A.P. Schlöglmeier: "Über die Unbewohnbarkeit des Paradieses"
Lehrmeister
des Scheins
Es ist wie es ist: A.P. Schlöglmeiers Protagonist -
ausgestattet mit vielen
Identitäten - ist trotz paradiesischer Finanzmittel verloren
in der Welt. Ganz
zu schweigen von seiner Unmöglichkeit, das Wort "Heimat" zu
definieren.
"Leser [kaufen] Bücher nach dem Namen des Autors
(...) und nicht nach der
Qualität des Inhaltes", schreibt der Leiter des
kleinen österreichischen
Verlages "Edition Zaunreiter" im Vorwort zu A.P. Schlöglmeiers
Roman.
Warum verlegt er dann dennoch ein Buch eines bis dato unbekannten
österreichischen
Autors? Die Antwort liefert er gleich mit: Es ist die Qualität
des Inhalts.
Und Recht hat er: "Über die Unbewohnbarkeit des Paradieses"
offenbart
ein wunderbares Kleinod aktueller österreichischer Literatur.
Der paradoxe
Titel verspricht nicht nur einen ungewöhnlichen Roman - der
bei näherer
Betrachtung gar nicht so "exotisch" ist -, sondern offenbart
überdies
eine beachtlich hochwertige literarische Qualität der Sprache,
nebst einem höchst
aktuellen Thema.
Wer ist nun dieser lesens- und
nennenswerte A.P. Schlöglmeier? Betrachter, Satiriker,
Gastronom, Maler,
Schriftsteller und Reisender, ist im Buch zu lesen. Der Autor selbst
meint: "Andreas
Pankraz Schlöglmeier ist eigentlich eine Kunstfigur, die
hoffentlich an
Absurdität nicht zu übertreffen ist."
Mit einer außergewöhnlichen
"Absurdität" wird der Leser wird bereits im ersten Kapitel -
welches
genau genommen das 26. ist und zum besseren Verständnis der
nachfolgenden
Handlung als Einstieg gewählt wurde - konfrontiert: Da
lässt sich ein ungefähr
Fünfundvierzigjähriger, aus der Karibik kommender
Mann am Flughafen Frankfurt
freiwillig verhaften, nachdem er zuvor dem "Beamten zur Sicherung der
EU" neben seinem "normalen" noch weitere sieben, mit
unterschiedlichen Namen versehene Pässe auf den Tisch knallt.
Drei davon -
Boris Grüntner, Marcel Brunner und letztendlichen David Moses
Wessely - werden
im weiteren Verlauf der Geschichte eine größere
Bedeutung erlangen.
Verwandlungen einer traurig-schillernden Figur
Absurd - nein eher ungewöhnlich - ist auch die Struktur des
Buches. Da werden
zum einen die letzten Tage im "Paradies" des David Moses Wessely bis
zum kulminierenden Höhepunkt eben jener Ereignisse am
Frankfurter Flughafen erzählt;
wechseln sich jedoch mit dem über einen wesentlich
längeren Zeitraum (annähernd
dreißig Jahre) andauernden "Bericht der Verwandlung" in eben
diese
suspekt-schillernde Figur, ab.
Alles Andere als schillernd,
eher traurig, hat diese ungewöhnliche
Persönlichkeitsbildung begonnen. "In
dunklen, schwarzen, undurchsichtigen Hallen, Gängen und
endlosen
Gebetsstunden" begegnet der Leser im Jahr 1981
zunächst einem fünfzehnjährigen
Waisenjungen. Paul A. lebt in einem Kloster, zwischen strengen
religiösen
Vorschriften und sexuellen Missbräuchen des Hausarztes. Paul
setzt seine eigene
Waffe dagegen - das Schweigen.
Als er in einer Nacht- und Nebelaktion das Geheimnis seiner "unreinen
Geburt" erfährt, flieht er aus den klösterlichen
Mauern ins nahegelegene
Wien.
Durch einen weiteren ungewöhnlichen
Vorfall gerät er in die Hände einer mehr als
zwielichtigen Person, des Herrn
Theodor Grüntner. Offiziell ehrbarer Agent ("Betrügereien
aller
Art") einer ebenso "ehrbaren" großen urbanen
Versicherungsgesellschaft, weiß jener bei seinen
geschäftlichen Aktivitäten
die Gesetzesklippen gekonnt zu umschiffen, um sich somit ein
beträchtliches,
wenn auch nicht ehrliches Vermögen anzuhäufen.
Da er selbst keine Kinder aber ein großes Herz hat, wird aus
Paul einfach
Boris, der rumänisch-stämmige Neffe des galanten
Theodor Grüntner.
Königin der Welt
Fortan begleitet Boris seinen "Onkel" bei all seinen zwielichtigen
Geschäften, lebt das Leben eines reichen Tunichtguts und
verkehrt in höchsten
Kreisen des österreichischen, später gar
internationalen Geld- und
Politik-"Adels" - offiziell weiterhin stumm:
Schweigen
hat manchmal
seine Vorteile.
