Pawel Jaszczuk: "Der Teufel von Lemberg"


Mit "Der Teufel von Lemberg" von Pawel Jaszczuk veröffentlichte dtv nicht allein "irgendeinen" polnischen Kriminalroman, sondern einen ausgezeichneten: Der Roman erhielt in Polen den "Wielki Kaliber" ("Das große Kaliber"), einen Krimipreis, der auf Grund der noch jungen Krimiszene in Polen erst seit wenigen Jahren vergeben wird.

1936 rund um Lemberg geschehen bizarre Morde: Junge Frauen werden ermordet aufgefunden, und an ihre Füße wurden Hufeisen genagelt. Reporter Jakub Stern wittert eine weitere Chance, seinen mittlerweile etablierten Namen durch die Berichterstattung zu diesen Mordfällen weiter zu festigen und Ruhm einzuheimsen. Dafür lässt Stern einmal mehr seine junge Frau allein und enttäuscht die Hoffnungen seiner Tochter Kasia auf gemeinsame Unternehmungen. Stattdessen reist Stern, zunächst allein, dann zu seinem Leidwesen mit einem Praktikanten an seiner Seite, umher, fest entschlossen, dem Täter auf die Spur zu kommen.

Gerade einmal 254 Seiten umfasst das Taschenbuch, so dass man schon zu Anfang zweifelt, ob ein wirklich guter Krimi, gerade ein moderner und preisgekrönter, auf so wenigen Seiten überzeugen kann. Es sei vorweg genommen: Ja, er kann.

Das Geheimnis des Erfolges liegt bei "Der Teufel von Lemberg" allerdings nicht in der Struktur eines klassischen Krimis, vielmehr wären Leser solcher Titel von Jaszczuks Werk wohl eher enttäuscht. Das Ganze ist vielmehr eine Charakterstudie, die spiralförmig verläuft und den Leser mehr und mehr in Sterns Leben hinein zieht. Immer enger werden die Kreise gezogen, bis der Roman schließlich auf eine geradezu surreale und kafkaeske Art und Weise endet.

Zu Anfang stellt sich die Geschichte noch so dar, wie der Klappentext es verspricht: Reporter jagt Mörder und wird diesen - so ist anzunehmen - im Verlauf des Ganzen als eine Art Hobbydetektiv stellen. Doch nach einem sehr direkten Einstieg, in dem der Leser sogleich mit einem der Opfer und seinen Besonderheiten konfrontiert wird, geschieht hinsichtlich der kriminologischen Recherche oder Jagd im Grunde ... nichts. Gute hundert Seiten vergehen, bis die Morde wieder konkretes Thema werden. Bis dahin begleitet man Jakub Stern durch den Alltag, lernt diesen, Sterns Wünsche und Probleme kennen, besucht an seiner Seite einen alten Freund, streitet intensiv mit der jungen, zweiten Gattin und enttäuscht wiederholt die aufgeweckte Tochter.

Das alles erscheint sehr breit ausgewalzt im Verhältnis zur Gesamtlänge des Romans, doch nach den ersten hundert Seiten wird die Stimmung zusehends düsterer, und die vorhin erwähnten Kreise werden merklich enger. Langsam dämmert dem Leser, dass die Morde als solche hier keinen Mittelpunkt bilden und auch gar nicht bilden sollen. Die Sichtweise auf und die Erwartungen an den Roman verändern sich nach und nach, bis man schließlich auf der letzten Seite angelangt ist und erst einmal sacken lässt, was einem da alles präsentiert wurde und wie.

Jaszczuk hat sein offensichtliches Ziel erreicht, etwas Sogartiges auf verhältnismäßig wenigen Seiten zu kreieren, das einen unwiderruflich in den Bann schlägt und niveauvoll unterhält. Manches historische Detail bleibt hierbei leider arg im Verborgenen, doch es gibt vieles, das man bei "Der Teufel von Lemberg" zwischen den Zeilen lesen kann. Daher: Lesen, unbedingt.

(Tanja Thome; 09/2009)


Pawel Jaszczuk: "Der Teufel von Lemberg"
(Originaltitel "Foresta Umbra")
Aus dem Polnischen von Barbara Samborska.
dtv, 2009. 254 Seiten.
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Pawel Jaszczuk wurde 1954 in Ostróda geboren. Von ihm erschienen ist bisher in Polen "Schlichtingers Testament" (1991), "Der Sponsor" (1995) und "Honolulu" (1997).

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