Gernot Candolini:
"Das geheimnisvolle Labyrinth"
Mythos und Geschichte eines Menschheitssymbols
Quadratur des Kreises
Das vorliegende Buch möchte uns 'Mythos und Geschichte eines
Menschheitssymbols' (Untertitel) näherbringen - wobei sozusagen als Losung gilt: "Das Labyrinth ist ein Rätsel, ein heiliges Zeichen, ein uraltes Symbol." Vorneweg gilt es mit einer begrifflichen Unsauberkeit aufzuräumen, indem wir genau unterscheiden zwischen
Labyrinth und
Irrgarten.
Ein Labyrinth hat nur einen Weg, der allerdings verschlungen ist. Ein
Irrgarten hat Umwege und Sackgassen. Labyrinthe verfolgen eher einen
spirituellen Zweck, indem sie den Lebensweg symbolisieren und zur
Entdeckung des eigenen Ichs führen sollen. Ein
Irrgarten will den Besucher möglichst in die Irre führen -
früher womöglich ernsthaft,
heutzutage eher spielerisch. Ziel bei beiden ist es, in die Mitte zu
gelangen. Eine v.a. in skandinavischen Ländern überlieferte
Sonderform des Labyrinths sind die sogenannten Trojaburgen, meist aus
Steinsetzungen gelegt. Jedenfalls war bereits das sogenannte Labyrinth
des Minotaurus eigentlich ein Irrgarten - nun werden wir uns mit dem
vorliegenden Buch hoffentlich endgültig den Unterschied merken.
Die Konstruktion jedenfalls wird eingängig erläutert, dass
man ausgehend von einem Kreuz mit eingefügten vier Ecken und vier
Punkten, beginnend an der oberen Linie jeweils einen Bogen zur
nächsten Linie bzw. zum nächsten Punkt führt - und so
ein klassisches Labyrinth erhält.
Das älteste datierbare Labyrinth stammt aus Pylos in Nordgriechenland, das
Seit der
Minotaurus-Sage
gibt es Interpretationen des Labyrinths als "Heldenweg" hinein und als
"Liebesweg" hinaus. Daidalos hatte für König Minos auf Kreta
das Labyrinth entworfen - die Befreiung aus dem Labyrinth, in welchem
er quasi innerlich gefangen ist, hat einen hohen Preis: auf die
Kreativität aus Neid folgt die Demut. In zahlreichen Kulturen war
der Stier Mittelpunkt diverser Rituale: immer wieder ging es darum, die
Urgewalt des Stieres zu besiegen bzw. sich anzueignen - im Labyrinth zu
bannen. Irgendwie witzig mag erscheinen, dass das Christentum den
Labyrinthmythos übernommen und umgedeutet hat: Christus als der
wahre Theseus besiegt das Teuflische im Labyrinth der Seele. Und so
kommt es zu zahlreichen Labyrinthdarstellungen in Kirchen und
Klostergärten. Und Candolini sagt über das gotische
Labyrinth: "Nirgendwo besser als beim Gehen werden die Botschaften des Labyrinths spürbar."
Dabei ist zu konzedieren, dass das gotische Labyrinth mit seinen elf
Kreisen (11 ist die Zahl der Unvollkommenheit) und 28 Kehren (so viele
wie ein Mondmonat Tage hat) so ziemlich die raffinierteste Konstruktion
auf diesem Gebiet ist - man legt 240 Meter zurück, wo nur 6 Meter
Abstand von außen zur Mitte sind (zu sehen und zu begehen in der
Kathedrale von Chartres (nördliches Frankreich) - als
Fingerlabyrinth von
Rasenlabyrinthe waren im Mittelalter Kinderspielplätze,
Tanzplätze der Jugend und Festplätze für Handwerksgilden
und kirchliche Feiertage. In Deutschland gibt es noch drei erhaltene
alte Rasenlabyrinthe, eines davon der "Schwedenhieb" in Graitschen a.
d. Höhe (nördlich von Jena), welches das Labyrinth sogar im
Ortswappen führt. An den Küsten der
Nord- und Ostsee gibt es über 500 alte Steinlabyrinthe, sogenannte
Trojaburgen - normannische Seefahrer brachten die Form wohl aus dem
Mittelmeerraum zunächst nach Schweden. Labyrinthe finden sich auch
in Russland, Indien, Pakistan, Indonesien - und auch bei den Indianern
Nordamerikas - und man mutmaßt, dass die
Hopi-Indianer
die Form des Labyrinths auch nach Südamerika brachten. Bei den von
Candolini vorgestellten sogenannten Heckenlabyrinthen handelt es sich
übrigens meist um Irrgärten.
Ein Kapitel widmet sich der "universellen Sprache der Symbolik"
- hier werden verschiedene Deutungen erläutert: das Labyrinth als
Symbol für den Kosmos, den Lebensweg, ein Gefängnis, die
Angst, das Böse, den Tod, die Mitte oder den Tanz - oder als
Initiationssymbol. Leider zeigt uns Candolini nur wenige Beispiele von
Labyrinthen in der Kunst (Lars Raun, Ernst Steiner, Rudolf Hausner,
Ingrid Mantscheff). Dabei nennt er als einen Grund für die
Faszination von Labyrinthen die Wortlastigkeit unserer modernen
Informationsgesellschaft - im Labyrinth geschehe etwas mit uns ohne
Worte. Das Buch präsentiert uns zahlreiche Beispiele von
Labyrinthen in Farbfotos und Beschreibungen - am Ende gibt es noch ein
alphabetisches Verzeichnis neuerer Labyrinthe in Deutschland,
Österreich und der Schweiz. Mein Favorit ist das Lavendellabyrinth
in Kastellaun (Rhein-Hunsrückkreis), das dürfte das
intensivste Erlebnis sein, im
Duft zu
lustwandeln und seinen Lebenswegen nachzumeditieren. Und dann gibt es
da noch neben all den kirchlich missbrauchten Labyrinthen und
Irrgärten (immerhin sind die ja heidnisches Erbe!) den
'Joseph-Beuys-Gedächtnisgarten'
mit dem sogenannten 'Forum im Labyrinth' in Ostrhauderfehn
(Ostfriesland) des Kunstmeisters Hartmut T. Reliwette - wobei dieses
Labyrinth eigentlich ein Irrgarten ist, aber nicht weitersagen, oder?!
Ach ja, und wer beides will: im Park des Schlosses Schönbrunn
(Wien) finden sich ein Labyrinth und ein Irrgarten nebeneinander!
Und verwirrende Variationen sehen wir im 'Labyrinthus Touraine' zwischen Tours und Loché (Mittelfrankreich).
Insgesamt ist dies ein ungeheuerlich inspirierendes Buch, welches uns mit einem Spruch versöhnt: "Der Irrgarten fordert uns heraus, den richtigen Weg zu finden. Das Labyrinth lehrt uns, dem eigenen Weg zu vertrauen."
(KS; 04/2008)
Gernot Candolini: "Das geheimnisvolle Labyrinth. Mythos und Geschichte eines Menschheitssymbols"
Pattloch Verlag, 2008. 256 Seiten.
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Gernot Candolini, Jahrgang 1959, ist Biologe und arbeitet als Lehrer an einer Montessori-Schule. Seit vielen Jahren sammelt er Bilder und Geschichten über Labyrinthe in europäischen Gärten, Parks und Kirchen. Er entwirft und baut Labyrinthe und hat eine Reihe von erfolgreichen Büchern zu diesem Thema veröffentlicht.
Buchtipp:
Gerhard Roth: "Das Labyrinth" zur Rezension ...