Andreas Heusler: "Das Braune Haus"
Wie München zur "Hauptstadt der Bewegung" wurde
Ein
dunkles Kapitel Münchner Stadtgeschichte
Die erste nachgewiesene urkundliche Erwähnung der Stadt
München jährt sich 2008
zum 850. Mal. Dieses
Jubiläum nahm die Deutsche Verlags-Anstalt nun zum Anlass, die
Geschichte des Münchner Braunen Hauses zu
veröffentlichen, eines herrschaftlichen Palais, in welchem von
1930 bis 1945 Hitlers Nationalsozialisten residierten, um hier ihre
dunklen Gleichschaltungs- und Vernichtungspläne zu
bebrüten. Andreas Heusler, Historiker und einer der besten
Kenner der Münchner Stadthistorie, hat es übernommen,
diese Geschichte aufzuschreiben, und er hat damit den Finger auf eines
der dunkelsten Kapitel der Münchner Vergangenheit gelegt.
Heusler tut dies in einer bisweilen drastischen Eindringlichkeit, doch
stets verfügt er in der Hinterhand über das
notwendige Gespür, das dieses brisante Thema erfordert. Der
Autor ergeht sich also nicht in Anklagen und Schuldzuweisungs-Tiraden,
er versucht vielmehr, Objektivität zu wahren, ohne auch nur im
geringsten Maße zu beschönigen. Mit seinem "Braunen
Haus" hat er ein Buch geschrieben, das beim Leser einen nachhaltigen
Eindruck hinterlässt und dem man weite Verbreitung
wünschen möchte. Ein Musterbeispiel kritischer
Geschichtsaufbereitung.
Aber schon wieder ein Buch zum Thema Nationalsozialismus? Gibt es davon
nicht bereits mehr als genug? So mag vielleicht manch einer einwenden.
Und sollte man nicht endlich die Dentisten-Mentalität ablegen,
immer wieder in den faulen Zähnen verflossener Zeiten
herumzubohren? Ich denke nicht, zumal nicht, wenn es sich um einen so
herausragenden Beitrag wie denjenigen Andreas Heuslers handelt. Sicher,
vieles Andere zum Thema Geschriebene mag überflüssig
sein, doch man sollte auch nicht versuchen, die unliebsame
Vergangenheit einfach wie eine Schlangenhaut abzustreifen.
Das Braune Haus steht also im Zentrum von Heuslers Betrachtungen. Von
der Vorgeschichte des Braunen Hauses über dessen verschiedene
Besitzer und Mieter, seiner Inbesitznahme durch die Nazis bis zu seiner
Zerstörung im Bombenhagel des Zweiten Weltkrieges spannt sich
der Bogen. Das Braune Haus wurde zum zentralen Ort in Hitlers
"Hauptstadt der Bewegung". Hier liefen die Fäden der Macht und
des Terrors zusammen. Für zahlreiche Regimegegner aber sollte
das Braune Haus buchstäblich zum Horror-Haus werden, in dessen
Kellern gefoltert und getötet wurde wie in den
Gewölben der Heiligen Inquisition. In München wurde
der Gründungsmythos des "Dritten Reiches" aus der Taufe
gehoben und das Braune Haus wurde dessen wichtigste
Kultstätte. Da dieses Haus nun einmal in München
stand, liegt der Schwerpunkt von Andreas Heuslers Betrachtungen zum
Nationalsozialismus naturgemäß auf den
Münchner Verhältnissen. Aber auch die Konstellation
Berlin/München sowie die Zustände und Entwicklungen
im gesamten Reich finden gebührende Beachtung in diesem Werk.
Andreas Heusler: "Berlin verkörperte den Verstand,
München hingegen den Geist des Nationalsozialismus."
Und so kann es nicht ausbleiben, dass dieser verderbliche Geist vom
Autor immer wieder in den Vordergrund gerückt wird. Wie konnte
es Adolf
Hitler gelingen, so viele Menschen in seinen Bann zu
schlagen.
War er doch im Grunde nur ein kleiner hässlicher Vogel, der
sich anschickte, die Nester der feineren Kreise zu entern, ein
Himmelsstürmer, der die Hölle heraufbeschwor und
schließlich auch genau dort landete. Wie konnte es zu dieser
Entblößung im Geistigen kommen, zu einem
Exhibitionismus der Unmoral, wie man ihn sich widerwärtiger
kaum vorstellen kann? Wie war solch eine geistig-moralische
Bankrotterklärung eines ganzen Volkes, dieser Marsch in die
kollektive Unmündigkeit, überhaupt möglich?
