Abtprimas Notker Wolf: "Wohin pilgern wir?"

Alte Wege und neue Ziele


Pilgern als Lebenskonzept und spirituelle Erfahrung

Dass Pilgern wieder "irgendwie modern" ist, zeigt sich unter anderem am Verkaufserfolg des Buchs "Ich bin dann mal weg", verfasst von Komiker Hape Kerkeling. Achthundert Kilometer Jakobsweg, gegangen von einem, der aus der Kirche ausgetreten ist.

Abtprimas Notker Wolfs Wunsch ist es, selbst einmal den Jakobsweg nach Santiago de Compostela zu bewältigen; dem ranghöchsten Angehörigen des Benediktinerordens blieb dies bislang verwehrt. Erfahrung mit dem Pilgern hat der Abt indes zu Genüge, bereits seit seiner Jugend. In seinem Buch teilt er seine Eindrücke und die anderer Pilger aus verschiedenen Jahrhunderten mit dem Leser und zeigt auf, welche Impulse die Pilgerschaft dem Leben zu geben vermag, und dass sich das Leben selbst als Pilgerreise verstehen und verwirklichen lässt.

Um einen spirituellen Ratgeber allein handelt es sich allerdings mitnichten, denn Notker Wolf betrachtet auch Sinn und Unsinn von Reliquienverehrung, bringt dem Leser die an berühmten Wallfahrtsstätten verehrten Heiligen näher und befasst sich mit angeblichen und offensichtlich echten Wundern. Spannend lesen sich Ausflüge in die Vergangenheit - der Abtprimas führt zwei Beispiele von Pilgerreisen aus lange vergangenen Jahrhunderten an, jener von Margery Kempe, einer der Gedankenwelt des Mittelalters verhafteten Frau, und der des Arnold von Harff, einem Repräsentanten des Adels der Renaissance. Auch jahrhundertealte Pilgerführer, eine Art "Baedeker" für den Jakobsweg, werden zitiert. Auf diese Weise werden die Unterschiede zwischen modernen Pilgern und ihren Vorgängern offensichtlich.

Notker Wolf ist jedoch weit davon entfernt, die Pilger des neuen Jahrtausends nicht ernst zu nehmen. Er möchte verdeutlichen, welche Unterschiede zwischen Wandern und Pilgern bestehen, welche Bedeutung Weg und Ziel für frühere und zeitgenössische Pilger hatten und haben, und wie sich das Leben selbst als Pilgerreise auffassen und verwirklichen lässt.

Anschaulich, durchaus humorvoll, abwechslungsreich und kurzweilig stellt Notker Wolf das Wesen des Pilgerns vor. Der Autor, mit beiden Beinen im Leben stehend, weit gereist und an anderen Kulturen interessiert, macht selbstverständlich keinen Hehl aus seinem Glauben, seiner Konfession, seiner Ordenszugehörigkeit und seiner christlichen Grundauffassung, erweckt jedoch an keiner Stelle den Eindruck, dem Leser den Katholizismus oder die Frömmigkeit an sich aufdrücken zu wollen. Ob einer gläubig ist oder zweifelt, mittels einer Pilgerfahrt seinen Glauben vertiefen oder eine spirituelle Erfahrung machen, vielleicht auch nur "aussteigen" möchte, die Lektüre vermag ihm wertvolle Impulse zu vermitteln. Wie Pilgern, wie Glaube, wie Gottesdienst in unserer und in anderen Kulturen verstanden werden oder verstanden werden können, heute und im Verlauf der früheren Jahrhunderte, hat Notker Wolf bei seinen zahlreichen Visiten im Ausland, auf anderen Kontinenten sowie bei seinen Recherchen erfahren und mit Interesse, Anteilnahme und Lernbereitschaft beobachtet.

Dieses Buch ist definitiv mehr als ein spiritueller oder religiöser Ratgeber. Mit zahlreichen so persönlichen wie interessanten Fotos illustriert, vermittelt es einen Eindruck davon, wie ein Leben als Pilger aussehen mag - auch wenn einer, wie der Abtprimas, lediglich nach bestem Wissen und Gewissen seine Pflicht, seinen Auftrag erfüllt. Denn eigentlich wollte Notker Wolf, wie er schreibt, Missionar werden und keineswegs die Hierarchie seines Ordens anführen. Aber wenn auch ihm zufolge beim Pilgern der Weg nicht allein das Ziel sein kann, bestimmt das Ziel letztlich doch den Weg.

Ein gehaltvolles und informatives, dabei jedoch ungemein charmant verfasstes Buch, das Suchenden Rat gibt und nicht Suchenden Anregungen zum Finden bietet.

(Regina Károlyi; 09/2009)


Abtprimas Notker Wolf: "Wohin pilgern wir? Alte Wege und neue Ziele"
Rowohlt, 2009. 255 Seiten.
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Lien: Interview mir Abtprimas Wolf über "Wohin pilgern wir? Alte Wege und neue Ziele"