Edo Popović: "Der Aufstand der Ungenießbaren"
Der Beginn des Buches ist
kryptisch. Zwei anonyme Menschen, namenlos, alterslos, welche weggehen
werden - ob es ein besserer Ort sein wird? Wir wissen es nicht.
Das Buch spiegelt eine Gesellschaft wider, in der das Kapital seinen
Siegeszug angetreten hat, der Widerstand ist gering, nur von kleinen
Gruppen aktiv betrieben, aber dafür umso blutiger. Doch selbst bei der
grausamen, gnadenlosen Exekution eines erfolgreichen, (erfolgreich
zumindest in der Sprache des Kapitalismus), Managers begegnen wir
Poesie. Der slowenische Dichter Tomaz Salamun wird vom Autor zitiert: "Wie
traurig hängt ein Hemd, das vom Körper verlassen wurde".
So weise und treffende Sätze wie zum Beispiel "Held ist
üblicherweise nur eine andere Bezeichnung für Massenmörder" machen
dieses Buch zu einem Lesevergnügen. Der blutige Balkankrieg wird einem
via Erinnerungsfetzen eines Protagonisten ins Gedächtnis gerufen. Eine
ganz prägnante Stelle ist jene, in dem dieser Protagonist recht
anschaulich erklärt, wie sinnlos die meisten Kriege sind. Er beschreibt
einen Kriegsschauplatz, der weder strategisch wichtig ist, noch
irgendeinen anderen Wert besitzt. In einer Art Todestanz wird in
wechselnden Angriffen zunächst dieser Standort von der kroatischen, dann
wieder von der serbischen Seite eingenommen. Sinnloser Tod ist der
einzige Gewinn, ein hirn- und seelenloses Treiben bei dem es nur
Verlierer geben kann.
Doch dieser Bürgerkrieg wurde zwar offiziell beendet, aber er wird nie
wirklich enden: Der Kampf, die Sieger und die Verlierer, die Hegemonie,
die Verletzungen, welche wir einander aus lauter Gier und Paranoia
ständig zufügen, der gewaltsame Tod, der Hass, die Angst, sind Teil
unserer Natur.
Wir werden mit der Hybris, mit der grenzenlosen Anmaßung der Menschheit
konfrontiert. Anhand einer Symbolfigur wie etwa Richard Löwenherz
bekommen wir eindrucksvoll illustriert, wie Geschichte und
Geschichtsfälschung funktioniert. Löwenherz ließ 1189 die Juden in
London abschlachten, 1189 liquidierte er 300 Gefangene im "Heiligen
Land", darunter viele Kinder und Frauen. Aber eingekerkert wurde er
nicht aufgrund dieser Verbrechen, sondern weil er den Neffen von Leopold
V. beseitigt hatte. Die Kirche exkommunizierte daraufhin Leopold V. und
nicht Löwenherz, die katholische Kirche war viele Jahrhunderte auf der
Seite der Mörder und Verbrecher, sie stellte nicht zuletzt viele davon
selbst zur Verfügung. Löwenherz konnte sich mit 65.000 Pfund Sterling
aus seiner Haft freikaufen. Dieser Mann wurde zu einem der
Nationalhelden stilisiert, wird auch z.B. bei "Robin Hood" zu einem
armen Opfer und integeren und guten Menschen erhoben. Das muss hiermit
schon gesagt werden: "Robin
Hood" ist ein furchtbar unsägliches Werk, verlogen und
folkloristischer Kitsch.
Aber so werden Massenmörder, Initiatoren von furchtbaren Verbrechen zu
unsterblichen Helden erhoben, bekommen sogar noch durch dubiose
literarische Schöpfungen den Nimbus eines edlen und gütigen Übermenschen
verpasst, und das nur, weil sie auf der Seite der Sieger und
herrschenden Klasse standen.
Terrorismus ist eine radikale Form des Widerstandes gegen einen
allmächtigen Staat, gegen übermächtige Firmen und Banken etc., welche
glauben, die einzige Wahrheit gepachtet zu haben, im Moment ist es die
Wahrheit des Geldes, der Marktwirtschaft, einer oft fadenscheinigen
Demokratie. Der Terrorist "Gärtner" ist ein Produkt einer Welt, welche
den einzelnen Menschen zum hilflosen, fremdbestimmten Wesen macht. Er
ist ein Psychopath durch und durch, sehr intelligent, kalt und zynisch.