Heusler versucht, Antworten zu finden, bietet uns auch gute
Erklärungsansätze, doch letzten Endes kann man diesen
Wahnsinn wohl nicht logisch nachvollziehen, nicht aus der Sicht unserer
heutigen Generation. Immer wieder stellt der Autor die
schwülstige Theatralik der Nazi-Bonzen in den Blickpunkt des
Lesers. Die Züge eines schizophrenen Innenlebens waren ihren
Visagen doch oft deutlich genug eingemeißelt, man denke nur
an den hündisch-schnüffelnden Ausdruck in Hitlers
Gesicht, ein beinahe untrügliches Kennzeichen des nekrophilen
Charakters. Allein an der Mimik und Gestik seiner
Repräsentanten ließ sich doch das Krankhafte, der
ganze Wahnsinn des Systems schon deutlich genug ablesen, wie Andreas
Heusler sehr gut beobachtet hat. Und dennoch gibt es immer noch Larven,
die in dem braunen Kot wühlen, Hitlers geistigen Unsinn
fressen und auf ihre Verpuppung hoffen.
Damit sind wir beim Thema Erinnerungskultur und
Vergangenheitsbewältigung. Man hat München oft als
Hauptstadt der Verdrängung bezeichnet. Diese Schelte zielte
vornehmlich auf das bauliche Erbe des Nationalsozialismus im Stadtbild.
Der Reichsadler, der mit düsteren Todesschwingen ein ganzes
Land beschattet hat, prangt immer noch an einigen offiziellen
Gebäuden der Stadt München. Nur das Hakenkreuz
zwischen seinen Klauen hat man entfernt. Andreas Heusler weist aber
auch darauf hin, dass München andererseits in bestimmten
Bereichen der Erinnerungsarbeit Vorbildliches geleistet hat. Der Autor
bleibt auch hier seiner ausgewogen objektiven Linie treu. Und treffend
bemerkt er, dass Erinnerungskultur immer auch ein Ausdruck des
jeweiligen zeitgeschichtlichen Geistes ist.
Auch zur Darstellung und Bewertung des Widerstandes gegen das NS-Regime
macht sich der Autor seine Gedanken. Heusler fragt nach den
Möglichkeiten und Begrenzungen des Widerstandes.
Und er kommt
zu dem Schluss, dass sich eine Bewertung des Widerstandes nicht allein
am Erfolg bemessen darf. "Eine rationalistische, auf das
Kriterium des Erfolgs fixierte Betrachtung wird dem hohen Wert des
Widerstandes gegen das zerstörerische NS-Regime nicht gerecht."
Andreas Heuslers Werk leistet einen hervorragenden Beitrag zur
NS-Bewältigung, nicht nur, was die Kultstätte in der
ehemaligen "Hauptstadt der Bewegung" angeht. Ein höchst
lesenswertes, zugleich aber auch ein beklemmendes Buch. Allein die
gelegentlichen Seitenhiebe des Autors gegen Münchner Lebensart
und Biergartenkultur haben mir weniger gefallen. Heusler spricht in
diesem Zusammenhang beispielsweise von "biergetrübter
Behaglichkeit" in einem "intellektuell
eindimensionalen München", von "kleingeistigem
Spießertum", von "Bierwahn" und
"dumpf-verstockter Gemütlichkeit", von "fremdenfeindlichem
Chauvinismus" oder "bornierter
Fortschrittsfeindschaft". Doch das schmälert
natürlich nicht den Rang dieser großartigen
Dokumentation. Sehr zu empfehlen!
(Werner Fletcher; 09/2008)
Andreas
Heusler: "Das Braune Haus. Wie München
zur 'Hauptstadt der Bewegung' wurde"
DVA, 2008. 384 Seiten.
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Andreas Heusler ist Historiker
und
Leiter des Sachgebietes Zeitgeschichte und Jüdische Geschichte
am Stadtarchiv
München.
Weitere Buchtipps:
Lion Feuchtwanger: "Erfolg"
Drei Jahre Geschichte einer Provinz.
Ein Justizroman, der auch den Provinzialismus und die Korruption im
"ewig
Bayerischen" anspricht, denn der Rahmen des Buches sind die Monate der
bayerischen Revolution und ihrer grausamen Niederschlagung. Die
Darstellung der
Nationalsozialisten sowie die Schilderung vom Verlauf des
Novemberputsches ist
von der späteren Geschichtsschreibung bis ins Detail
bestätigt worden. In
diesem großen europäischen Städteroman
zeigt sich der Autor als präziser
Prophet des aufziehenden Grauens
Lion Feuchtwanger, 1884-1958, war Romancier und Weltbürger.
