ANSICHTEN
EINES ZYNIKERS (4)
...und Frieden den Menschen, die guten Willens sind !?
von Rihno Rhinozeros
Amerika hat sich um einige Tonnen Bomben erleichtert – es können nun wieder neue, noch todbringendere Waffen entwickelt und gebaut werden, die Rüstungsindustrie darf sich über neue Aufträge freuen; leider können in dieser Hinsicht die Amerikaner als Privatpersonen der patriotischen Aufforderung ihres Präsidenten zu gesteigertem Kaufverhalten nicht nachkommen, um die, (auch) durch die Terroranschläge bewirkte, Rezession zu verhindern.
Der Zyniker hat sich schon längere Zeit nicht mehr zu Wort gemeldet, und fast hat es den Anschein, als ob seine Unkenrufe zu Beginn des Afghanistankonfliktes unberechtigt gewesen wären: Immerhin ist das mittelalterliche Gottesstaatregime der Taliban anscheinend – oder sollte man lieber scheinbar sagen – hinweggebombt worden (zumindest in dieser bekannten Form dürfte es der Vergangenheit angehören), das Netzwerk der Al-Kaida ist in Afghanistan weitgehend lahmgelegt und vordergründig betrachtet könnte nach zwanzig Jahren Krieg dort endlich einmal ein wenig Ruhe einkehren – wo man sich doch im fernen Bonn gar auf eine Übergangsregierung mit nachfolgenden freien (!?) Wahlen geeinigt hat. Also hatte der Zyniker mit seinen düsteren Prognosen unrecht, und die Welt ist doch besser, als er es sie in seinem ewigen Pessimismus sieht? – Mitnichten!
In einem seiner früheren Ansichten
hat der Zyniker als einer der wenigen Nicht-Muslime vehement nach schlagenden
Beweisen für die Täterschaft von Osama bin Laden verlangt. Nun, die sollen ja
vorliegen, wie sie der Welt spätestens seit der letzen Woche mittels Videoband,
welches nach langem Hin und Her von den Vereinigten Staaten freigegeben worden
ist, vor Augen geführt wurden. Aber trotz allem blieb da immer so ein kleiner,
doch recht schaler Nachgeschmack des Zweifels bestehen. Nicht dass es nicht
möglich, sogar wahrscheinlich wäre, dass Osama bin Laden der gesuchte Finstermann
des Terrors sei. Aber ob dieses Videoband jener unzweifelhafte Beweis für bin
Ladens „Gewissenlosigkeit“ (Zitat G.W.Bush) ist, den ja nur sein eiserner Verbündeter
Blair zu Gesicht bekommen hat, ist mehr als fragwürdig. Der Zyniker hielt Ausschau
nach „Gegenbeweisen“, die nicht wirklich lange auf sich warten ließen: Zwar
hat die arabische Welt, allen voran ihr Sprachrohr der Sender Al-Jazeera, den
Inhalt des besagten Bandes immer wieder in Frage gestellt, doch könnte man schlichtweg
und salopp wienerisch dazu sagen: „No, na!“ Aber spätestens seit heute gibt
es eine neue Quelle, deren Aussage über die Authentizität jenes Dokumentarfilmes,
wohl mehr Gewicht hat, als jene – vielleicht – allzu parteiischen Stellungnahmen
der muslimischen Welt. Wie man auf www.orf.at
nachlesen kann, hegen deutsche (sic!) Orientalisten der Universität Hamburg
den wohl begründeten Verdacht, dass da die Amerikaner bei diesem „Geständnis“
ein wenig nachgeholfen haben könnten, bzw. ein wenig nachhelfen mussten, weil
möglicherweise die darin enthaltenen Aussagen bin Ladens diese sogenannten Beweise
seiner Täterschaft recht kümmerlich erscheinen hätten lassen: Da wo –„leider“
– die Tonqualität, wie die Amerikaner sagen, schlecht gewesen sein soll , war-
der Meinung der deutschen Wissenschafter zufolge - eher die Übersetzung mangelhaft
bzw. mehr als tendenziös etc.- mit einem Wort soll da mehr herausgelesen worden
sein, als da tatsächlich gesagt wurde . Aber soweit hätte man wohl kaum gehen
müssen. Schon alleine die Umstände wie dieses Band produziert und dann aufgefunden
worden sein soll, hätten der schönsten orientalischen Fantasie zur Ehre gereichen
können: Ein Bewunderer bin Ladens hätte eine Art „Fan-video“ gedreht, welches
er dann in einem Haus irgendwo in Afghanistan liegen gelassen hätte, sodass
es die Amerikaner nach siegreicher Schlacht finden konnten etc. – Nun ja!......
Aber nicht genug dessen. Angeblich wollten uns die Amerikaner noch weitere derartige
Videobeweise vorlegen. Langer Rede kurzer Sinn: Bin Laden als „Video-star“!
Klingt gut, aber ist es auch wahr!?
