Michael Stausberg: "Religion im modernen Tourismus"
Zwischen Kult und Kommerz
Ach ja, man stellt sich das doch so idyllisch vor: Besinnungsurlaub im
Kloster, den gregorianischen Gesängen lauschen und mönchgebrautes Bier
zur Erbauung trinken. Die Tourismuswirtschaft vermarktet religiöse
Attraktionen und schafft sogar neue - und man ist erstaunt, was es da
über Lourdes und Stonehenge hinaus alles für pathos- und
mythosverdächtige Lokalitäten gibt, um derentwillen der Tourist zum
Pilger mutiert und den ökonomisierten Jakobsweg beschreitet. Durch den
Tourismus wird der "globale Religionskontakt" praktiziert: vom Besuch
sakraler Stätten über die Teilnahme an Festen und Ritualen bis hin zu
religiösen Souvenirs. Und so möchte Stausberg folgende schlichte These
illustrieren: "Im Zeitalter der Spät- oder Postmoderne und im
Zustand fortgeschrittener Globalisierung bildet der Tourismus einen
zentralen Bezugsrahmen für Religion(en), und diese sind in ihren
zahlreichen Ausprägungen eine wichtige Bezugsgröße für jenen." Das
ist nun eigentlich keine besonders originelle Aussage und ihre
Beweisbarkeit ist ebenso unproblematisch. Genauso ließe sich die These
umkehren, indem man sagt, durch die Genusssüchtigkeit der
spätkapitalistischen Menschenklasse hat eine Profanisierung und
Säkularisierung religiöser Konnotationen und Lokalitäten stattgefunden -
die Berührungsängste sind geschwunden, und die Tendenz zu
Leichtgläubigkeit und Selbstbetrug verstärkt sich in dialektischer
Absurdität gleichermaßen.
Im Grunde ist es auch müßig darüber zu spekulieren, ob man als Tourist
der Völkerverständigung dient oder sich ökologiefeindlich verhält - egal
ob man als niveauloser Massentourist belächelt wird oder sich als
Bildungsreisender in kultivierter Hotellerie und Gastronomie aufhält -
Tourismus hat sich vielerorts als Wirtschaftsfaktor etabliert. Und da
der Kapitalismus
die moderne Ersatzreligion geworden ist, bemühen sich traditionellere
Religionsinstitutionen darum, den Anschluss an den modernen Menschen
nicht zu verlieren. Andererseits gab es Pilgerreisen
schon lange vor der Erfindung des Tourismus. Kompliziert wird die
Angelegenheit freilich, wenn es gilt, zwischen christlichem, jüdischem
und islamischem Tourismus zu unterscheiden - dazu kommt noch das diffuse
Interesse an asiatischen Religionsformen, speziell dem Buddhismus.
Die Frage ist, ob Erholung und Erlösung, das hedonistische und das
asketische Prinzip solche Gegensätze bilden, dass sie sich touristisch
kaum verbinden lassen. Obwohl man heutzutage einen gewissen
Flickwerk-Spiritualismus pflegt, bei dem sich die weltlichen Bedürfnisse
und die geistigen Erfordernisse scheinbar mühelos miteinander verknüpfen
lassen. Zahlreiche Sakralbauten haben es in die Riege der quasi
unverzichtbaren Sehenswürdigkeiten geschafft, wie etwa Notre Dame,
Petersdom, Hagia Sophia oder Taj Mahal. Kirchen oder Tempel lassen
sich ja ebenso aus architektonischen oder kunsthistorischen Gründen
besuchen - die Kathedrale Notre
Dame
in Paris ist mit ca. 13,5 Millionen Besuchern im Jahr vermutlich
das populärste Besichtigungsziel Europas, noch vor dem "Disneyland
Paris" mit 12, 5 Millionen Besuchern jährlich. Sakralbauten
repräsentieren eben das ältere Kulturerbe mit einem gewissen Charisma -
und sie lassen häufig eine touristische Infrastruktur entstehen, was
sich gerade auch in asiatischen Ländern deutlich zeigt. Auf der
Welterbe-Liste der UNESCO stehen zahlreiche Sakralbauten sowie auch
spirituelle Kraftorte wie etwa die ägyptischen
Pyramiden oder Stonehenge. Als problematisch erweist sich häufig
die Finanzierung und die Wahrung einer ursprünglichen Authentizität,
auch im Sinne ritueller Vereinnahmung. Für Museen mit sakralen
Kunstexponaten gibt es übrigens von einem sogenannten "Internationalen
Museumsrat" besondere Richtlinien zur Rücksichtnahme auf ethnische und
religiöse Gruppen.