Seine Romane
erreichten Millionenauflagen und sind in über 20 Sprachen
erschienen. Als
Lion
Feuchtwanger mit 74 Jahren starb, galt er als einer der bedeutendsten
Schriftsteller deutscher Sprache. Die Lebensstationen von
München über Berlin,
seine ausgedehnten Reisen bis nach Afrika, das Exil im
französischen Sanary-sur
Mer und im kalifornischen Pacific Palisades haben den Schriftsteller,
dessen
unermüdliche Schaffenskraft selbst von seinem Nachbarn in
Kalifornien, Thomas
Mann, bestaunt wurde, zu einem ungewöhnlich breiten Wissen und
kulturhistorischen Verständnis geführt. 15 Romane
sowie Theaterstücke,
Kurzgeschichten, Berichte, Skizzen, Kritiken und Rezensionen hatten den
Freund
und Mitarbeiter Bertold Brechts zum "Meister des historischen und des
Zeitromans" (Wilhelm von Sternburg) reifen lassen. Mit seiner
"Wartesaal-Trilogie" erwies sich der aufklärerische Humanist
als
hellsichtiger Chronist Nazi-Deutschlands.
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Helmuth
A. Niederle
(Hrsg.): "Europa erlesen.
München"
"Was sind Fremde unter Fremden? Wenn in einem Zug lauter
Fremde reisen,
und der der Zug fährt über eine Brücke,
unter dem eine Autostraße durchgeht,
auf der lauter Fremde in ihren Autos fahren, so sind das Fremde unter
Fremden."
(Karl Valentin)
Wenn aus der Fülle von Namen und Bezeichnungen für
eine Stadt auf ihre
Widersprüchlichkeit geschlossen werden kann, dann ist die
bayrische Hauptstadt
zweifellos ein aufschlussreiches Exempel zu nennen. Entweder nur der
Name:
München. Oder etwas förmlicher: Stadt
München. Oder schwärmerische
Bezeichnungen: Isar-Athen, Stadt der Lebensfreude, Deutschlands
heimliche
Hauptstadt. Etwas abwertend: Millionendorf. Oder historisch schwer
belastet:
Stadt der Bewegung.
München zeigt sich auch in der Literatur als diese Stadt der
Widersprüche,
zustimmendes Lob und bitter-ironischer Sarkasmus sind häufig
nicht einmal durch
eine Haaresbreite getrennt, wie auch die vorliegende Textauswahl zeigt
Mit Beiträgen von: Herbert Achternbusch, Peter Paul Althaus,
Guillaume
Apollinaire, Emil Ball-Hennings, Johannes R. Becher, Otto Julius
Bierbaum,
Godfried Bormans, Ludwig Börne, Martin Camaj, Manfred Chobot,
Lena Christ,
Friedrich
Dürrenmatt, Günter Eich, Otto Flake, Werner
Fuld, Oskar Gluth, Johann
Wolfgang von Goethe, Oskar Maria Graf, Franz Grillparzer,
Heinrich
Heine, Hermann Hesse,
Erich
Kästner, Alfred Kerr, Helmut Kindler,
Fritz Kortner, Horst
Krüger, Anton Kuh, Reiner Kunze, Heinrich Laube, Joe Lederer,
Katia
Mann, Klaus
Mann, Thomas Mann, Ludwig Merkle, Horst Mönnich,
Wolfgang
Amadeus Mozart, Doris
Mühringer, Erich Mühsam,
Cees Noteboom,
Oskar
Panizza, Heinz Piontek, Ali Podrimja, Sylvia Plath, Gregor
von Rezzori,
Joachim
Ringelnatz, Luise Rinser, Roda Roda,
Herbert
Rosendorfer, Joseph
Roth, Moritz Gottlieb Saphir, Schalom Ben-Chorin, Anneliese
Schuller,
Michael Schulte, Zafer Senocak, Azem Shkreli, Jerzy Stempowski, Alev Tekinay,
Ludwig Thoma,
Ernst Toller,
Georg
Stefan Troller, Karl Valentin, Frank Wedekind, Thomas Wolfe,
Wolf
Wondratschek. (Wieser Verlag)
Buch
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