Hazel Rosenstrauch: "Congress mit Damen"
Europa zu Gast in Wien 1814/1815
Geschichte(n)
in und aus Frauenhand: Diplomatie, Walzer und Wandel
Der gebürtigen Londonerin Hazel Rosenstrauch, in Wien
aufgewachsen, derzeit in Berlin ansässig, ist es zu verdanken,
dass man auf lediglich 164 in charmantem Plauderton gehaltenen
kurzweiligen Textseiten seriöse Informationen ebenso
interessant wie gut lesbar aufbereitet präsentiert bekommt.
Der Schwerpunkt liegt dabei bemerkenswerterweise auf der Rolle und der
Bedeutung von Frauen zur Zeit des Wiener Kongresses!
Ihre grundsätzliche Herangehensweise erläutert die
Autorin im Rahmen ihrer Netzpräsenz:
"Mich interessieren Aufbrüche und wie Individuen mit
dem Kater danach umgehen (bevorzugt um 1800); mich interessieren
Stigmatisierte, Träumer und Einzelgänger, Juden,
Kommunisten oder auch Henker ... und was auf sie projiziert wird. Ich
kann Geschichten nicht erdichten, dazu ist meine Loyalität
gegenüber den Fakten zu stark, was ich gerne mache:
überliefertes Material umbauen, verschiedene Perspektiven
wählen, schütteln und neu zusammensetzen. Ich suche
nach Worten für den Nebelstreifen zwischen Himmel und Erde,
Wissenschaft und Literatur/Politik und Personen ... Geschichte und
Geschichten."
Das angenehm handliche Buch gliedert sich in acht Kapitel: "Eine
großartige Idee" (Hazel Rosenstrauch beschreibt ihre
Pläne für internationale Jubiläumsfeiern,
die sich aus verschiedenen Gründen zerschlagen haben),
"Zweiter Anlauf", "Starke Frauen, schöne Männer",
"Zweite Gesellschaft, neue Sitten", "Wien wird anders", "Feste,
Geselligkeiten, Räume", "Wichtige Nebenfiguren", "Chaos und
Kuhhandel", "Gigue, französisch für
Hüpftanz", "Mehr Pirouetten, weniger Marsch".
Abschließend finden sich
Anmerkungen, Quellen und ein Abbildungsverzeichnis.
Gewiss, der vom häufigen Zitieren wohl schon saftlos gewordene
Satz ist wohlbekannt: Hinter jedem erfolgreichen Mann steht eine starke
Frau - allerdings gab es zu allen Zeiten Frauen, die sich von Natur aus
nicht damit begnügen mussten oder wollten; sie befanden sich
auf Augenhöhe mit erfolgreichen Männern. Allein,
politische Ereignisse aus bewusst weiblicher Perspektive zu betrachten,
stellt auch heute noch eine Rarität dar.
Hazel Rosenstrauch vermeidet jegliche billige Polemik
bezüglich des nach wie vor (und teilweise völlig zu
Recht!) betriebenen "Geschlechterkampfes", sie wirft jedoch
gelegentlich begründete Fragen auf, die
zeitgenössische Gleichberechtigungsbestrebungen betreffen. Das
Sympathische an der gewählten Darstellung ist die
natürliche Selbstverständlichkeit, die heitere
Lockerheit, mit der die Autorin ihr Buch verfasst hat. Es finden sich
darin weder verkrampfte Emanzensprüche, noch hohle
Rechtfertigungen oder pauschale Vorwürfe; vielmehr entsteht
anhand positiver Beispielfiguren ein beinahe zeitloses
Frauen(rollen)bild, dem man mit Vergnügen beipflichten kann.
Hazel Rosenstrauchs Augenmerk gilt also den zur Zeit des Wiener
Kongresses maßgeblichen Frauen, deren - mit heutiger Diktion
ausgedrückt - Vernetzung, Agieren, Präsenz in der
Öffentlichkeit sowie der überlieferten Wahrnehmung.
Ab und zu steuert die Autorin eine persönliche Frage oder
Schlussfolgerung bei, was dem Text eine Lebendigkeit verleiht, die man
leider allzu oft bei Sachbüchern vermisst.
Unweigerlich tauchen Fragen auf: Wie "modern" sind wir heute, was hat
sich seit Beginn des 19.
