Heinz D. Heisl: "Greiner"
Vom wortzerfleischenden
Selbstzweifel zur wortzweifelnden Selbstzerfleischung
Vorweg zwei Empfehlungen, eine an den Leser, die andere an den Verlag:
"Greiner", der wortgewaltige Anklageroman eines sein Schreiben und sich
selbst aufgebenden Literaten, ist laut zu lesen, um auch den Klang aller
Sprachkreationen und Wortverdichtungen des ausgebildeten Musikers Heinz
D. Heisl zu genießen.
Der Verlag möge deshalb den vollen Lese- und Hörgenuss auch jenen
erleichtern, die das tirolerische Sprachkolorit eines Innsbrucker
Icherzählers selbst nicht verwirklichen können, und "Greiner" als
Hörbuch mit einem als Tiroler erkennbaren Sprecher herausgeben - ein
Sprecher mit nördlich-deutschem Akzent müsste sonst "für die
Großmacht und Großmächtigkeit des deutschen Literaturmarktes"
(Seite 150) den Text
verdeutschen, eindeutschen und zuschneiden - eine "ver- und
also zerbissene Literatur" (Seite 149).
Heinz D. Heisl, der Tiroler Virtuose der Alliteration und
Wortkomposition, hat einen autobiografisch beeinflussten Roman verfasst,
in dem er alles, was einen Menschen und Literaten prägt, verdichtend
vernichtet: die Herkunft aus Tirol, Aufenthalte in
Wien, Familie, Ausbildung, die Schriftstellerkollegen, vor allem
die deutschen Verlage und ihr Umgang mit österreichischer Sprache und
Literatur.
Für Konrad Greiner, den jammernden, also greinenden, Erfolgsautor auf
Lesereise in
Japan, gilt sein gesamtes Vorleben nichts mehr, er trennt sich
unnachgiebig, unbeeindruckt und unwiderruflich von eigenen Erfolgen von
der "Tonfolgenerzeugungsmannschaft,
der Tonfolgenerzeugungsfrauschaft, der
Sprachniederbringungsgemeinschaft, der Wortmaschinistenmannschaft und
Wortmaschinistenfrauschaft" (S. 10).
Greiner verbringt einen ganzen Tag in einem Café in Roppongi, dem
Vergnügungsviertel von Tokyo, entsorgt dort nach eingehender Lektüre -
als Texte im Text - Romanskizzen und fertige kurze Prosawerke im Müll,
scheitert an den selbst erlebten, selbst ausgelebten und selbst
erwählten Gegensätzen. Weder im harten Innsbruck noch im weichen Wien,
nicht im österreichischen Autorenkreis, nicht im deutschen Verlagswesen
findet der Autor Ruhe vor den "Dichtungsgarantinnen
und Dichtungsgaranten" (Seite 15), die schon den Dichtungsgrant
anklingen lassen.
Auch sprachlich wechselt er in der Anrede und Anklage an sich selbst
zwischen ich und du, schwenkt seinen Blick zwischen der Straße vor dem
Café und drinnen, reist in Gedanken von Japan zurück nach Europa und
wieder nach Roppongi. Nicht alles lässt sich diametral auflösen; so wie
die Gedanken zwischen den Polen hin und her wandern und dabei Neues
kreieren, ist auch die Sprache nicht eindeutig österreichisch, pendelt
zwischen "war ... gestanden" (Seite 24) und "das Polster"
(Seite 25) innerhalb weniger Seiten zu "gestanden hatte" (Seite
37) und "am Mittag" (Seite 119). Dazwischen, wie auf der Suche
nach neuem, noch freien und ungebrauchten Wortdichtungsmaterial,
erscheinen japanische Phrasen - der Segen des Nichtverstehens - aus
einem Sprachführer, der schließlich wie die Texte aus dem "Fettwortwurstkessel"
(Seite 9) mit den geleerten Papierbechern im Müll landet.
Konrad Greiner alias Heinz D. Heisl führt wort- und klangbetonte
Literatur zu einem üppigen Höhepunkt, um sie gleichzeitig kreativ zu
dekomponieren. Der Roman ist ein Leckerbissen für alle, die Freude an
der Suche nach dem wörtlichen Leben und dem Lebenssinn in der Sprache
haben.
(Wolfgang Moser; 02/2010)
Heinz
D. Heisl: "Greiner"
Dittrich Verlag, 2009. 331 Seiten.
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Noch ein Buchtipp:
Josef Winkler: "Roppongi. Requiem für einen Vater"
"Als ich mich vor drei Jahren mit meiner Familie in Tokio aufhielt,
wo wir im Stadtteil Roppongi wohnten", schreibt Josef Winkler über
sein Buch, "starb im Alter von 99 Jahren mein Vater, der mir ein
Jahr vor seinem Tod, nachdem er erfahren hatte, daß ich in meinem
letzten Prosaband einem Bauern aus meinem Heimatdorf weder Kornblumen
noch Pfingstrosen gestreut hatte, in einem kurzen, aber dramatischen
Telefonmonolog mitteilte, daß, wenn es soweit sei, ich nicht zu seinem
Begräbnis kommen solle. Als wir von seinem Ableben erfuhren, stand ich
in der österreichischen Botschaft in Tokio vor einer wandgroßen
Glasscheibe. Ich schaute hinaus auf einen Teich
mit orangefarbenen Wakinfischen, als ein
Reiher mit weit auseinandergebreiteten Flügeln am Rande des
Teiches aufsetzte. Der tote Vater hat sich also, dachte ich in diesem
Augenblick der Trauer und des Glücks, in der Gestalt eines weißen
Reihers noch einmal bei mir blicken lassen, bevor er unter die Erde
geschaufelt wird mit seinen langen, dünnen roten Beinen, mit seinem
erdig gewordenen spitzen langen Schnabel, auf der Suche nach den
Würmern seines zukünftigen Grabes in Roppongi. Sein Fluch war in
Erfüllung gegangen; wir reisten nicht zurück, sondern blieben in
Roppongi."
In immer neuen Anläufen schreibt Josef Winkler von des Vaters Leben, Tod
und Begräbnis - ein Sterbe- und Auferstehungsfest
anfachend für den Mann, der überlebensgroß Winklers Kindheit und - in
der Folge - des Autors erste Bücher "Menschenkind", "Der Ackermann aus
Kärnten" und "Muttersprache" (später zu der Trilogie "Das wilde
Kärnten" zusammengefasst) beherrschte. (Suhrkamp)
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