Philip Roth: "Empörung"
Hatten sich Philip Roths vorige Romane schon sehr deutlich von seinen früheren Werke unterschieden und sich hauptsächlich mit der Vergänglichkeit des Lebens, dem Tod und der ihm leider oft vorausgehenden Schwäche und Agonie, insbesondere des Sexuallebens von Männern, beschäftigt, ist der Protagonist in "Empörung", Marcus Messner, als Ich-Erzähler der ganzen Geschichte schon einige Zeit tot. Von einem namenlosen Ort im Jenseits aus erzählt er seine Geschichte, die den treuen Leser der Bücher Roths wieder in die Zeit und an den Ort seiner ersten Romane, das Newark der 1940er- und 1950er-Jahre.
Marcus Messner ist der durchaus brave Sohn eines jüdischen Metzgers in Newark. Schon als Kind hilft er seinem Vater im Laden und liebt ihn auf seine Weise. Als er ins Jugendalter kommt, verstärkt sich die Angst seines Vaters um ihn, er beginnt ihn zu kontrollieren und sich alle mögliche Szenarien auszudenken, was mit ihm geschehen könnte. Vor dieser regelrechten Sucht seines Vaters flieht Marcus Messner auf ein College, wo der Hauptteil der - wiegesagt aus dem Jenseits - erstaunlich routiniert erzählten Handlung spielt. Marcus Messner ist ein sehr sympathischer, geradliniger Kerl, der Bertrand Russells Vortrag "Warum ich kein Christ bin" aus dem Jahr 1927 fast auswendig kennt, sich seine Argumentation zu eigen gemacht hat und ihn auch an der wohl zentralen Stelle des Buches seinem Dekan, dem Collegevorsteher, vorträgt, was ihm später zum Verhängnis werden soll. |
"Wie ich bereits
erklärt habe -", sagte ich, und inzwischen sang die Stimme in
meinem Kopf lauthals "In größter Bedrängnis ist Chinas Volk"
-, "konnte ich in meinem ersten Zimmer nicht hinreichend Schlaf
finden, weil ich einen Mitbewohner hatte, der es sich nicht nehmen
ließ, spätabends seine Platten zu hören und mitten in der Nacht
Rezitationsübungen zu machen, und in meinem zweiten Zimmer bin ich an
einen Kommilitonen geraten, dessen Benehmen mir unerträglich war." |
In diese Charakterisierung des jungen Marcus Messner hat Philip Roth wohl einige seiner eigenen Züge als
Collegeschüler zu eben jener Zeit eingezeichnet. Denn
wäre Marcus nicht eines frühen Todes gestorben, wäre er
heute genauso alt wie Roth selbst.
Marcus Messner will seinem Vater nicht allzu lange auf der Tasche
liegen und lernt und arbeitet für seine Prüfungen. Versuchen,
auch von einem jüdischen Mitstudenten, ihn in eine Verbindung zu
bekommen, widersteht er und zementiert damit noch sein schon bisheriges
Außenseitertum. Als er sich auch weigert, die obligatorischen
christlichen Gottesdienste des Colleges
in Winesburg in Ohio zu besuchen, wird er relegiert. Damit hat er
seinen Schutz verloren, und etwas, das er durch sein teilweises
Wohlverhalten immer verhindern wollte, tritt ein: seine "Empörung"
über den sozialen und religiösen Zwang hat zur Folge, dass er
für den Koreakrieg eingezogen wird, wo ihm am 31. März 1952
ein den Fleischermessern seines Vaters auffallend ähnelndes
Utensil den Leib aufschlitzt.
Der Roman ist in sich geschlossen und beeindruckend. Gleichzeitig
verursacht sein Thema beim Lesen eine eigentümliche Enge, die
dadurch verursacht wird, dass es keinen Sinn zu geben scheint. Da liebt
ein Sohn seinen Vater, muss ihn verlassen, um nicht mit ihm zu
verschmelzen, und endet dann doch auf einer noch größeren
Schlachtbank als jener im väterlichen Metzgerladen im
jüdischen Newark.
Ein sinnloser, skandalöser Tod, noch überboten von der
Sinnlosigkeit des himmlischen Lebens, in das der Erzähler auf ewig
mit seinen Erinnerungen an seine Kleinstadtjugend eingesperrt bleibt.
