Mercè Rodoreda: "Auf der Plaça del Diamant"
"La plaça del diamant" erschien 1962 und wurde zu einem der
meistgefeierten Romane der katalanischen Literatur und Mercè
Rodoreda damit zur Vorzeigeautorin der Nachkriegszeit.
Im Jahr 2007 erschien im Suhrkamp Taschenbuchverlag eine Neuausgabe des
Klassikers - genau richtig zur "Frankfurter Buchmesse" mit dem Gastland
Katalonien.
Auf der Messe wurde Rodoredas Klassiker gar gratis verteilt und
dürfte so einer katalanisch interessierten Leserschaft
zugänglich geworden sein. Offen bleibt jedoch, was so
großartig an diesem Roman ist, und wie dieser sogenannte
Nachkriegsklassiker heute von vielleicht jüngerer Leserschaft
noch gelesen werden kann.
Die Sprache der 1983 verstorbenen Schriftstellerin ist
überraschend frisch und vor allem aus der immer indirekt
erzählenden Sicht der Hauptfigur Colometa geschrieben. Der
Roman wird eröffnet mit einem riesigen Dorffest, auf das
Colometa mit ihrer Freundin Julieta gehen muss, da sie ihr - wie immer -
keine Bitte abschlagen kann. Ein Mann möchte mit Colometa
tanzen: "[...] und dann eine Stimme an meinem Ohr, die mir
sagt, wollen wir tanzen? Eigentlich ohne es recht zu wissen antwortete
ich, dass ich nicht tanzen könne, und dann drehte ich mich um.
Ich hatte ein Gesicht vor mir, so nah, dass ich praktisch kaum etwas
erkennen konnte, nur eben, dass es das Gesicht von einem Mann war."
Colometa, die eigentlich Natàlia heißt, trifft auf
dem Sommerfest auf Quimet, der schon beim ersten Tanz mit ihr
stahldrahtdicke Seile um sie legt. "Und er fasste mich am Arm
und hielt mich fest, sehen Sie denn nicht, dass man Sie mir wegnehmen
könnte, Colometa?" An diesem Abend reißt
sie noch aus wie Aschenputtel beim zwölften Turmuhrschlag,
doch der affenäugige Charmeur lässt nicht locker. Und
ohne recht zu wissen, wie ihr geschieht, löst Colometa auch
ihre Verlobung mit einem Anderen - sie heiratet Quimet.
Dabei verweist die Geschichte innerhalb der unschuldigen, ein wenig
einfachen Erzählhaltung der Protagonistin Colometa schon zu
Beginn auf einen unglücklichen Verlauf des Romans.
"Als ich dann allein war", sagt Colometa, "sah
ich zum Himmel hinauf, aber der war nur ganz einfach schwarz."
Gabriel García Márquez sagte
über das Buch: "Ich weiß nicht, wie oft
ich den Roman wiedergelesen habe, und einige Male mühselig auf
katalanisch, was viel über meine Verehrung aussagt."
Große Stimmen und viel Bewunderung liegen auf dem Buch und
machen den 245 Seiten umfassenden Roman zu einem bedeutungsschweren
Ereignis, das aber erst einmal ergründet sein möchte.
Nähern wir uns dieser Geschichte an und fragen wir uns selbst,
was Mercè Rodoreda schildert, wie sie erzählt und
uns an der Hand nehmen und in ihre fiktionale Welt entführen
möchte.
Sie tut dies auf eine ganze schlichte Art und Weise. So schlicht
vielleicht, dass der Roman zwar als einer der bekanntesten des
katalanischen Raumes bezeichnet wird, aber, so schrieb
Márquez 1983 in der spanischen Zeitung "El País",
"[d]er Grund, dass man Mercè Rodoreda selbst in
Spanien so wenig kennt", liegt nicht darin, dass es "in
der Sprache eines begrenzten Sprachraumes" geschrieben worden
ist. Nein, das Buch ist gar in mehr als zehn Sprachen
übersetzt worden. "Allerdings befragte man vor
einigen Jahren [sic: schrieb Márquez wohlgemerkt im Jahre
1983], anlässlich irgendeines Jubiläums, spanische
Schriftsteller, welche zehn Bücher ihrer Meinung nach die
besten seien, die in Spanien nach dem Bürgerkrieg geschrieben
worden sind - ich erinnere mich nicht, dass jemand Auf der
Plaça del Diamant erwähnt hätte."
