Mario Vargas Llosa: "Ein diskreter Held"
Ein Wiedersehen mit alten Bekannten
in einer korrupten Welt
Mario Vargas Llosas Roman "Ein diskreter Held" hält für die Leser, die
mit dem Schaffen des 2011 mit dem Literaturnobelpreis ausgezeichneten
Peruaners vertraut sind, einige Überraschungen bereit.
"Lass Dich niemals herumschubsen", ist die Botschaft, die
Felicito Yanaqué, Transportunternehmer, von seinem Vater mitgenommen
hat. Vom Lastwagenchauffeur hat er es zum Busunternehmer geschafft. Er
lebt sein Leben in Ruhe, führt eine lieblose Ehe, in die er, wie er
vermutet, durch eine Unwahrheit gedrängt wurde. Seine beiden
mittlerweile erwachsenen Söhne sind im Unternehmen beschäftigt. Er hat
eine reizende Geliebte, der er die Wohnung finanziert, und eine
Wahrsagerin, die ihn immer wieder vor dem Bösen schützt. Sein in ruhigen
Bahnen verlaufendes Leben wird durch einen anonymen Brief ins Wanken
gebracht. Der Schreiber des Briefes, der mit der Zeichnung einer Spinne
signiert ist, fordert Felicito Yanaqué auf, monatlich eine bestimmte
Summe Schutzgeld zu zahlen, da er sonst bitter bereuen würde. Natürlich
weigert er sich. Er löst dadurch eine Kettenreaktion aus, die sein Leben
für immer verändern wird.
Ein zweiter Protagonist ist der Inhaber einer Versicherung, Ismael
Carrera, auch Witwer, der sich dazu entschieden hat, seine um einige
Jahre jüngere Haushälterin zu ehelichen. Mit zwei widerlichen Söhnen
gesegnet, die nur darauf warten, ihren Vater zu beerben und das Geld zu
verprassen, ist ihm die Entscheidung zu Gunsten seiner Haushälterin umso
leichter gefallen. Das alles erzählt er bereits im zweiten Kapitel Don
Rigoberto, den er gleichzeitig darum bittet, sein Trauzeuge zu werden.
Ja, Don Rigoberto ist genau der Rigoberto, den eifrige Leser des
großen Peruaners bereits aus "Lob der Stiefmutter" und "Die geheimen
Aufzeichnungen des Don Rigoberto" kennen, natürlich inklusive seiner
Lucrezia und dem Sohnemann Fonchito, der möglicherweise doch nicht so
leicht mit den Verführungen seiner Stiefmutter zurechtgekommen ist,
unheimliche Begegnungen hat, die entweder Hirngespinste oder Begegnungen
mit dem Teufel
schlechthin sein könnten.
Vargas Llosa lässt Ismael Carrera nach seiner Vermählung abreisen und
ermöglicht sich so, den Tonfall seiner früheren Rigoberto-Romane
aufzugreifen und das mittlerweile etwas weniger frivole Ehepaar als
betrachtendes, vermutendes Erzählerduo agieren zu lassen. So gelingt ihm
virtuos der Spagat zwischen den beiden Erzählsträngen, die, wie man
richtig vermutet, am Ende irgendwie zu doch nicht ganz geahnten
Schnittstellen finden.
Unter den Polizisten, die den Fall Yanaqué bearbeiten, ist auch Sergeant
Lituma, das immer wieder erscheinende polizeiliche alter ego des Autors,
bekannt aus Romanen wie "Tod in den Anden" und "Wer hat Palomino Molero
umgebracht" (dort allerdings noch als Gendarm). Durch Lituma stellt
Vargas Llosa auch eine recht interessante Querverbindung zu seinem
vielschichtigen Roman "Das grüne Haus" her. Dann ein ebenfalls bekannter
Polizeichef, der mit viel Fingerspitzengefühl eine überraschende Wendung
herbeiführt.
Im Mittelpunkt dieses Romans stehen aber zwei alternde Männer, die
ihre Prinzipien und Werte leben. Beide werden von ihnen nahe stehenden
Menschen hintergangen, beide rächen sich bitter, auf unterschiedliche
Art und Weise.
Durch die zustandekommenden Querverbindungen, die, bei aller
Wertschätzung, doch etwas zu konstruiert erscheinen, ergeben sich
nichtsdestotrotz interessante neue Perspektiven, die diesen Text in
neuem Licht erscheinen lassen.
"Ein diskreter Held" reiht sich stilistisch eher in die lockeren,
heiteren Romane des peruanischen Autors ein, am Anfang ist man sogar
fast geneigt zu glauben, man würde eine Satire lesen. Oder gar eine Art
literarische Telenovela? Die Beschreibungen der begleitenden Frauen (von
der Sekretärin bis zur Geliebten) sind sehr ähnlich und orientieren sich
an der Üppigkeit des Busens und dem mehr oder weniger koketten
Augenaufschlag. Allerdings wird mit der Zeit klar, warum Vargas Llosa
hier so drastisch Klischees zu Hilfe nimmt.
Die Übersetzung ist meist recht überzeugend, ob einige stilistisch nicht
ganz überzeugende, weil für Romane des Peruaners doch etwas zu flapsige
Wendungen vom Autor oder vom Übersetzer stammen, kann der Rezensent
leider nicht beurteilen. Vielleicht aber auch ein Versuch des Autors,
dem Tonfall der "Jugend"
etwas näher zu kommen?
Wie kann man mit Würde und Anstand in dieser korrupten Welt überleben,
ohne dabei auf die Liebe
verzichten zu müssen? Das könnte die Frage gewesen sein, die
Ausgangspunkt für diesen sehr unterhaltenden Roman war, der allerdings
nicht zu den stärksten Texten des Autors gehört. Nichtsdestotrotz
bereitet es allerdings Freude, diesem so leichtfüßig scheinenden
Erzählfluss zu folgen, der zusätzlich erstmals im Schaffen des Autors
das Zeitalter des Internets
in die sonst eher traditionelle Szenerie einfließen lässt.
Empfehlung.
(Roland Freisitzer; 10/2013)
Mario
Vargas Llosa: "Ein diskreter Held"
(Originaltitel "El héroe discreto")
Aus dem Spanischen von Thomas Brovot.
Suhrkamp, 2013. 381 Seiten.
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