IM KÖNIGREICH NEU-GRANADA, von 2° 30. bis 5° 15. nördlicher Breite, ist die Kordillere der Anden in drei parallele Ketten geteilt, von denen nur die beiden seitlichen in sehr hohen Lagen mit Sandstein und anderen sekundären Formationen bedeckt sind.
Die östliche Kette trennt das Tal des Magdalenen-Flusses von den Ebenen des Río Meta. Auf ihrem westlichen Abhang befinden sich die natürlichen Brücken von Icononzo. Ihre höchsten Gipfel sind der Páramo von Sumapaz und der von Chingasa. Von ihnen erhebt sich keiner bis in die Region des ewigen Schnees. Die Zentralkette scheidet die Gewässer zwischen dem Becken des Magdalenen-Flusses und dem des Río Cauca. Sie erreicht oft die Grenze des ewigen Schnees; mit den kolossalen Gipfeln des Guanacas, des Barragán und des Quindió übersteigt sie diese bei weitem. Bei Sonnenaufgang und -untergang bietet die Zentralkette den Bewohnern von Santa Fe ein herrliches Schauspiel; sie erinnert, in weit imposanteren Dimensionen, an den Anblick der Schweizer Alpen. Die westliche Kette der Anden trennt das Cauca-Tal von der Provinz Chocó und den Küsten der Südsee. Ihre Höhe beträgt kaum fünfzehnhundert Meter; zwischen den Quellen des Río Atrato und denen des Río San Juan senkt sie sich so weit, dass es schwierig ist, ihre Verlängerung zur Landenge von Panama hin zu verfolgen.
Diese drei Gebirgsketten verschmelzen im Norden bei 6° bis 7° nördlicher Breite. Südlich von Popayán, in der Provinz Pasto, bilden sie ein einziges Massiv. Im übrigen darf man sie nicht mit der von Bouguer und La Condamine beobachteten Teilung der Kordilleren im Königreich Quito verwechseln, vom Äquator bis zu 2° südlicher Breite.
Die Stadt Santa Fe de Bogotá liegt westlich des Páramo von Chingasa auf einem Plateau von zweitausendsechshundertfünfzig Metern absoluter Höhe, das sich auf dem Rücken der östlichen Kordillere erstreckt. Aufgrund der besonderen Gestalt der Anden muss man, um von Santa Fe nach Popayán und an die Ufer des Cauca zu gelangen, von der östlichen Kette hinabsteigen, sei es über die Mesa und Tocayma, sei es über die natürlichen Brücken von Icononzo, dann das Tal des Magdalenen-Flusses durchqueren und die Zentralkette passieren. Der am meisten benutzte Übergang ist der über den Páramo de Guanacas, den Bouguer bei seiner Rückkehr von Quito nach Cartagena de Indias beschrieben hat. Auf diesem Weg überquert der Reisende den Kamm der Zentralkordillere an einem einzigen Tag und mitten durch bewohntes Land. Dem Weg über den Guanacas haben wir denjenigen über das Quindío oder Quindiu-Gebirge vorgezogen, zwischen den Städten Ibagué und Cartago. Auf der Tafel V ist der Eingang zu diesem Pass dargestellt. All diese geographischen Details anzugeben erschien mir unerlässlich, um die Lage eines Ortes bekannter zu machen, den man auf den besten Karten von Mittelamerika, zum Beispiel der von La Cruz, vergeblich suchen würde.
Das Quindío-Gebirge (Breite 4° 36., Länge 5° 12.) wird als der beschwerlichste Pass der gesamten Kordillere der Anden angesehen. Der Weg führt durch einen dichten, gänzlich unbewohnten Wald, den man auch in der schönsten Jahreszeit nicht schneller als in zehn oder zwölf Tagen durchquert. Man findet dort keinerlei Hütte, keinerlei Lebensmittel; zu jeder Jahreszeit nehmen die Reisenden Vorräte für einen ganzen Monat mit, denn es geschieht oft, dass sie sich durch die Schneeschmelze und das plötzliche Anschwellen der Gebirgsflüsse derart abgeschnitten finden, dass sie weder auf der Seite von Cartago noch auf der von Ibagué hinabsteigen können. Der höchste Punkt des Weges, die Garita del Páramo, liegt dreitausendfünfhundert Meter über dem Spiegel des Ozeans. Da der Fuß des Berges zu den Ufern des Cauca hin nur neunhundertsechzig Meter hoch ist, erfreut man sich dort im allgemeinen eines milden, gemäßigten Klimas. Der Pfad, auf dem man die Kordillere überquert, ist so schmal, dass seine Breite meist nur vier bis fünf Dezimeter beträgt; größtenteils gleicht er einem durch den Fels gehauenen Gang unter freiem Himmel. In diesem Teil der Anden, wie fast überall sonst, ist das Gestein mit einer dicken Tonschicht überzogen. Die Fluten, die von den Bergen herabstürzen, haben Schluchten von sechs oder sieben Metern Tiefe gegraben. Der Weg führt durch diese Schluchten voller Schlamm, deren Dunkelheit durch die dichte Vegetation, die ihre Öffnung überwuchert, noch gesteigert wird. Die Ochsen, in diesen Landstrichen die üblichen Lasttiere, passen nur mit Mühe durch diese Gänge hindurch, die bis zu zweitausend Meter lang sind. Hat man das Unglück, entgegenkommenden Lasttieren zu begegnen, bleibt keine andere Möglichkeit, ihnen auszuweichen, als umzukehren oder die Erdwand der Schlucht hochzuklettern und sich an den Wurzeln festzuhalten, die von der Erdoberfläche dort hinabreichen.