Zu schade, denn dieser Roman ist wirklich wunderbar und hat eine Tiefe,
die man dem unbedachten, einfachen Stil der Erzählerin gar
nicht zutrauen würde. Verheiratet mit einem Lebegeist und
leichten Choleriker, der auf der glücklich ergatterten
Dachterrasse der selbst renovierten und mit zusammengeborgten
Möbeln ausgestatteten Wohnung lieber einen Taubenschlag mit
unzähligen Rassen einrichtet, als seiner Frau die Arbeit
für die Kinder abzunehmen, oder da zu sein, wenn Hilfe
gebraucht wird, rutscht Colometa in eine Zeit des Krieges, der sie ganz
überraschend und unvorbereitet trifft: den Spanischen
Bürgerkrieg.
Zwischen Juli 1936 und April 1939 wurde dieser zwischen der
demokratisch gewählten republikanischen Regierung Spaniens und
den Putschisten unter General Francisco Franco ausgetragen. Der Krieg
endete mit dem Sieg der Anhänger Francos. Eine bis 1975
anhaltende Diktatur wurde somit eingeleitet.
Colometas Mann Quimet lässt sich sofort von der Revolution
mitreißen. Sie selbst weiß dabei gar nicht, wie ihr
geschieht. "Und alles ging so seinen Gang, mit den paar
kleinen Sorgen, die jeder hat, bis die Republik kam und Quimet sich so
begeisterte, dass er auf der Straße herumschrie und eine
Fahne vor sich hertrug, [...]."
"Und in diesen Wind mischte sich der Geruch nach jungen
Blättern und der Duft nach Blüten, aber diese Frische
verging und alles, was danach kann, war nicht mehr so wie diese Frische
von damals, von diesem Tag, der so einschneidend war in meinem Leben,
denn es war April, und die Knospen waren noch zu, als aus meinen
kleinen Sorgen große Sorgen wurden."
Die Autorin selbst musste 1939 ihre Heimat verlassen. Sie ging nach
Genf und schien im Exil ihre Kraft zum Schreiben verloren zu haben.
Erst Ende der 1950er-Jahre veröffentlichte sie wieder. 1962
dann ihren berühmtesten Roman "Auf der Plaça del
Diamant".
Zwischen den Zeilen spielt sich in diesem Roman sehr viel ab. Die
Leerstellen, die sich durch die Schilderungen Colometas ergeben, bergen
viel Material für den eigenen Leseprozess und geben dem Buch
eine sehr realistische Nuance. Denn "Auf der Plaça del
Diamant" möchte nicht aufklären. Der Roman schildert
den Lebensprozess und Überlebenswillen einer Frau, die ihr
Dasein selbst in die Hand nehmen muss. Nicht zuletzt, weil sie zwei
Kinder zu ernähren hat und dies in Zeiten des Krieges nicht
einfach ist.
Des Weiteren schlummern in der wunderschönen Colometa sehr
romantische Gefühle und das Auge der Betrachtung für
das pure, bisweilen fast unerträglich schöne und
traurige Leben. Einfach brillante und liebens-, ja wiederlesenswerte
Bilder malt die Autorin.
"Griselda kann man gar nicht richtig beschreiben: sie hatte
eine ganz helle Haut, und eine Handvoll Sommersprossen auf den Wangen.
Und was für ruhige, pfefferminzfarbene Augen sie hatte.
Schlanke Taille, ihr Körper wie aus Seide. Im Sommer sah sie
mit einem kirschroten Kleid wie eine Puppe aus."
Nicht nur durch solche Stellen wird der Roman zum wahren Leseerlebnis.