Kein anderer Schriftsteller ist in den letzten beiden Jahrzehnten so oft für den
Literaturnobelpreis
vorgeschlagen worden wie Philip Roth. Das Nobelkomitee sollte sein
Zögern endlich beenden und Philip Roth im Jahr 2009 den Preis
für sein Gesamtwerk zuerkennen. Er hat ihn
- nach Meinung des Rezensenten - verdient wie kein Anderer.
(Winfried Stanzick; 03/2009)
Philip
Roth: "Empörung"
(Originaltitel "Indignation")
Übersetzt von Werner
Schmitz.
Hanser, 2009. 200 Seiten.
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Hörbuch (vollständige Lesung):
Sprecher:
Joachim Schönfeld.
Der Hörverlag, 2009. 5 CDs; Spieldauer 420 Minuten.
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Philip Roth:
Am 19. März 1933 als Sohn jüdischer Eltern in Newark, New Jersey, USA geboren
Studium am Newark College der Rutgers University
1954 "Bachelor of Arts" an der Bucknell University,
Pennsylvania
1955 "Master of Arts" an der University of Chicago
1956-1958 Lehrtätigkeit an der University of Chicago, Thema Englische
Literatur
1959/1960 "Guggenheim Fellowship"
1960-1962 Lehrtätigkeit "Creative Writing" am "Writer’s
Workshop" der University of Iowa
1962-1964 "Writer in Residence" in Princeton
1965 "Writer in Residence" in Philadelphia
seit 1965 lebt Philip Roth vorwiegend in New York
seit 1970 Mitglied des "National Institute of Arts and Letters"
Philip Roth starb im Mai 2018 in New York an Herzversagen.
Weitere Buchtipps:
Philip Roth: "Exit Ghost"
Nathan Zuckerman, Roths langjähriger Held und vielleicht sein Alter Ego, kehrt
nach New York zurück, um dann für immer abzutreten. Er trifft in Manhattan ein
junges Paar, das nach dem 11. September der Stadt entfliehen will, und bietet
ihnen einen Wohnungstausch an - nicht ohne Hintergedanken. Ihn fasziniert Jamie,
die junge Frau, und ihn überfallen Gefühle, die er längst überwunden
glaubte. Durch sie lernt er einen Mann kennen, der die Biografie des vom jungen
Zuckerman verehrten Schriftstellers Lonoff schreiben möchte. Auf einmal ist
Zuckerman so involviert, wie er es nie mehr sein wollte. Liebe, Trauer, Begehren
und Ressentiment, alles ist wieder da. (Hanser, Rowohlt)
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Volker Hage: "Philip Roth. Bücher und Begegnungen"
Kein anderer deutscher Literaturkritiker hat so oft und so ausführlich mit
Philip Roth gesprochen wie der "Spiegel"-Redakteur Volker Hage. Ihm
hat der us-amerikanische Schriftsteller nicht nur seine Haustür geöffnet und
seine Bücher erklärt, sondern auch seine Ansichten über us-amerikanische
Politik und Gesellschaft, über Literatur und Leben anvertraut. In der
chronologischen Zusammenstellung ergibt sich eine lebendige Werkbiografie und
ein anschauliches Lebensbild eines produktiven Menschen, der zum meistgelesenen
us-amerikanischen Schriftsteller seiner Generation geworden ist. (Hanser)
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Philip Roth: "Eigene und fremde Bücher, wiedergelesen"
Wie wäre es, wenn man sich
Kafka
in Auschwitz vorstellte, fragt sich Roth in einem ergreifenden Aufsatz über
einen der Schriftsteller, die ihn am meisten geprägt haben. In den hier
versammelten Aufsätzen und Interviews aus den Jahren 1961 bis 1985 würdigt der
Schriftsteller wichtige Autoren, die sein eigenes Schreiben geprägt haben
ebenso wie Kundera,
den Roth überhaupt erst im englischen Sprachraum bekannt gemacht hat. Und er
schreibt aus geraumem zeitlichen Abstand über seine eigenen Bücher, wie
"Mein Leben als Mann" - dem Rosettastein in seinem Werk. (Hanser,
Rowohlt)
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