Man kann ihm einen gewissen Humor nicht absprechen, seine Opfer werden
sich aber im wahrsten Sinne des Wortes totlachen.
"Der Aufstand der Ungenießbaren" ist einige Jahre in der Zukunft
angesiedelt, mit vielen Rückblenden gespickt, doch die Gegenwart ist
ständig zu spüren. Satirische Passagen und Science Fiction-Elemente
entlasten den Leser keineswegs von dem Grauen und Schrecken, welche ihm
mit jedem Satz entgegenspringen. Wir erkennen unsere Welt, zumindest
einen Ausschnitt von dieser, welchen wir doch ständig nur allzugerne
ausblenden möchten. Auch Josef Fritzl begegnen wir in diesem Buch
indirekt wieder, er ist jetzt eine Touristenattraktion; zweifellos würde
der narzisstische Psychopath dieses imaginäre Szenario genießen.
Der Rezensent hat die Lektüre dieses Buches auf jeden Fall sehr
genossen, auch wenn ihm regelmäßig ein eiskalter Schauer über den Rücken
gekrochen ist. Edo Popović kann kunstvoll schreiben, das Suchtpotenzial
seiner Lektüre ist sehr hoch. Das Buch unterhält auf hohem Niveau, es
propagiert unangenehme "Wahrheiten", es schmerzt, aber diese Schmerzen
sind revitalisierend, regen zum Nachdenken an.
Popović ist im Moment sicher einer der besten Autoren, der Rezensent
liebt seine Sprache, seinen Stil, seine raffinierte, verwobene
Erzählweise. "Der Aufstand der Ungenießbaren" ist eine Pflichtlektüre
für alle Freunde von besonders guter, intelligenter und anspruchsvoller
Literatur.
(Josef Huber; 11/2012)
Edo Popović: "Der Aufstand der
Ungenießbaren"
(Originaltitel "Lomljenje Vjetra")
Aus dem Kroatischen von Alida Bremer.
Luchterhand Literaturverlag, 2012. 192 Seiten.
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Edo Popović, geboren 1957,
lebt in
Zagreb. Er war Mitbegründer einer der einflussreichsten
Untergrundliteraturzeitschriften des ehemaligen Jugoslawiens, in den
Jahren 1991 bis 1995 arbeitete er als Kriegsberichterstatter, dessen
unideologische Reportagen ebenso angesehen wie gefürchtet wurden. Sein
erster Roman "Mitternachtsboogie" avancierte zum Kultbuch seiner
Generation, mit den folgenden Romanen und Erzählbänden (u.A. "Ausfahrt
Zagreb-Süd", "Kalda", "Der Spieler") wurde Popović zu einem der
aufregendsten osteuropäischen Erzähler.
Weitere Bücher des Autors:
"Ausfahrt Zagreb-Süd"
Sie haben die 40 längst überschritten, der Krieg im ehemaligen
Jugoslawien hat sie ihrer besten Jahre beraubt. Sie sind zu alt für Rock
& Roll, aber zum Sterben noch zu jung. Bebas Erfolg als
Schriftsteller liegt schon eine Weile zurück, er irrt alkoholselig durch
sein Restleben. Seine Frau rettet sich in die virtuelle Welt und nutzt
die E-Mail als Therapieersatz. Sein Freund, der ehemalige
Rechtsanwalt Kanceli, haust, von seiner Familie verlassen, in einer
ausgeräumten Wohnung. Die Versprechen der Demokratie: für Popovićs
Helden erweisen sie sich als nicht besonders überzeugend. Popović
entwirft ein skurrilsympathisches Panorama jener verlorenen Generation,
die im 20. Jahrhundert gesoffen hat und im 21. Jahrhundert nüchtern
geworden ist. (btb)
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"Anleitung zum Gehen"
"Beim Gehen werden wir die eigenen Schritte hören und auch den
eigenen Atem und das eigene Herz, und wenn wir uns vollständig
entspannen, werden wir auch unsere eigenen Gedanken hören." In
seinem poetisch-philosophischen Essay "Anleitung zum Gehen" versammelt
Edo Popović alles, was er in fünfzig Jahren an Weisheit über die
Menschheit und ihr oft selbstzerstörerisches Wesen zusammengetragen hat.
Über uns, die wir uns benehmen wie Hamster
im Laufrad. Die wir rennen, so lange wir Kraft haben, um
irgendwann einfach zu erlöschen. Wir sind in Eile. Und wir beschleunigen
ständig. Wer nicht beschleunigt, ist verdächtig.