Beim Überqueren des Quindío-Gebirges im Oktober 1801, zu Fuß und mit zwölf Ochsen im Gefolge, die unsere Instrumente und Sammlungen trugen, haben wir sehr unter den beständigen Regenfällen gelitten, denen wir in den letzten drei oder vier Tagen, als wir den Westhang der Kordillere hinabstiegen, ausgesetzt waren. Der Weg führt durch ein sumpfiges, mit Bambus bewachsenes Land. Die Stacheln, mit denen die Wurzeln dieser gigantischen Grasgewächse bewehrt sind, hatten unsere Schuhe zerrissen, so dass wir gezwungen waren, wie alle Reisenden, die sich nicht auf Menschenrücken tragen lassen wollen, barfuß zu gehen. Dieser Umstand, die beständige Feuchtigkeit, die Länge des Weges, die Muskelkraft, die man braucht, um durch dicken, schlammigen Lehm zu wandern, die Notwendigkeit, tiefe und sehr kalte Gebirgsbäche zu durchwaten, machen diese Reise zweifellos äußerst ermüdend; doch so beschwerlich sie auch sei, sie bietet keine der Gefahren, mit der das schlichte Volk die Reisenden erschreckt. Der Pfad ist eng, doch die Stellen, wo er an Abgründen entlangführt, sind sehr selten. Da die Ochsen immer in dieselben Fußstapfen zu treten pflegen, bilden sich quer über den Weg lauter kleine Gräben, nur durch schmale Erdwälle getrennt. In der Zeit der starken Regenfälle bleiben diese Erdwälle unter dem Wasser verborgen, und das Gehen wird für den Reisenden doppelt unsicher, denn er weiß nie, ob er den Fuß auf den Damm oder in den Graben setzt.

Da nur wenige wohlhabende Personen in diesen Klimaten gewohnt sind, fünfzehn oder zwanzig Tage in Folge und auf so beschwerlichen Wegen zu Fuß zu gehen, lässt man sich von Menschen tragen, die einen Stuhl auf den Rücken gebunden haben. Man hört in diesem Lande den Ausdruck auf Menschenrücken reisen (andar en carguero), wie man sonst sagt zu Pferde reisen. Dem Gewerbe des carguero haftet nichts Erniedrigendes an. Die Männer, die ihn ausüben, sind keine Indianer, sondern Mestizen, bisweilen sogar Weiße. Oft ist man überrascht, mitten im Wald nackte Männer, die einem in unseren Augen so entehrenden Beruf nachgehen, streiten zu hören, weil einer von ihnen einem anderen, der eine weißere Haut zu haben behauptet, die hochtrabenden Titel Don oder Su Merced verweigert hat. Die cargueros tragen gewöhnlich sechs bis sieben arrobas (fünfundsiebzig bis achtundachtzig Kilogramm); die kräftigsten laden sich bis zu neun arrobas auf. Bedenkt man die ungeheure Anstrengung, welche diese Unglücklichen auf sich nehmen, wenn sie acht oder neun Stunden täglich über bergiges Land marschieren; weiß man, dass ihr Rücken manchmal geschunden ist wie der von Lasttieren, und dass die Reisenden oft so grausam sind, sie im Wald zurückzulassen, wenn sie krank werden; bedenkt man überdies, dass sie für eine Reise von Ibagué nach Cartago, die fünfzehn, manchmal sogar fünfundzwanzig oder dreißig Tagen, braucht, nur 12 bis 14 Piaster (60 bis 70 Franc) verdienen, so vermag man kaum zu begreifen, wie dieser Beruf des carguero, einer der mühseligsten überhaupt, von all den kräftigen jungen Männern, die am Fuß dieser Berge leben, freiwillig ergriffen werden kann. Der Geschmack an einem unsteten, vagabundierenden Leben, die Vorstellung einer gewissen Unabhängigkeit inmitten der Wälder lassen sie diese mühselige Arbeit dem sesshaften und eintönigen Dasein in den Städten vorziehen.


(Aus Alexander von Humboldt: "Ansichten der Kordilleren und Monumente der eingeborenen Völker Amerikas".
Aus dem Französischen von Claudia Kalscheuer)

Diese große Erzählung zeigt Humboldt auf der Höhe seiner Möglichkeiten als Entdeckungsreisender, Naturwissenschaftler, Historiker und Anthropologe. Sie umfasst nicht nur die Landschaften und die Pflanzenwelt Lateinamerikas, sondern auch Rituale und Menschenopfer, Mythen und Kalendersysteme, Schmuck und Kleidung, Architektur und Kunst, Eroberungszüge und Völkerwanderungen sowie die Grausamkeiten der Spanier und die Vernichtung der indigenen Reiche. Humboldts Werk sprengt die Grenzen und die Perspektiven jeder Einzeldisziplin. Als einer der ersten hat er erkannt, dass die altamerikanischen Kulturen ebenso zum Erbe der Menschheit gehören wie die der Ägypter, der Inder, der Griechen und der Römer.
Mit seiner sprachlichen Originalität und dem Reichtum seiner Illustrationen lädt dieser Band zum Besuch eines imaginären Museums ein, in dem Bilder und Texte einander beleuchten. Humboldts Ansichten gehen nicht nur die Wissenschaft an. Jeder, der Lateinamerika kennt und liebt, wird hier auf seine Kosten kommen. (Eichborn)
Buch bestellen