Ein gewisser Trend entwickelt sich auch, nämlich quasi religiöse
Themenparks anzubieten (v.a. in den USA) bzw. leitmotivisch Orte als
Weihnachtszentren zu deklarieren. In Buenos Aires wurde 1999 ein
biblisch-evangelikaler Themenpark eröffnet, in dem man jede halbe Stunde
Weihnachten erleben kann und wo in einer mit Klang- und Lichteffekten
angereicherten Darbietung die Erschaffung der Welt vorgeführt wird. Eine
speziell sich entwickelnde Hochzeitsindustrie bietet weltweit v.a. auf
sogenannten Paradiesinseln das gesamte Flitterwochen-Paket an. In eine
ähnliche Marktlücke stößt der Yoga-
und Wohlbefindenstourismus, wo es im weitesten Sinne um die
Körper-Geist-Balance geht, Selbstfindung und ganzheitliche Medizin.
Religiöser Tourismus bedeutet nicht nur, Kultstätten der eigenen
Religion zu besuchen, sondern andere Religionen in Asien oder Afrika
kennen zu lernen. Das geht von "bibelarchäologischen" Kursen bis zur
"Besichtigung" indigener Kulturen. Über die Schiene naturverbundener
Spiritualität hat sich eine weltweite Bewegung entwickelt, deren
Ausprägungen etwa im sogenannten Schamanen-Tourismus rituelle
Reinigungen und Heilungen beinhalten. In verschiedenen Ländern gibt es
ethnische Museumsdörfer, wo man den Bewohnern wie im Zoo beim
Alltagsleben zuschauen kann. Dabei zeigt sich z.B. auch bei den Amischen
in den USA das Widersprüchliche dieser Unternehmungen: einerseits bringt
der Tourismus Geld in die klammen Kassen der jeweiligen Gruppierungen,
andererseits stören die Touristen den natürlichen Tagesablauf und
verletzen eigentlich ständig die Privatsphäre Anderer.
Bei sogenannten Naturvölkern werden rituelle Tänze zur touristischen
Attraktion, Rhythmus und Kostüme schaffen hier die fließenden
Übergänge von Religion zu Folklore - vom harmlosen Hüftschwung bis
zur ekstatischen Trance sind bei Tänzern und teilweise auch Touristen
viele Ausprägungen möglich. Musik und Bewegung wirken integrativ, was
für die Einheimischen einen rituellen Hintergrund hat, ist für die
Touristen allerdings oft nur Unterhaltung. Manchmal erlebt der Tourist
seine innere Einkehr, manchmal wird der Reiseleiter zum Guru. Die mit
heimgebrachten Souvenirs erhalten den Wert einer Reliquie: Bilder,
Amulette, Miniaturstatuen oder andere Reproduktionen transformieren die
Erinnerung in ein religiöses Nacherleben. Dabei degeneriert ein
ursprünglich ritueller Gegenstand zum kitschigen Massenprodukt aus
Billiglohnländern.
Stausberg sieht den religiösen Touristen als "Metapher für eine
Sozialfigur spätmoderner Religiosität oder religiöser
Identitätsbildung" an. Durch den Tourismus geraten die
verschiedenen
Religionen weltweit über die architektonische und ästhetische
Schiene ins Bewusstsein von immer mehr Leuten, die UNESCO-Liste des
Welterbes schützt zahlreiche Sakralbauten. Die Motive der religiösen
Touristen reichen von Heilung bis Unterhaltung: "Tourismus ist ein
globales Forum punktueller und abgegrenzter Religionskontakte."
Schließlich wünscht sich Stausberg, dass künftig
Religionswissenschaftler konkreter in die Ausarbeitung von Reiseführern
eingebunden werden. Belässt man es bei der volkstümlich formulierten
Erkenntnis, dass Reisen bildet, so kann das vorliegende Buch als
affirmative Fleißarbeit gewürdigt werden. Hier sind die vielfältigsten
Aspekte eines wie auch immer geprägten "religiösen" Tourismus
angesprochen. Was nun als Nächstes erfolgen müsste, wäre allerdings eine
kritische Analyse und Bewertung der ausbeuterischen und
bewusstseinsverbiegenden Machenschaften, die mit dieser unglückseligen
Verquickung von Religion und Tourismus zwangsläufig verbunden sind.
(KS; 03/2010)
Michael Stausberg: "Religion im modernen
Tourismus"
Verlag der
Weltreligionen, 2010. 230 Seiten.
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Weitere Buchtipps:
Olivier Roy: "Heilige Einfalt. Über die politischen Gefahren
entwurzelter Religionen"
Im Supermarkt der Religionen.