Edo Popović beschreibt diesen ständigen Drang zur Selbstoptimierung als
einen Hunger, der uns verunstaltet, uns in Automaten zum Verdienen und
Verbrauchen verwandelt hat. Von diesem Hunger befreien seine klugen,
erfahrungsreichen Texte. Und sie lehren uns: Das, was wir tatsächlich
brauchen, wird nicht beworben, es findet sich nicht in Schaufenstern und
ist nicht mit Geld
zu kaufen. (Luchterhand)
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Weitere Lektüretipps:
Kathrin Hartmann: "Wir müssen leider draußen bleiben. Die neue Armut
in der Konsumgesellschaft"
Immer mehr Bürger in Deutschland sind vom wirtschaftlichen Reichtum des
Landes ausgeschlossen. Nicht nur Arbeitslose oder Rentner, auch viele
Menschen, die sich in einer Endlosspirale von Billigarbeitsplätzen und
Zeitarbeit befinden. Früher konnten sie sich nicht nur der
sozialstaatlichen Unterstützung, sondern auch einer gewissen Solidarität
sicher sein. Doch damit ist es nun vorbei. Wer nicht mehr mitkommt in
unserer Wirtschaft, ist selbst schuld. Reflexhaft werden ihm Bildung,
soziale Kompetenz oder gar der Arbeitswille abgesprochen. Die
Intellektuellen gewöhnen sich an, die Verlierer der entfesselten
Konkurrenz nach ästhetischen Kriterien ("Billigkonsum" und
"Unterschichten-TV") abzuurteilen. Die abstiegsbedrohte Mittelschicht
übernimmt diese Sicht. Dabei ist die Armut - die heute natürlich ein
anderes Gesicht hat als früher - längst in dieser Mitte unserer
Gesellschaft angekommen.
Kathrin Hartmann erkundet in Reportagen und in bestechend genauen
Analysen unsere sich zunehmend spaltende Konsumgesellschaft: hier die
Elite, die sich in gentrifizierten Stadtvierteln, neuerdings auch in
speziellen Clubs abschottet, dort die pauschal als "Unterschicht" für
nutzlos erklärten Menschen, die sich oft nur noch über die sogenannten
Tafeln ernähren können. Kommt es wenigstens dort noch zu einer
wirklichen Begegnung von Arm und Reich? (Karl Blessing Verlag)
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Caspar Dohmen: "Die
Wohlfühlillusion. Einmischen statt Einkaufen"
Die Logik klingt bestechend: Wenn die Politik Märkte und Konzerne nicht
länger bändigen kann, müssen wir die Sache als Verbraucher selbst in die
Hand nehmen: Die Macht der Unternehmen basiert letztlich auf unseren
Kaufentscheidungen, und wenn wir Ökostrom bestellen, Bioeier kaufen und
Drei-Liter-Autos fahren, können wir die Gesellschaft so in Richtung
Gerechtigkeit und Nachhaltigkeit steuern.
Aber: Bringt das wirklich etwas? Oder kaufen wir uns damit nur ein gutes
Gewissen? Und zwar ohne wirklich etwas zu tun? In "Die Wohlfühlillusion"
setzt sich Caspar Dohmen mit dem Für und Wider des engagierten
Einkaufens auseinander. Er erzählt die Geschichte des politischen
Konsums und stellt Menschen und Organisationen vor, die sich eingemischt
und damit wirklich etwas verändert haben. Als Bürger, nicht nur als
Edelkonsumenten. (Suhrkamp)
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Paco Underhill: "Warum
kaufen wir? Die Psychologie des Konsums"
Wie Käufer ticken, hat keiner mit so viel Aufwand und Ausdauer erforscht
wie Paco Underhill. Er hat Käufer beobachtet, gefilmt und befragt; hat
registriert, wo sie hinschauen und wonach sie greifen, ob sie sich
bücken oder in die Höhe recken, was sie in die Hand nehmen und woran sie
achtlos vorbeilaufen. Aus seinen Beobachtungen ist ein Buch entstanden -
voller fundierter und vergnüglicher Einsichten in unser irrationales
Verhalten beim Kaufen.
Egal, ob Sie Einkaufen lieben oder hassen: Nach der Lektüre dieses
erweiterten und komplett aktualisierten Klassikers werden Sie die Welt
des Konsums
nie mehr mit den gleichen Augen betrachten wie früher. (Campus)
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