Jahrhunderts verändert, inwiefern
sind Frauen heutzutage "selbstverständlicher" in wichtigen
Positionen und Funktionen anzutreffen?
Wie kam es zum Wiener Kongress?
Napoleon wurde nach seiner triumphalen Rückkehr aus der
Verbannung von den Alliierten endgültig bei Waterloo
geschlagen und erneut, diesmal endgültig, verbannt. In
weiterer Folge wurde in der von Oktober 1814 bis Juni 1915 andauernden
als Wiener Kongress bezeichneten Versammlung über die
politische und wirtschaftliche Neuordnung Europas beraten und
entschieden.
Allerdings, so Hazel Rosenstrauch: "Die Probleme schienen
kaum lösbar, und wäre Napoleon
nicht aus Elba
geflohen und im Triumph nach Paris zurückgekehrt,
würde noch heute verhandelt. Nun hatte man einen gemeinsamen
Feind (...), und die Verhandlungspartner kamen zu einer schnellen,
wenngleich unvollkommenen Einigung. (...) Mit dem Erreichten waren
alle
unzufrieden." (S. 131)
Für Russland nahm Zar Alexander I. (ein notorischer
Verführer) daran teil, Preußen wurde durch Friedrich
Wilhelm III. repräsentiert, aus Frankreich reiste Talleyrand
an, England wurde von Lord Castlereagh, später von Admiral
Wellington vertreten - um nur einige der hohen Herrschaften zu nennen.
Freilich begaben sich die allesamt männlichen politischen
Entscheidungsträger nicht mutterseelenallein nach Wien zum
Gastgeber "dem guten Kaiser Franz" bzw. dem federführenden
Staatsmann Metternich (bekanntlich kein Kostverächter, sondern
ein verheirateter Mann mit zahlreichen Liebschaften), sie kamen mit
großem Gefolge. So brachte beispielsweise der russische Zar
seine Lieblingsschwester, Großfürstin Katharina
Pawlowna, mit.
"Auch wenn eine Frau nur in Ausnahmefällen Zarin und
Kaiserin werden konnte wie Katharina aus Anhalt-Zerbst oder Maria
Theresia, so waren erstaunlich viele als Beraterinnen und
Partnerinnen
ihrer Männer am politischen Geschehen beteiligt."
(S. 44)
Insgesamt reisten übrigens beinahe halb so viele Personen an,
wie die Stadt zu jener Zeit Einwohner zählte! Eine - wie man
heute sagen würde - logistische Herausforderung! Wer
hätte gedacht, dass zur nämlichen Zeit beispielsweise
die Dienstboten in der Innenstadt bis zu 40 Prozent der Einwohner
ausmachten (S. 70)?
Das politische Großereignis kurbelte die Wirtschaft
kräftig an, allerdings blieben auch heutzutage immer noch
wohlbekannte Schattenseiten nicht aus: Preissteigerungen für
Lebenshaltungskosten.
Ein weiterer Bereich florierte im Schatten der Weltpolitik: das
Spitzeltum, wovon umfangreiche Dossiers der Geheimpolizei Zeugnis
ablegen.
Unter den von Hazel Rosenstrauch erwähnten Damen befinden
sich, das liegt in der Natur der Sache, denn über hochstehende
und bekannte Personen existieren gut auswertbare Aufzeichnungen, in
erster Linie prominente, gebildete, etablierte Frauen der Aristokratie
sowie des Geldadels, des aufstrebenden Bürgertums, jedenfalls
der Oberschicht, manche ausnehmend schön, andere mit weniger
Liebreiz ausgestattet, aber auch Angehörige der von Hazel
Rosenstrauch als "Gemeinschaft dritter Art"
bezeichnete Frauen und Gespielinnen werden vorgestellt.
Nachstehend eine auszugsweise Nennung damaliger Akteurinnen aus
unterschiedlichen Bereichen: Kaiserin Ludovica, Molly Zichy-Ferrari,
Fürstin Marie Esterházy, Katharina Bagration, Lulu
Thürnheim, Wilhelmine von Sagan, Eleonore von Metternich,
Gräfin Elise Bernsdorff, Baronin Fanny von Arnstein, Caroline
Pichler, Dorothea Schlegel, Emilia Bigottini, Rosalie Morel, ...
