Catalin Dorian Florescu: "Zaira"
Packender
Roman vor dem Hintergrund der rumänischen Geschichte
Das Leben ist eine Schwindel erregende Reise: nicht nur für
Zaira, die Protagonistin des neuen Romans von Catalin Dorian Florescu, sondern
auch für alle Menschen in ihrer Umgebung, und meistens scheint
das Ziel unklar.
Zaira wächst als Mitglied einer
Großgrundbesitzerfamilie
in
Rumänien auf. Ihre Mutter sieht sie nur selten, denn diese
reist ständig ihrem Mann nach, der in der königlichen Armee
dient, und widmet sich zwischendurch ihren Liebhabern. Zaira hat in dieser
Zeit viele Mütter, vor allem aber Zizi, ihren zwanzig Jahre
älteren Cousin, der ihr viel Lebensweisheit vermittelt und sie
das Schauspielern lehrt.
Just in dem Augenblick, als die erste Romanze der
dreizehnjährigen Zaira aufblühen möchte, kommt der Krieg in ihre
Heimat. Zunächst belegen Deutsche das Gut mit Beschlag, doch die
Zeiten ändern sich rasch, und als die Kommunisten
schließlich Zairas Familie auf-, vielmehr heimsuchen, beginnt der schreckliche
Abstieg, vorangetrieben von Dumitru, einem rachsüchtigen,
ehemaligen Bediensteten, dessen Schatten sie niemals mehr abstreifen
werden.
Die Schikanen durch die Kommunisten treiben Zizi in den Alkoholismus
und einen frühen Tod. Zaira und ihre Eltern, enteignet und
entehrt, müssen sich mühsam durchschlagen. Ihr
Jugendfreund fordert von Zaira die versprochene Ehe ein, doch diese wird nicht
glücklich und endet, als Zaira, ganz in der von Zizi
begründeten Tradition, Puppenspielerin wird und sich in ihren
Ausbilder Traian verliebt.
Die Beziehung zu Traian währt lange und könnte
eigentlich sogar Zairas kurzen Aufstieg zur Geliebten eines Ministers
überdauern, wäre da nicht der
Alkohol, dem Traian
allzu ergeben ist. Diesen Konkurrenten kann Zaira nicht akzeptieren, weil er
sie ständig an Zizis Niedergang erinnert. Sie trennt sich von
Traian, der inzwischen Buchhändler geworden ist, und als sie
ihm eine Tochter gebiert, erfährt er nichts davon.
Zaira heiratet ein zweites Mal, einen Mann, den sie schätzen,
wenn auch nicht lieben kann. Mit ihm und der Tochter flieht sie unter
höchst turbulenten Bedingungen in die USA und fängt
noch einmal von vorne an. Viele Jahre später bricht ihre
mühsam errichtete schöne neue Welt wie alle vorhergegangenen ein, und
Zaira erkennt, wo sie wirklich hingehört.
Es ist nicht neu, dass sich Autoren, die aus ehemals kommunistischen
Ländern stammen, mit der Geschichte ihrer Heimat
auseinandersetzen, selbst wenn sie, wie Florescu, nur relativ wenig
davon persönlich erlebt haben.
Zairas Geschichte hat der Schriftsteller wunderbar nachempfunden, es
mangelt ihr nicht an Authentizität. Florescu lässt
vor dem Auge des Lesers die Welt der südosteuropäischen
Großgrundbesitzer auferstehen, er weiß
vorzüglich die Atmosphäre von Angst und Bedrückung im Kommunismus
nachzustellen, er vermittelt wunderbar das Empfinden seiner bezaubernd
konzipierten, nur scheinbar widersprüchlichen Charaktere und
verwebt Zairas Geschichte mit jener ihrer Mutter und ihrer Tochter so
eng, dass die Parallelen verblüffen und entsetzen. Selten
besitzt ein männlicher Schriftsteller die Gabe, sich so gut in die
Psyche einer Frau einzufühlen wie Florescu in Zairas.
Der Roman zeigt auf, dass die meisten Lebensgeschichten im Grunde
spiralförmig verlaufen, sodass die Lebenden zwar viele
Kilometer zurücklegen während ihrer langen Reise, andererseits
jedoch, verfolgt man die Spirale axial, kaum vorankommen, so wie Zaira, die
vergeblich versucht, dem immerwährenden Kreislauf und ihrer
großen Liebe zu entfliehen.
Florescu ist ein sehr guter, aufmerksamer Beobachter, der Stimmungen
einzufangen weiß, bedeutende Szenen mit Kühnheit und
Selbstbewusstsein gestaltet und letztlich ein Seelenleben schildert,
Das der Protagonistin in all den Jahren fremd geworden ist.
Zaira, die Protagonistin, darf sich im Roman als Siegerin
fühlen, obwohl sie als Gutsbesitzerstochter bald nur noch Häme der
meisten Dorbewohner erlebt und auch in Amerika vor verwirrenden
Herausforderungen steht. Sie leistet Großes und versagt bei
Kleinigkeiten, im Privatleben.
Wie es Dumitru, der es zu einer bedeutenden Position in der Partei
gebracht hat, gelang, Zaira und ihre Familie bis zum Ende grausam zu
dirigieren, bleibt bis kurz vor dem Ende ein Rätsel, das
jedoch Zaira schließlich dorthin führt, wo sie immer
hingehörte.
Ein wunderbar spannend und einfühlsam erzählter,
kühner Roman um eine Künstlerexistenz im
frühen kommunistischen Rumänien und in den USA, nur
scheinbar schlicht und schmucklos, jedoch voll von einer tiefen, warmen
Sympathie.
(Regina Károlyi)
Catalin
Dorian Florescu: "Zaira"
Gebundene Ausgabe:
C.H. Beck, 2008. 479 Seiten.
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Taschenbuchausgabe:
dtv, 2009.
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Ein weiteres Buch des Autors:
"Der Mann, der das Glück bringt"
Ray und Elena lernen einander in einer
dramatischen Nacht in New York kennen. Sie ist eine Fischerstochter aus dem
Donaudelta, er ein erfolgloser Künstler, der noch an den Durchbruch glaubt. Sie
muss die Asche ihrer Mutter nach Amerika bringen, er will erreichen, was sein
Großvater für sich erhoffte. Ihre geheimnisvollen Lebenswege finden in jenem
Augenblick zusammen, als sie sich entscheiden können, einander erzählend zu
vertrauen.
Ihre Familiengeschichten führen den Leser in die Welt New Yorks vor
hundert Jahren und in das magische Universum des Donaudeltas. In seinem
spannenden, an Fabulierlust und Überraschungen reichen Roman, der von 1899 bis
in die Gegenwart reicht, lässt Catalin Dorian Florescu zwei Erzählstimmen
abwechselnd zu Wort kommen. So entsteht das Bild eines fantastischen und harten
Jahrhunderts zwischen dem Schwarzen Meer und der us-amerikanischen Metropole.
Ein Roman voller Tragik und Komik, der gleichzeitig eine literarische Reverenz
an die Fähigkeit des Menschen ist, sein Glück zu suchen, zu überleben und allen
Widrigkeiten zum Trotz zu lieben. (C.H. Beck)
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