Theodor Grüntners Hinweise, Tipps,
Ratschläge und
Lebensweisheiten macht Boris
sich in Zukunft zu Eigen. Doch trotz aller paradiesischer Gefilde, in
denen er
sich bewegt, bringen diese ihm kein Glück. Seine
große Liebe, seine "Königin
der Welt", verlässt ihn. Einsamkeit und Langeweile
avancieren zu
seinen ständigen Begleitern. Als der Gesetzgeber ihm und
seinen unlauteren
Geschäften auf die Schliche kommt, entstehen flugs weitere
Identitäten. Aus
dem stummen Boris wird der nunmehr eloquente Regierungsberater Marcel
Brunner,
um zu guter Letzt erneut zu verstummen und als Guru David Moses Wessely
gestressten Managern und reichen frustrierten Ehepaaren in den
traumhaften
Gefilden der Karibik innere Einkehr zu verkaufen.
Doch das Paradies - selbst
geschaffen oder hineinversetzt - ist nicht bewohnbar. Es wird zur Hölle
für
unseren Helden. Er kann in ihm nicht leben, "vegetiert (...)
unter der
Schönheit des Gebotenen". In absoluter
Seelenlosigkeit und völliger
Vereinsamung trifft der Leser schlussendlich Moses am Frankfurter
Flughafen
wieder, der sich - beinahe erleichtert - verhaften lässt, um
in der
Untersuchungshaft seine, eben diese, Geschichte eines Hochstaplers
aufzuschreiben.
Philosophische und nachdenklich stimmende Zeilen
Der Erzählstil des kleinen Buches wechselt ständig,
manchmal gar mitten im
Satz, zwischen auktioraler, personaler, bis hin zur quasi
geschlechtslosen
Man-Erzählform. Diese sporadischen Wechsel durchziehen
gleichfalls die gewählten
Zeitenformen: Präsens, Perfekt, Futur und teilweise auch
Imperfekt wirbeln
durcheinander, genau wie die multiplen Persönlichkeiten des
Paul, Boris, Marcel
oder Moses. Aber dies ist keinesfalls verwirrend und fügt sich
homogen ins
Gesamtbild des Romankonzepts ein.
"Über die Unbewohnbarkeit des Paradieses" ist ein sehr
vielschichtiger und äußerst komplexer Roman, der
sich trotzdem leicht und flüssig
liest. Er erzeugt eine Fülle verschiedenster
Atmosphären und kann als
(außergewöhnlicher)
Entwicklungsroman, genauso wie als Schelmenstück gelesen
werden.
Auf jeden Fall enthält er eine Fülle nachdenklich
stimmender Zeilen ("Das
Ende der Welt ereilt jeden Menschen in dem Moment, in dem er meint, das
Paradies
gefunden zu haben."), und viele philosophischen
Betrachtungsweisen ("Boris
Grüntner (...) war Idealist, Marcel Brunner ist bar jeder
Hoffnung, merkt bald,
dass Hoffnungslosigkeit, Resignation und Depression die
größte aller
Hoffnungen ist, ein Leben bar jeder Enttäuschung").
Leicht überzeichnet, immer mit
einem subtilen Schuss Ironie, ist A.P. Schlöglmeier der
Wahrheit wahrscheinlich
näher, als seine Parodie es suggeriert.
Sympathisches Monster
Wunderbare, zum Teil lange (Schachtel-)Sätze und
Wortspielereien lassen das
Leserherz höher schlagen ("Morgen würde der
Dicke seine verwüsteten Räumlichkeiten
betreten, würde betreten sein, würde den Schuldigen
suchen, würde antreten
lassen ...") und wechseln sich harmonisch mit kurzen und
prägnanten ab
("Wir beide, Boris, finden uns eine andere Welt!").
Die Leseaufmerksamkeit wird jedoch niemals überstrapaziert.
A.P. Schlöglmeier erzeugt mit diesem auf den ersten Blick
vielleicht
verworrenen Schreibstil bar aller grammatikalischer Regeln einen
imaginären Erzählsog.
Man gleitet geradezu in diesen ungewöhnlichen Text hinein.
Am Ende ist
Paul-Boris-Marcel-David - obwohl vom Autor nicht beabsichtigt - gar so
etwas wie
sympathisch. Man kann die eine oder andere Handlungsweise des
Protagonisten ob
seiner tragischen Vergangenheit durchaus verstehen und zollt ihr
vielleicht
sogar so etwas wie "Bewunderung und Respekt, obschon bei
genauerer
Betrachtung Abscheu und Ekel angebracht wären." Denn
es ist
offensichtlich, dass ein "Monster" wie David Moses Wessely "nur
aus der Masse der Einflüsse geformt werden kann.",
wie er am Ende des
Romans selbst erkennt. Und diese hat A.P. Schlöglmeier mehr
als treffend
karikiert.
Fazit
Bleibt schlussendlich noch einmal aus dem Vorwort des Verlegers dieses
großartigen
Buches zu zitieren und sich diesem ohne Abstriche
anzuschließen: "Das
Buch ist keinesfalls ein vordergründiger, sensationsgeiler
Enthüllungsroman
(...), sondern ein - brillant geschriebener - Tatsachenbericht. (...)
Der Leser
(...) wird zum Nachdenken angeregt. Und das kann ja wohl nicht schaden!"
Zudem wird er auch noch großartig
unterhalten!
"Die Unbewohnbarkeit des Paradieses" ist ein absoluter Geheimtipp, dem
unbedingt noch viele Leser zu wünschen sind!
(Heike Geilen; 01/2008)
A.P.
Schlöglmeier: "Über die
Unbewohnbarkeit des Paradieses"
Edition Zaunreiter, 2007. 200 Seiten.
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