Die Anwesen der Hocharistokratie, die noblen Salons, die
Kaffeehäuser, die Ballsäle, ja, selbst die
einfachsten Beiseln dienten als Versammlungsorte für
Unterhaltungen und mancherlei Lustbarkeiten und nicht zuletzt als
Nebenschauplätze der offiziellen Verhandlungen. Musikerinnen,
Tänzerinnen, Schauspielerinnen, Damen des ältesten
Gewerbes der Welt - sie alle waren monatelang damit
beschäftigt, die Besucherschar bei Laune zu halten. Allerorten
stürzte man sich in Unkosten, um glanzvolle
Gesellschaftsereignisse zu inszenieren, die Kulturschaffenden gaben ihr
Bestes, Wien unterließ keine Bemühung, um als
perfekter Veranstaltungsort wahrgenommen zu werden: "Man hat
in Wien ein eigentümliches Geschick ... so zu sagen historisch
erworbene Routine - im Festordnen, Dekorieren, wofür die
südlichen Völker überhaupt mehr
natürlichen Sinn besitzen, ist der Österreicher
Meister." (S. 65)
In der Theatermetropole und Musikstadt Wien verstand man, rauschende
Feste zu feiern und prunkvolle Abendgesellschaften abzuhalten. Diese
Fähigkeit der Wiener wurde auf eine harte Probe gestellt,
denn: "Der Kongress war ursprünglich für
vier bis sechs Wochen geplant, und als er länger dauerte,
konnte man das Festprogramm nicht einfach abstellen." (S. 79)
Es wurden weder Kosten noch Mühen gescheut, um die
anspruchsvollen Gäste bei Laune zu halten: Bälle,
Jagden, Konzerte, Opern.
"Ohnehin war das soziale Leben in
Wien sinnlicher und naiver als im protestantischen Norden, auch
darüber haben sich Reisende immer wieder ausgelassen -
hämisch und neidisch. Man war katholisch und lebte in einem
Vielvölkerstaat, was - vorerst - auch nationalistische
Leidenschaften dämpfte." (S. 43)
Der Wiener Kongress fand in bewegten Zeiten statt, viel stand auf dem
Spiel. Umso bemerkenswerter die hartnäckige Leichtigkeit, mit
der sich die ganze Stadt monatelang schmückte, um an
möglichst vielen Schauplätzen eine entspannte
Atmosphäre zu schaffen, den hohen Herrschaften Zerstreuungen
aller Art zu bieten, um für kreative Gespräche Raum
zu schaffen. Wie man sieht, sind "Wohlfühlrahmenprogramme"
keineswegs Erfindungen späterer Generationen.
"Nur 'die Preußen', heißt es in einem
Bericht, 'brauchten lange, um zu begreifen, dass die Lustbarkeiten
für ein Klima der Toleranz sorgen'." (S. 82)
Hazel Rosenstrauchs Ausführungen beleuchten aber nicht nur die
Geschehnisse während des Wiener Kongresses, sondern auch die
je nach Land unterschiedliche Rezeptionsgeschichte, die weiteren Folgen
und Entwicklungen - bis zur Europäischen Union, wobei in
diesen Abschnitten das Thema "Frauen" nicht mehr so stark
präsent ist.
Hervorragend recherchierte Fakten werden aufschlussreich
präsentiert, anhand zahlreicher Auszüge aus
persönlichen Aufzeichnungen von Zeitzeugen sowie unter
Einfügung interessanter Schwarzweißabbildungen
(Porträts Prominenter, Möbel, Kleidung,
Stadtansichten, ...) ergibt sich ein lebendiges Bild jener Monate, als
Wien gewissermaßen die Hauptstadt Europas und Schauplatz
wechselnder Allianzen war.
Hazel Rosenstrauch führt dem Leser ebenso kundig wie humorvoll
einstige Sitten, Gebräuche, Moralvorstellungen und
Gepflogenheiten, aber auch die beginnende Auflösung von
Standesgrenzen, vor Augen.