Das Schicksal Colometas ist berührend und reell
erzählt. Dieses Buch ist nachvollziehbar. Ohne Weiteres
mitreißend für junge Leser.
Die letzten Worte sollen Gabriel García Márquez
gehören, der diesem Buch vielleicht ein besseres Forum
eröffnen kann als irgendjemand sonst. "[Rodoredas]
Bücher lassen [...] eine fast
übermäßige Sensibilität und eine
tiefe Liebe für ihre Leute und für das Leben in ihrer
Umgeben erahnen. Vielleicht verleiht dies ihren Romanen ihre
universelle Geltung."
Fazit:
Dieses Buch sprüht über vor Beschreibungen eines
Seelenlebens. Der Leser wird in eine durchaus einfache
Lebensrealität hineingezogen, die durch ihre Schilderung an
Facettenreichtum und genialer Literarizität gewinnt. Nach
diesem Buch hat man Sehnsucht nach mehr. Vor allem nach guten
Geschichten. Vielleicht sollte man diesen Roman einfach noch einmal
lesen?
(Christin Zenker; 08/2009)
Mercè Rodoreda: "Auf der Plaça del Diamant"
(Originaltitel "La Plaça del Diamant")
Aus dem Katalanischen von Hans Weiss.
Mit einem Nachwort von Gabriel García Márquez.
Suhrkamp, 2007. ca. 250 Seiten.
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Mercè
Rodoreda, die bedeutendste Schriftstellerin der modernen katalanischen
Literatur, wurde 1909
in
Barcelona geboren. Ihre ersten Bücher
erschienen bereits in den dreißiger Jahren, darunter der mit
dem "Preis Crexells" ausgezeichnete Roman "Aloma" (1938, dt. "Aloma",
1991). Dann begann ein fast zwanzigjähriges Schweigen:
Mercè Rodoreda ging, wie viele republikanische Katalanen,
ins Exil nach
Paris, bis sie vor den deutschen Truppen in den
unbesetzten Teil Frankreichs floh und schließlich nach Genf
zog, wo sie als Übersetzerin für die "Unesco"
arbeitete und wieder zu schreiben begann. Hier entstanden die Romane,
die sie berühmt machten: "La plaça del Diamant"
(1962, dt. "Auf der Plaça del Diamant", 1978) und "Mirall
trencat" (1974, dt. "Der zerbrochene Spiegel", 2000).
Die Erfahrung des Krieges und besonders des Exils durchzieht thematisch
das Werk Mercè Rodoredas. Gegenüber dem Realismus
ihrer früheren Bücher bewegen sich die Figuren ihrer
letzten Romane und Erzählungen in einer eher fantastischen
Welt, und die Sprache gewinnt an metaphorischem Reichtum.
Mercè Rodoreda starb 1983 in Girona.
Weitere Bücher der Autorin (Auswahl):
"Weil
Krieg ist"
"Als ich aufwachte, da glänzte wie eine Muschelschale
hoch oben eisig der Mond. Dann ging ein Sternenschauer nieder. Das
hatte ich noch nie gesehen. Sie weinen, weil
Krieg ist, sagte
der Alte."
Adrià Guinart ist jung, der Krieg ist ihm ein Abenteuer, als
er mit ein paar Freunden zur Front aufbricht. Durch Szenen von Rohheit
und rätselhafter Fremdheit geht er mit offenen Sinnen,
staunend und wie wenn sich die Welt zum ersten Mal darböte.
Das Schöne und das Schreckliche stürzen auf ihn ein,
liefern ihn einer Erfahrung aus, die stärker ist als er. Die
große katalanische Autorin Mercè Rodoreda
erzählt in diesem Roman mit der Erfahrung ihres von
Bürgerkrieg und Exil geprägten Lebens von Menschen im
Krieg: davon, was der Krieg mit ihnen macht. Sie erzählt es
auf ihre eigene, unverwechselbare Art, lakonisch, mit hartem Realismus
und in bildhafter Verdichtung. So nimmt die ganze Szenerie menschlichen
Lebens Gestalt an in den Stationen ihres aufrüttelnden Romans.
