André Comte-Sponville: "Woran glaubt ein Atheist?"
Spiritualität ohne Gott
Ein
atheistischer Weichspüler
In der Übersetzung aus dem französischen Original
'L'esprit de l'atheisme. Introduction à une
spiritualité sans Dieu' (2006) durch Brigitte
Große liegt nun dieses Buch vor, welches uns eine
'Spiritualität ohne Gott' (Untertitel) vermitteln
möchte. Der Autor stellt drei Fragen, deren Beantwortung er
versucht:
1) Kann man auf
Religion
verzichten? 2) Gibt es Gott? 3) Wie
könnte eine Spiritualität für Atheisten
aussehen?
Der Autor beginnt mit einem persönlichen Bekenntnis: "Ich
kann sehr gut auf Religion verzichten! (...) ich habe an Gott geglaubt
(...) Dann verlor ich den Glauben , und es war wie eine Befreiung (...)
Ja, ich habe das Gefühl, besser zu leben, seit ich Atheist
bin, klarer, freier, intensiver." Dabei betont der Autor: "Ich
bin kein atheistischer Missionar" - zwar könne er
selbst eben auf Religion verzichten, er trete aber durchaus
für Toleranz den Religionsabhängigen
gegenüber ein. Das Schlimmste, was er nämlich
befürchtet, wäre ein "Krieg der Fanatismen".
Kant stellte in seiner 'Kritik der reinen Vernunft' drei Fragen: "Was
kann ich wissen? - Was soll ich tun? - Was darf ich hoffen?" Aus der
Beantwortung dieser Fragen zog er bereits den Schluss, dass nicht die
Religion das Fundament der
Moral
sei - sondern umgelehrt. Auch ein
Atheist kann sehr wohl tugendhaft leben! Um die Aufklärung
fortzuführen, muss man als Atheist einen doppelten Widerstand
leisten: mit Rationalismus gegen die Sophistik und mit Humanismus gegen
den Nihilismus. Damit widerspricht der Autor auch Nietzsches Satz: "Nichts
ist wahr, alles ist erlaubt" (Zarathustra). Man kann
allerdings ohne Glauben bzw. Religion sein Wissen vermehren und Moral
praktizieren.
Der Autor stellt fest: es gibt keinen Beweis für Gott und kann
keinen geben. Die Beweislast liegt eindeutig bei den Religionen - denn
dass es etwas nicht gibt, kann man freilich nicht beweisen - und es ist
eigentlich auch nicht notwendig. Es ist ziemlich sinnlos, etwas das man
nicht versteht (die Welt, das Leben) durch etwas
Unerklärliches (Gott) erklären zu wollen. Als
augenscheinlicher Beweis, dass es keinen Gott gibt, gilt dem Autor die
Existenz des Bösen und des Leidens. Auch mit etwas Polemik
lässt sich argumentieren, wenn es da heißt, Gott
habe den Menschen nach
seinem Ebenbild geschaffen - "Die
Abstammung des Menschen vom
Affen
scheint mir viel besser vorstellbar
und einleuchtender". Und der Autor fragt in
ähnlicher Manier: "Wie soll man von etwas, das man
nicht begreift, wissen, ob es ein Gott ist oder ein Hirngespinst?"
Freiheit von Religion sollte man als Menschenrecht postulieren: "Der
Laizismus ist das kostbarste Erbe der Aufklärung."
Verwunderlich ist schon, dass der Autor sich für ein "spirituelles
Leben" interessiert. Unter Spiritualität versteht er
das "Leben des Geistes". Er anerkennt die Existenz
des "Absoluten", verneint aber, dass dies Gott sei,
denn "der
Geist ist Teil der Natur".
Eigenartigerweise landet der Autor bei mystischen Erfahrungen: "das
Sein selbst beglückt. Dann sind Sie wie durch ein Wunder
befreit von der Enttäuschung, vom Mangel, vom Nichts. (...)
Weil es überhaupt kein Ich mehr gibt. Weil es kein Bewusstsein
mehr gibt." Und schon sind wir irgendwie im Buddhismus
gelandet: Wir befinden uns in einem Prozess ohne Subjekt und Ziel. Der
Autor spricht von der Einheit, der Aufhebung des Ego, dem Schweigen
bzw. dem einfachen Sosein und der Gegenwart als Ewigkeit. Ziel ist die
Gelassenheit, weil es in der Natur kein Gut und Böse gibt,
kein Schönes und kein Hässliches. Der Mensch hat
diese relativen Kategorien erfunden, mit denen er das Absolute nicht
erfassen kann.
Schließlich wird deutlich, dass Vollkommenheit
Unabhängigkeit bedeutet. Und das charakterisiert für
den Autor den Mystiker als Atheisten - und da bringt er die
fernöstliche Weisheit mit
Nietzsche
zusammen, welcher einmal
sagte: "Ich bin ein Mystiker und ich glaube an nichts."
Dabei geht es nicht um die Erlösung des Ich, sondern um die
Befreiung davon: "Was gibt es Langweiligeres als das Ich?"
Oder das "Ichlein", wie Kant es nennt. Und so ist
Spiritualität "unsere endliche Beziehung zum
Unendlichen". Man könnte sagen, hier klingt so
manches wahrhaft weise - man könnte aber auch von
Verworrenheit sprechen und freiwilliger Selbstaufgabe und Verzicht auf
Rationalität. Denn die Stärke des Atheismus ist
sicherlich nicht durch Mystik zu erlangen. Der Atheist gibt gerade eben
sein Ich und sein Bewusstsein nicht auf! Comte-Sponville ist ein
Weichspüler, der so süßlich gegen Gott
anargumentiert, dass dieser es ihm gar nicht allzu übel nehmen
würde - wenn ja wenn ...
(KS; 08/2008)
André
Comte-Sponville: "Woran glaubt ein Atheist? Spiritualität ohne
Gott"
(Originaltitel "'L'esprit de l'atheisme. Introduction à une
spiritualité sans Dieu")
Aus dem Französischen von Brigitte Große.
Diogenes, 2008. 244 Seiten.
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André Comte-Sponville wurde 1952 in Paris geboren. Der ehemalige Professor für Philosophie an der Sorbonne widmet sich seit 1998 ausschließlich dem Schreiben. Mit dem internationalen Erfolgstitel "Ermutigung zum unzeitgemäßen Leben" begründete er eine neue Welle, die "Philosophie für alle", die den Philosophiemarkt "explodieren" ließ.