Michael von Brück (Hrsg.): "Religion - Segen oder Fluch der Menschheit"


Religion: JA, NEIN oder JEIN?

Ist nun Religion gut oder schlecht? Dieser Frage, die spätestens seit der Aufklärung in Europa und später weltweit zu einem Religionsskeptizismus bis hin zum faschistisch und marxistisch kultivierten Antiklerikalismus führte, aber - teilweise auch gleichzeitig - religiöse Erneuerungsströmungen und karitative Bewegungen initiierte, ist wohl jeder schon einmal begegnet. Mancher erst angesichts einer vorliegenden Kirchensteuervorschreibung.

Michael von Brück, Professor für Religionswissenschaften an der Evangelisch-Theologischen Fakultät der Universität München, beantwortet sie nicht nur für seine Kirche, auch nicht nur für das Christentum. In dieser Textsammlung erhebt der in Indien und Japan ausgebildete Zen- und Yoga-Lehrer den Anspruch, diese scheinbar europäisch motivierte Fragestellung global, auch aus der Sicht des Islam, des Judentums, des Hinduismus und des Buddhismus zu beantworten.

Die oft gehörte halbherzige, jedenfalls zu kurz greifende Antwort, dass nämlich Religion an sich gut sei, aber oft politisch und sozial für Zwecke der Machtausübung und persönlichen Bereicherung ausgenutzt werde, lässt der Herausgeber nicht gelten. In einem einleitenden Text definiert er Religionen und beschreibt Bedingungen ihrer Genese in einer bewussten Einheit der transzendenten Überzeugungen und der handelnden Personen, ohne religiösen Missbrauch und auf Glaubensfragen projizierte Konflikt- und Gewaltspiralen auszusparen. Der Staatsrechtler und frühere deutsche Bundespräsident Rainer Herzog ergänzt die Einführung um ein Kapitel historischer und begrifflicher Klärungen im Zusammenhang mit früher Staatlichkeit und dem Entstehen der Hochreligionen im Orient, in Indien und China.

Das gut 500 Seiten starke Büchlein im handlichen Taschenformat gibt dann Beiträge zu den fünf Weltreligionen wieder, die größtenteils im Zuge von internationalen Tagungen 2006 und 2007 entstanden. Aktuelle Probleme, z.B. auch Fragen des religiös motivierten Fundamentalismus und des Terrorismus werden nicht ausgespart, stehen in manchen Beiträgen auch im Zentrum; doch leidet die augenscheinliche inhaltliche Aktualität an der mittlerweile schon unzeitgemäß wirkenden alten Rechtschreibung.

Interessant ist vor allem der zweite Teil, der rund zwei Drittel des Umfangs umfasst: konkrete Handlungsfelder in den Bereichen Meditation und Motivation, Glaubensüberzeugung und Toleranz sowie sozialer Wandel und Neubildungen von Religion, also in einer Anordnung von innen nach außen, vom Individuellen zum Kollektiven. Beiträge von Anas Shakfeh, dem Präsidenten der Islamischen Glaubensgemeinschaft in Österreich, zum Islam in Europa und von Paul Michael Zulehner, dem kürzlich emeritierten Wiener Professor für Pastoraltheologie, über die aktuelle Glaubensüberzeugung unter Katholiken verweisen auf die religiöse Situation in Österreich, teilweise - so wie auch die übrigen Artikel aus anderen Ländern - sehr, vielleicht zu detailliert.

Auch wenn der Herausgeber eingangs und in Zwischentexten die Hoffnung ausdrückt, dass die segensreiche Wirkung von Religion in einer globalisierten Welt im gegenseitigen fruchtbringenden Dialog liegt, sind die Detailliertheit und der hohe wissenschaftliche Anspruch der Publikation sowohl Qualitätskriterium als auch Bürde. Ohne grundlegende Kenntnis der Glaubensinhalte, Kulte und Organisationsformen der behandelten Weltreligion bleiben die meisten Beiträge für Laien schwer verständlich. Das Buch aus der Reihe der Essay- und Studienbände im Verlag für Weltreligionen bei Suhrkamp konnte sich nicht aus dem Kontext eines prominent beschickten Symposions lösen, schafft es leider nicht, die wissenschaftlichen Ergebnisse grundlegender religiöser und religionsphilosophischer wie religionssozilogischer Fragestellungen für eine interessierte Allgemeinheit aufzubereiten. Ein Tagungsband passt nicht zum Verlagsprogramm von Suhrkamp.