Im Schatten der Globalisierung
erlebt der Glaube eine Hochblüte. Doch während die Religion früher im
Zentrum kultureller Traditionen stand, ist die neue Religiosität
Ausdruck einer entwurzelten Sinnsuche des Einzelnen. Der einfältige
Wunsch nach einer Religion ohne gemeinschaftliche Einbettung ist der
Nährboden für religiösen Fundamentalismus und birgt massive Gefahren für
Staat und Gesellschaft.
Religionen jeder Couleur haben weltweit wachsenden Zulauf. Allerdings
stellt dieser Umstand keine Rückkehr zur traditionellen religiösen
Praxis dar. Vielmehr hat die Globalisierung eine Trennung zwischen
Religion, Nation und Kultur bewirkt: Jeder bastelt sich heute seinen
eigenen Glauben.
Zigtausende Übertritte von Muslimen in Mittelasien zu den Zeugen Jehovas
belegen diesen Umstand ebenso wie Konversionen von Europäern zum
Salafismus. Religiosität ist eine individuelle Angelegenheit geworden.
Das führt, so der Islamwissenschaftler Olivier Roy, zu "heiliger
Einfalt", einer anti-intellektuellen Haltung, die einen
unmittelbaren, gefühlsbetonten Zugang zum Heiligen erwartet und sich
damit als idealer Nährboden für religiösen Fundamentalismus erweist. Mit
gewohnter Klarheit analysiert Roy die enormen Herausforderungen, die
diese Entwicklungen an den Staat und die Gesellschaft stellen.
Olivier Roy ist Forschungsdirektor am "Centre National de la Recherche
Scientifique" ("CNRS") und unterrichtet an der "Ecole des Hautes Etudes
en Sciences Sociales" und an der "Sciences Po" in Paris. Er hat
zahlreiche Bücher und Aufsätze über den politischen Islam, den
islamistischen Terrorismus sowie den Mittleren und Nahen Osten
veröffentlicht. Sein Buch "Der islamische Weg nach Westen" (2006) wurde
zu einem häufig zitierten Standardwerk. Olivier Roy ist ein weltweit
gefragter Islamismus-Experte. (Siedler)
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"Erinnerungsorte des Christentums"
Herausgegeben von Christoph Markschies und Hubert Wolf, unter
Mitarbeit von Barbara Schüler
Hubert Wolf und der evangelische
Theologe Christoph Markschies haben für diesen Band 42 "Orte"
zusammengestellt, die heute als die wichtigsten Fixpunkte christlicher
Erinnerung - aber auch der Vergegenwärtigung des Christentums durch
Nicht-Christen - gelten.
Renommierte Theologen, Historiker und Journalisten beschreiben in
glänzenden Essays 7 christliche "Erzorte" wie Rom,
Konstantinopel
und Wittenberg, 14 weitere geografische Orte wie Assisi,
Bethel und Taizé sowie 21 symbolische Orte wie Kreuz, Gesangbuch oder
Bibel.
Das Ergebnis ist eine lehrreiche und kurzweilige Einführung in die
christliche Religion, die verstehen lässt, warum Erinnerungsorte im
Zentrum des Christentums
stehen und Grundlage seiner kulturellen Bedeutung sind.
Kardinal Walter Kasper: Rom
Wolfgang Huber: Wittenberg
Martin Tamcke: Konstantinopel
Klaus Bieberstein: Jerusalem
Ulrich Köpf: Assisi
Jan Rohls: Genf
Alexander Smoltczyk: Regensburg
Christian Albrecht: Taizé
Arnd Brummer: Medien
Reinhold Hartmann: Der Fernseher
Wolfgang Brückner: Heiliges Blut
Hubert
Wolf / Christoph Markschies:
Sankt Martin
Étienne François: Kirchen (C.H. Beck)
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Bernd Stiegler: "Reisender
Stillstand. Eine kleine Geschichte der Reisen im und um das Zimmer
herum"
Dies kein Buch für Stubenhocker, Agoraphobe oder Reisemuffel. Und
dennoch geht es um eine besondere Art von Stubenhockern: um
Zimmerreisende. Das sind Menschen, die einen oder mehrere Tage lang ihr
Zimmer regelrecht bereisen, sowie ihre Verwandten, die es immerhin bis
hinaus auf die Straße bringen. Unendliche Weiten der Nähe tun sich auf,
die mit einem Blick erforscht werden, als hätte man die vertrauten Räume
nie zuvor gesehen. Das Buch ist ein reich illustrierter historischer
Reiseführer durch einen Topos der Literatur mit Gefährten wie de
Maistre, Kierkegaard, Baudelaire,
Robbe-Grillet, Handke,
Cortázar
und gibt Einblick in die über zweihundertjährige Geschichte einer
Fortbewegungsart, die, ohne vom Fleck zu kommen, vieles in Bewegung
setzt. (S. Fischer)
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Armin
Strohmeyr: "Glaubenszeugen der Moderne" zur
Rezension ...