Sprachwitzige Ausführungen wie beispielsweise diese "(...)
kam Turnvater Jahn, der 'Urahn aller Sportlehrer' nach Wien und
erregte
mit seinem langen Bart, altdeutscher Tracht, schmutzigen Stiefeln und
flammenden Reden für ein kräftiges deutsches Reich
unter preußischer Führung einiges Aufsehen. Der
teutonisch tümelnde Waldschrat konnte in Wien nicht so
beeindrucken, wie er es aus Berlin gewohnt war, und fuhr bald ab"
(S. 92) gehören zum abwechslungsreichen stilistischen
Repertoire der Autorin.
Anzumerken ist, dass in einem Buch, dem man doch die grundlegende
Sympathie der Autorin für Wien anzumerken meint, noch dazu in
einem österreichischen Verlag erschienen, der Fauxpas
"Aprikosen" (S. 83) besonders befremdet. Überdies wirken "Events"
(ebenfalls S. 83) sowie "Masterplan" (S. 124) in
einem historischen Sachbuch über den Wiener Kongress
unglücklich gewählt, zumal von der Trägerin
des "Österreichischen Staatspreises für
Kulturpublizistik" des Jahres 2012!
Abgesehen von diesen sprachlichen Ausrutschern handelt es sich bei
"Congress mit Damen" um ein vortreffliches Sachbuch. So ansprechend
kann und sollte Geschichte präsentiert werden!
(kre; 10/2014)
Hazel
Rosenstrauch: "Congress mit Damen.
Europa zu Gast in Wien 1814/1815"
Czernin, 2014. 188 Seiten.
Buch
bei amazon.de bestellen
Digitalbuch
bei amazon.de bestellen
Weitere
Buchtipps:
Christa Bauer, Anna Ehrlich: "Der Wiener Kongress. Diplomaten,
Intrigen
und Skandale"
Aus ganz Europa strömten im Herbst 1814 Könige mit
ihren Familien, Hocharistokraten und Damen mit ihrem Gefolge,
Diplomaten und Abgesandte mit ihren Sekretären, aber auch jede
Menge Menschen, die einfach Geld verdienen wollten, nach Wien. Die
Freude über Napoleons Niederlage wurde von den Siegern
ausgiebig gefeiert, ein Fest folgte dem anderen, der Kongress "tanzte",
liebte und intrigierte. Doch in den Ausschüssen wurde unter
dem Kommando des Staatskanzlers Metternich auch gearbeitet. Die
Verhandlungen gestalteten sich äußerst schwierig.
Trotzdem gelang es, eine europäische Friedensordnung zu
schaffen, die ein halbes Jahrhundert lang hielt.
Dieses Buch erschließt die historischen
Zusammenhänge, führt aber auch in Konferenz- und
Ballsäle, in die Amtsstuben der Geheimpolizei und in die
Salons der großen Damen. Der Wiener Kongress, historisch
genau und spannend erzählt. (Amalthea)
Buch
bei amazon.de bestellen
Brigitte
Mazohl, Karin
Schneider, Eva Maria Werner: "Europa in Wien. Who is Who beim Wiener
Kongress 1914/15"
Während des Wiener Kongresses bildete die Hauptstadt der
österreichischen Monarchie das politische und
gesellschaftliche Zentrum Europas. Schätzungen zufolge hielten
sich bis zu 100.000 Gäste in der Stadt auf. Monarchen,
Staatsmänner und Diplomaten, aber auch Künstler,
Lobbyisten, Glücksritter, einflussreiche Frauen und viele mehr
kamen in Wien zusammen. Wer waren all diese Kongressteilnehmer, wo
bewegten sie sich und wie tagten sie? Und was hat es mit dem Mythos
vom
tanzenden Kongress auf sich?
Die Historikerinnen Brigitte Mazohl, Karin Schneider und Eva Maria
Werner gehen diesen Fragen nach und verknüpfen Politik,
Gesellschaft und Medien zu einem faszinierenden Bild Wiens zur
Kongresszeit. Darüber hinaus stellen sie etwa 250 Teilnehmer
in Kurzbiografien vor. Auf diese Weise beleuchtet ihr Buch nicht nur
wichtige Hintergründe jenes europäischen
Großereignisses, sondern entwirrt auch das Geflecht der
zahlreichen Akteure. (Böhlau)
Buch
bei amazon.de bestellen
Eberhard Straub: "Der Wiener
Kongress" zur Rezension ...
Das große Fest und die Neuordnung Europas