(Wolfgang Moser; 12/2008)


Michael von Brück (Hrsg.): "Religion - Segen oder Fluch der Menschheit"
Verlag der Weltreligionen, 2008. 501 Seiten.
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Prof. Dr. Michael von Brück, geboren 1949, ist seit 1991 Professor für Religionswissenschaft und Leiter des interfakultären Studiengangs Religionswissenschaft an der Ludwig-Maximilians-Universität München. Dozentur und Studium in Indien, Mitglied mehrerer wissenschaftlicher Gremien weltweit. Forschungsschwerpunkte und Publikationen: Hinduismus, Buddhismus, interreligiöser Dialog.

Weitere Lektüreempfehlungen:

Michael von Brück (Hrsg.): "Bhagavad Gita - Der Gesang des Erhabenen"

Die Bhagavad Gita (Der Gesang des Erhabenen), das bedeutendste religionsphilosophische Gedicht des Hinduismus, ist Teil des umfangreichen Sanskritepos Mahabharata (entstanden zwischen dem 4. Jh. v. Chr. und dem 4. Jh. n. Chr.). Gott Vishnu steht in menschlicher Gestalt als Wagenlenker Krishna dem Helden Arjuna vor der furchtbarsten Schlacht der indischen Mythologie zur Seite. Arjuna zweifelt in einem Pflichtenkonflikt: Seiner Aufgabe als adeliger Krieger (Kshatriya) gemäß soll er einen "gerechten Krieg" führen, um Recht und Ordnung in der Gesellschaft wiederherzustellen; auf der Gegenseite sind aber zahlreiche Verwandte und Lehrer angetreten, die er zu schützen hat. Krishna zeigt ihm, dass der Rückzug aus der Welt keine reife spirituelle Lösung ist, und belehrt ihn über die Ordnungen der Welt, des Geistes und das menschliche Leben. Das Handeln ohne ich-hafte Absichten und die vollkommene Hingabe an Gott führen auf der Basis von Erkenntnis zur Befreiung aus dem Leiden.
Unter dem Begriff "Yoga" wird auf vielfältige Weise sichtbar gemacht, worauf es bei einem spirituell verantworteten Leben ankommt, das sich nicht aus den Konflikten der Welt verabschiedet. Der Mensch im Widerspruch zu sich selbst, zur Gesellschaft, zu der Weltordnung überhaupt, das ist die Situation, in der die Gita, zunächst von ganz weltlichen Erwägungen ausgehend, den Blick auf metaphysische Zusammenhänge richtet und dabei immer wieder zurückkommt auf die Frage nach dem rechten Handeln im alltäglichen Leben.
In der Bewältigung einer existenziellen Erfahrung und in der Verbindung von Tradition und Modernität liegt der Hauptgrund für den unvergleichlichen und anhaltenden Erfolg der Bhagavad Gita, in der sich bereits der Einfluss des Buddhismus zeigt ("Man muss sich selbst durch das Selbst emporheben ... Wer sich selbst durch das Selbst überwunden hat, ist zu seinem eigenen Freund geworden"). (Verlag der Weltreligionen)
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Michael von Brück: "Religion und Politik in Tibet"
Religion und Politik sind nicht zwei getrennte Bereiche menschlichen Handelns, sondern voneinander abhängige Aspekte gesellschaftlicher Kommunikationsprozesse, denn Herrschaft und politisches Handeln erfahren durch Religion Legitimierung, und umgekehrt prägen sich politische Interessen in religiösen Ideen und im Kultus aus. Religionen wollen das Wesen hinter den Erscheinungen der Welt im Kult sichtbar machen und im symbolischen Ausdruck sowie durch systematisierte Lehren deuten, und diese Symbole und Deutungen haben Einfluss auf die individuellen und gesellschaftlichen Lebensformen. Durch gesellschaftliche Gestaltungsprozesse wird Religion in politische Praxis umgesetzt und nicht selten auch instrumentalisiert.
Erst seit der europäischen und us-amerikanischen Neuzeit geht Macht "vom Volke" aus, zuvor war sie immer und in allen Kulturen in eine religiöse Sphäre eingebunden und strahlte von dort auf die menschlichen Repräsentanten aus, auf Könige, Bischöfe, Priester, Lamas usw. Inwieweit auch der tibetische Buddhismus in diesem Weltbild wurzelt, untersucht der vorliegende Band, der erstmals 1999 erschien.
Deutlich wird der Widerspruch von Anspruch und Wirklichkeit, der jeder politischen Geschichte, auch der tibetischen, innewohnt. Dieser Widerspruch aber treibt zu immer neuen Gestaltungen politischer Prozesse, zu Reformen und Neubildungen, durch die Kreativität freigesetzt wird. Dies geschieht nach den Maßgaben eines kulturellen Grundmusters, das in Tibet durch das tantrische Weltbild und die buddhistische Philosophie gegeben ist. Erst durch die Kenntnis dieser Traditionen wird es möglich, das Land, seine Kultur und Religion und auch seine besondere politische Situation angemessen zu begreifen. (Verlag der Weltreligionen)
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