Wladimir Makanin: "Benzinkönig"


Über den Irrsinn des Krieges

Dieser Roman des 1937 in Orsk geborenen russischen Autors Wladimir Makanin ist ein großes, wildes und hartes Buch über den Krieg.
Schon die erste Szene rüttelt hart am Leser. Junge russische Soldaten reisen in trunkener Stimmung nach Tschetschenien. Keiner weiß wirklich, was ihn erwartet. Die jungen Männer sind ungeschult und trinken sich während der Fahrt Mut an. Spätestens bei der Ankunft am Bahnsteig ist klar, dass sich niemand für diese Soldaten interessiert, es ist kein Offizier da, um die zwei Waggons voll mit Soldaten abzuholen.

Großartig, wie Makanin sich hier einerseits als allwissender Erzähler, andererseits als kollektive Stimme der Soldaten Gehör verschafft.
Major Schilin nimmt sich der gleich in tschetschenische Hände gefallenen Soldaten an und handelt ihre Freigabe aus, während die hirnlosen Soldaten den tschetschenischen Rebellen ihre nackten Hinterteile zeigen.
Harte Szenen, die Wladimir Makanin hier schildert. Szenen eines Krieges, den niemand wirklich kämpfen wollte, da man von Beginn weg wusste, dass man diesen Krieg nie wirklich gewinnen würde können.

Major Schilin ist eine Art Bastion in dieser verruchten Welt. Er hat Prinzipien, die zwar in erster Linie das Geschäft betreffen, folgt aber doch einer moralischen Gesinnung, die ihn grundsätzlich von den ihn umgebenden Soldaten und Rebellen unterscheidet. So hilft er Soldatenmüttern und rettet, wenn möglich, auch die durch ihre Dummheit und fehlende Aufmerksamkeit in Gefangenschaft geratenen Soldaten.

"Nach einem Gefecht von ihren Kameraden abgehängte, verwilderte Soldaten sind eine bekannte Eigentümlichkeit dieses Krieges, in dem es keine Frontlinie gibt. Taumelnd vor Hunger. Stinkend wie ein Bock.
Sie haben die Nummer ihres Truppenteils vergessen. Vergessen, wie ihr Kompanieführer heißt. Alles ist weg. Und behüte Gott sie davor, ihre Waffe verloren zu haben."


Schilin betreibt einen lukrativen Handel mit Benzin, der deshalb funktioniert, weil die tschetschenischen Rebellen wissen, dass sie sich auf ihn verlassen können. Seine Regeln garantieren eine Art Gesetz, ja fast eine Art bedingter Zivilisation in dieser primitiven Welt, in der die meisten Anwesenden zu hirnlos betrunkenen Marionetten verkommen sind. Ob als Schutzmaßnahme gegen die grauenhaften Folterungen, die den Soldaten blühen, wenn sie erwischt werden, sei dahingestellt. Jeder Leser wird das für sich richtig interpretieren.

Während die Ordnung rund um Schilin langsam zusammenbricht, bleibt er in stoischer Haltung geradlinig auf seinem Weg, auch wenn er ob der Verwundung seines Kollegen vermehrt an seine in Russland lebende Familie zu denken beginnt. Einzige seelische Erleichterung sind ihm seine Telefongespräche mit seiner Frau.

Wladimir Makanin reiht gekonnt und virtuos Szene an Szene und zeichnet so ein überaus treffendes, von jeglicher Gefühlsduselei befreites Psychogramm von diesen durch den eiskalten, brutalen und unberechenbaren Krieg geschundenen Menschen.

Der Tonfall seiner Prosa ist grandios den Gegebenheiten angepasst und stärkt damit zusätzlich die literarische Aussage. Kurze Sätze, die aus dem Erzählenden in den Gedankenstrom und zurück wechseln. Fast meint man, dass auch die Worte durch den Irrsinn dieses Krieges geschunden und verletzt seien.
Man liest, passt sich dem Tempo Makanins an und wird teilweise atemlos über die Seiten gehetzt, bis man, durch eine unvorhersehbare Wendung, im Ansatz halt machen muss und den Atem anhaltend verharrt, bis der Autor die Bewegung wieder freigibt.

"Niemand konnte so schnell handeln. Der Tschetschene riss sich die MPi vor die Brust und feuerte, fast ohne hinzuschauen. Hatte jedoch die Gruppe im Blick, in der Dubrawkin war. Er traf auch nur den Obersten, bevor er selbst umgelegt wurde. Traf ihn mit zwei oder drei Kugeln. In die Brust."

So treibt alles auf ein tragisches, aber logisch vorhersehbares Ende zu, denn diesem Krieg entflieht niemand, auch nicht ein Mann des Wortes, der Prinzipien und des Gesetzes, wenngleich dieses Gesetz den Gegebenheiten angepasst werden muss.

"Benzinkönig" ist ein grandioser Roman über den sinnlosen Irrsinn des Krieges, der sich nicht scheut, unvorstellbar grausame Foltermethoden, Vergewaltigungen und ähnliche Torturen aufzuzeigen. Wladimir Makanin schafft es immer, diese Momente so nüchtern mit seiner Prosa verschmelzen zu lassen, dass nie auch nur annähernd das Gefühl einer Effekthascherei entsteht.

(Roland Freisitzer; 05/2011)


Wladimir Makanin: "Benzinkönig"
(Originaltitel "Assan")
Aus dem Russischen von Annelore Nitschke.
Luchterhand Literaturverlag, 2011. 479 Seiten.
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Wadimir Makanin wurde 1937 in Orsk geboren. Er war Mathematiker und Filmemacher, bevor er 1965 literarisch debütierte. Makanin gilt heute als "Klassiker" unter den russischen Schriftstellern. Bei Luchterhand erschien 2003 sein monumentaler Roman "Underground", 2005 die Erzählungen "Der kaukasische Gefangene" und 2008 der Roman "Der Schreck des Satyr beim Anblick der Nymphe".