So weit zu jenen „Beweisen“. Aber diese sind den Amerikanern ohnehin egal, zumal man ist ja schon mit der festen Überzeugung nach Afghanistan gefahren ist, dass jener bin Laden an allem Schuld trägt, und deswegen ihm der Garaus zu bereiten ist. Aber halt! – Da kommen wir ja schon zum springenden Punkt: Seinetwegen hat man sich in diese nicht sehr wirtliche Gegend begeben, um seiner habhaft zu werden – in welchem „Aggregatzustand“ seiner Existenz auch immer – und um sein Netzwerk zu zerstören. Nach anfänglichen heißen Spuren, – so heiß, dass den Amerikanern wohlgesinnte Zeitgenossen mit dem Brustton der Überzeugung meinten: „Jetzt ist er dran!“, -ist diese Spur ziemlich erkaltet bzw. von den rauen afghanischen Winden verweht worden. Und was die Zerstörung eines Netzwerkes betrifft, so ist das an sich schon ein sprachlicher Widersinn, denn wie das Wort Netz schon sagt, handelt es sich hierbei um ein mehr oder weniger engmaschiges Gewebe, welches zwar an einigen Stellen zum derzeitigen Zeitpunkt möglicherweise „eingerissen“ worden ist, aber zweifellos noch weiter existiert. So betrachtet fällt die Bilanz über den offenbar gewonnen Afghanistanfeldzug schon wesentlich nüchterner aus, und gibt wohl nicht wirklich Anlass zu „Siegesparaden“. Aber dem – man muss es gerechterweise auch zugeben – stimmt jetzt sogar einmal der amerikanische Präsident zu.
Bin Laden hin, bin Laden her, bin
Laden tot oder bin Laden lebendig – all das ist wohl nur ein wichtiger, nicht
aber der einzige Aspekt der gesamten Causa. Noch wesentlicher erscheint jedoch
die Frage, wie es nun mit Afghanistan weiter gehen wird. In dieser Hinsicht
besteht mehr als nur berechtigte Skepsis.
Ich hatte die letzte Woche Gelegenheit mit mehreren Afghanen zu sprechen. Zwar
gehörten sie alle einer einzigen Volksgruppe an, nämlich der Hazara (das ist
eine mongolisch stämmige, dem schiitischen Islam zughörige Volksgruppe, die
besonders unter den Taliban zu leiden hatte!), doch ihre Meinung scheint so
falsch nicht zu sein. Sie geben zu bedenken, dass zwar die Taliban von der Macht
vertrieben wurden, jedoch weiterhin ein nicht gerade gesundes Übergewicht an
paschtunischen Führungspersönlichkeiten zur Lenkung der Staatsgeschicke auserkoren
wurde. Diese haben sich schon in der Vergangenheit nicht gerade zivilisiert
vor allem den Hazara gegenüber verhalten. Nun könnte man anmerken, dass es sich
bei den Hazara um eine sehr kleine Minderheit innerhalb des afghanischen Völkergemisches
handelt, die zwar berechtigte Zweifel an der Paschtunenherrschaft hegt, doch
– so grausam ist nun einmal die Politik – im Gesamtkontext nicht wirklich über
Krieg oder Frieden im Lande entscheiden wird; aber auch das ist nur bedingt
richtig. Denn betrachtet man die jüngere Vergangenheit des Landes kann man erkennen,
dass sich sogar innerhalb einer Volksgruppe lokale Stammesführer mit zum teil
sehr eigenwilligen Vorstellungen durchgesetzt haben, die diese ihre Ideen den
anderen mit nicht sehr friedlichen Mitteln näher zu bringen gedachten; und eben
diese Vielzahl an „warlords“ (die die sogenannte „Nordallianz“ bilden ) wie
man sie nennt , mit ihren zum großen Teil mehr als dubiosen Persönlichkeiten
und auch Vorstellungen, besitzen ein – auch im wahrsten Sinne des Wortes – großes
Sprengpotential, welches jederzeit den „gläsernen“ Frieden in tausende Stücke
pulverisieren kann.
Aber selbst die Taliban, sind meinen Gesprächspartnern zufolge, bei weitem noch
nicht abzuschreiben. Wahrscheinlich schon in dieser Form und mit diesem „Etikett“,
keineswegs aber als ideologische Vertreter eines radikalen fundamentalistischen
Islams. Noch dazu, wo es ja mittlerweile bekannt ist, dass die Taliban keine
völlig „hausgemachte“ afghanische Erfindung darstellten, sondern vor allem außerhalb,
in Pakistan, „produziert“ und dann nach Afghanistan importiert worden sind.
Wer sagt denn, dass nicht wieder ausländische Mächte Interesse daran haben könnten,
diese oder ähnliche Gesinnung erneut ins Land einsickern zu lassen, die bei
entsprechenden Umständen neuerlich auf fruchtbaren Boden fallen könnten. Wie
man sieht, scheint all das darauf hinzudeuten, dass man keineswegs so naiv zu
glauben sein darf, dass mit dem Ende (!?) der Talibanherrschaft – und sogar
der Liquidierung von Persönlichkeiten wie Osama bin Laden – der Frieden gesichert
und das Ende von sogenannten „Terrornetzwerken“ bereits zum Greifen nahe ist.
Mögen so manchem die eine oder andere Ansicht –vor allem aber Formulierung des Zynikers übertrieben oder zu „Amerika -kritisch“ gewesen sein, so wird sich letztlich doch die im aller ersten „Zyniker“ vertretene Meinung als richtig herausstellen, - nämlich, dass Terror niemals mit Gewalt und Gegenterror zu beseitigen ist, und dass länger währender Friede nur da einzieht, wo wirkliche solide Fundamente geschaffen werden, und nicht dort wo man auf Sand, aus diversen Eigeninteressen gefertigte, schnell zusammen gezimmerte Fertigteilbauten, aufstellt.