(Suhrkamp)
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"Der Tod und der Frühling"
"Der Tod und der Frühling" ist die Geschichte einer Initiation.
Mit allen Etappen einer archaischen, ja einer archetypischen Geschichte
vom Inzest
bis zum Kindstod.
Und ist doch kein Mythos, vielmehr eine brachial-realistische Parabel
über die einfachsten und zugleich schwierigsten Dinge im
Leben: den Tod und die Liebe. (Suhrkamp)
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"Der Garten über dem Meer"
"Ich habe schon immer gerne erfahren, was den Leuten so alles passiert, und
das nicht etwa, weil ich neugierig wäre ... Eher, weil ich Menschen mag,
und
die Besitzer dieses Hauses mochte ich sehr."
Sechs Sommer lang beobachtet
der Gärtner eines Herrenhauses über dem Meer das Kommen und
Gehen seiner
wohlhabenden, jungverheirateten Besitzer Francesc und Rosamaria. Sie
empfangen ihre Clique aus Barcelona, fahren Wasserski, feiern
ausgelassene Feste und leben einen von ihren Bediensteten beneideten
Sommernachtstraum.
Doch dem Gärtner entgehen die feinen Risse nicht, die das
scheinbare Idyll
bei jedem Besuch deutlicher zeichnen. Weshalb wirkt die Leidenschaft
des
Paares mit einem Mal gespielt? Wird Francesc, der seiner Frau bis dahin
treu ergeben war, nun doch empfänglich für die Avancen des
brasilianischen
Dienstmädchens? Als auf dem benachbarten Anwesen ein
mysteriöses Paar eine
noch größere Villa errichtet und noch extravagantere Feste
feiert, legt
sich endgültig ein Schatten über die heile Welt am Meer: Der
neue Nachbar
ist niemand Anderes als Rosamarias Jugendliebe Eugeni.
Mit ihrem Roman "Auf der Plaça del Diamant" (1962) gelangte die
katalanische
Autorin Mercè Rodoreda zu Weltruhm. Umso erstaunlicher ist es,
dass "Der
Garten über dem Meer" im deutschsprachigen Raum bisher unentdeckt
blieb. Rodoreda
entwirft darin ein stimmungsvolles Bild der späten Zwanzigerjahre
in Spanien
und erschafft einen Kosmos, in dem man den "großen Gatsby" als Gast auf jeder
Cocktailparty vermutet. (Marebuch)
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Noch ein Buchtipp:
Almudena Grandes: "Der Feind meines Vaters"
Nino, das Kind eines Polizisten der Guardia Civil, ist neun und lebt in einem Dorf in Andalusien. Im Sommer 1947 lernt er den
geheimnisvollen Pepe kennen, der sein Freund und Vorbild wird.
Mit ihm entdeckt er seine Leidenschaft für die
Abenteuerromane von Jules Verne. Doch was hat
Pepe mit dem Freischärler Cencerro zu tun, der in den Bergen gegen die Franco-Diktatur kämpft? Nino gerät mehr
und mehr selbst in ein Abenteuer und muss sich entscheiden, auf wessen Seite er steht.
Almudena Grandes, "eine der besten Autorinnen unserer Zeit"
(Mario Vargas Llosa), erzählt die Geschichte einer
gefährlichen Freundschaft, die "stärker ist als die Liebe". Ein Meisterwerk voller Lebenskraft und Poesie.
Almudena Grandes, 1960 geboren, gehört zu den wichtigsten und erfolgreichsten spanischen Autorinnen der Gegenwart.
Ihre Bücher sind in mehr als 20 Sprachen übersetzt worden. Für ihr bisheriges Gesamtwerk erhielt sie u.A. den
"Premio Julián Besteiro". Anno 2011 wurde ihr Roman "Inés y la alegría" mit dem
"Premio Sor Juana Inés de la Cruz" ausgezeichnet. (Hanser)
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