzen. Trotz Robins Hilfe mit der
Büroarbeit und den Internetrecherchen ist Cormoran schwer
überarbeitet, und sein Beinstumpf macht sich deswegen auch
mehr und mehr bemerkbar.
Da kommt eine merkwürdige und ziemlich aufgelöste
Frau namens Leonora Quine in seine Detektei. Sie gibt von vornherein
bekannt, dass sie selbst nicht bezahlen kann, dafür aber
jemand Anderes für sie. Sie ist die Ehefrau des eher etwas
obskuren Romanautors Owen Quine, der, kurz nach der Bekanntgabe, dass
er ein neues Buch herausbringen würde , wie vom Erdboden
verschwunden ist. Angeblich soll er bei einer Art Autorenwerkstatt
sein, aber niemand möchte Leonora mitteilen, wo diese
Werkstatt genau abgehalten wird. Nach zwei Wochen Wartezeit hat sie
deswegen beschlossen, sich professionelle Hilfe zu holen.
Der Roman, um den es geht, trägt den Titel "Bombyx Mori", wie
der wissenschaftliche Name der Seidenraupe lautet. Es ist ein sehr
verdrehter und überaus pornografischer Roman, in dem der Autor
anscheinend mit allen Menschen in seinem Leben abrechnet, indem er sie
als überaus groteske Gestalten darstellt. Einige derjenigen,
die bereits Kopien von Auszügen oder sogar des ganzen
Manuskripts gelesen haben, haben sich bereits mit ihren
Anwälten in Verbindung gesetzt, um eine
Veröffentlichung des Romans - die Quines übliche
Verlegerin sowieso schon abgelehnt hatte - zu verhindern. Nun muss sich
Cormoran in diesen Abschnitt der Londoner Literaturszene einarbeiten,
um herauszubekommen, wohin der Gesuchte verschwunden sein
könnte.
Cormoran findet den Verschollenen dann auch vergleichsweise schnell,
aber in einem doch recht unerfreulichen Zustand und so hergerichtet,
dass es zur Schlussszene von "Bombyx Mori" passt, was den Kreis der
Verdächtigen ziemlich eingrenzt. Trotzdem scheint die
Lösung des Falles doch nicht so einfach zu sein, weswegen "Der
Seidenspinner" noch vergleichsweise lang weitergeht.
Neben diesem Fall muss sich Cormoran auch noch mit der Eifersucht von
Robins Verlobten Matthew, der Hochzeit
seiner eigenen Ex Charlotte, ständigen Schmerzen in seinen
Beinen und seinem Verhältnis zu seiner prominenten Familie in
zunehmendem Ausmaß auseinandersetzen. Und dann gibt es noch
einen geheimnisvollen Menschen im Schatten, der ihn mit einem scharfen
Messer verfolgt, und die mental herausgeforderte Tochter Quines, die
hier und da interessante Hinweise zu geben scheint. Es kann also
eigentlich keine Langeweile aufkommen.
Eigentlich. Denn die meiste Zeit kreisen Cormoran und Robin um einander
und um sich selbst, wobei gerade Robin immer wieder zu erstaunlichen
psychologischen Exkursen zum Fall ansetzt, die dann auch immer noch
erstaunlich zutreffend sind - und das selbst in regelrechten
Spezialabteilungen der Identitätsfindung. Es wird irrsinnig
viel geredet und gedacht, während die Handlung auf der Stelle
tritt und man sich als Leser tatsächlich immer wieder fragen
muss, wozu einzelne Abschnitte der Handlung denn jetzt noch dienen.
Die Handlungsmotivationen der Hauptcharaktere selbst sind nicht immer
nachvollziehbar, und nachdem man bis etwa Seite 400 jeden Millimeter
des gedanklichen und emotionalen Weges des Ermittlers zu betrachten
gezwungen ist, wird dann die Auflösung und der dazu
stützende Plan verschwiegen, bis er sich entfaltet - und ist
dann nicht sonderlich aufregend.
Dass daneben alle Charaktere bis auf Robin und Cormoran eher
Scherenschnitttiefe aufweisen, macht die Sache
naturgemäß auch nicht besser.
(K.-G. Beck-Ewerhardy; 11/2014)
Robert
Galbraith: "Der Seidenspinner"
(Originaltitel "The Silkworm")
Aus dem Englischen von Wulf Bergner, Christoph Göhler, Kristof
Kurz.
Blanvalet, 2014. ca. 640 Seiten.
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