Trauerdienst
von Harald Schulz
Beatus war
stets gewissenhaft um sein Erscheinungsbild als sittliche Person bedacht. Und so
begründete sich sein Friedhofsbesuch zu Allerseelen allein in dieser seiner
peinlich bedachten Gewissenhaftigkeit. Anders und kritischer betrachtet, war es
die drohende Schändung durch die Blicke der Anderen, die ihn an das Grab seiner
kürzlich verstorbenen Gespielin trieb (mehr als eine Gespielin war sie ihm
nicht gewesen). Und so handelte er lediglich traditionell - nicht mehr und nicht
weniger -, unter sozialem Zwang, am Tag zu Allerseelen, dem Brauche gemäß.
Hohl im Gemüt schritt Beatus durch das große Tor im Gemäuer, das die Stille
der Hinweggeschiedenen umschloss. Warme Menschenleiber quollen ihm entgegen,
saftig und dampfend. Der Geruch des Lebens haftete ihnen an und Beatus ekelte
davor. Gabrielas Freunde hatten ihm genau die Lage ihres Grabes beschrieben; ein
gnädiger Zufall hatte ihm die Teilnahme am Begräbnis erlassen. Nun würde er
bei ihrem Grab vorbeischauen, um dort irgendein augenfälliges Zeichen seiner
Trauer - einen Nachweis - zu hinterlassen. Innerlich unbeteiligt, wie er zu der
Sache stand, hatte er nun gerade auf solcherart Dinge vergessen. Zu spät
bemerkte er seinen Ausstattungsmangel, denn zu weit war er schon in das weitläufige
Friedhofsterrain vorgedrungen. Und so nahm er sich, im Schutze der einfallenden
Dunkelheit, Blumen und Grablicht, wo sie sich ihm zur Aneignung anboten. Sodann
führte ihn sein Weg zu ihr, zu seiner verwesenden Gabriela. Während er
dahinging gedachte er beiläufig ihrer und vergegenwärtigte sich dabei, dass
ihnen nichts gemein gewesen war. Hässlich waren die Empfindungen füreinander
gewesen. Allein die Sinneslust hatte sie aneinander gebunden. Er hatte sich
vernarrt in den Leib, aus dem das Scheusal lugte. Sie war ihm bloße Versuchung
zur Sünde gewesen, niemals zur Tugend. Daran hatte sich mittlerweile nichts geändert.
Schließlich verharrte er vor ihrem Grab, ohne Trauer, ohne Gebet. Versunken in
schwülstigen Erinnerungen gedachte er ihrer. Als er den Grabhügel bestieg,
vermeinte er die wollüstigen Formen ihres Leibes zu spüren und ihm widerfuhr
der Aufruhr seines Geschlechts gegen die guten Sitten. Der Saft seiner Lenden
tropfte auf die klaffenden Risse in der trockenen Erde und versickerte darein.
Es war das erste Mal, dass er sein Sperma auf sie abspritzte, jetzt wo ihr
Schoss nicht mehr fruchtbar sein konnte. Hätte sie bei Lebzeiten ein Kind von
ihm empfangen, er hätte ihr gewiss ein Messer in den Unterleib gerammt, um es
ihr zu nehmen. Und so hatte er immer seine Leidenschaft kontrolliert, um jede
auch noch so vage Möglichkeit einer Kindeszeugung auszuschließen. Sein Sex mit
Gabriela war stets steril gewesen. Jetzt, auf ihrem Grabe stehend, hatte er
erstmals schmutzigen Sex mit ihr gehabt. Erstmals hatte er sich seiner
Leidenschaft hingegeben, zügellos hingegeben, - mit ihr Liebe gemacht. Welch
berauschende Erfüllung ihn durchströmte, ja, er würde oft wiederkehren, zu
ihrem Grabe. Er würde die Tote lieben, die er zu ihren Lebzeiten gehasst hatte.
Und wieder kroch die Geilheit in sein Glied und löste sich mit einem Schrei von
seinem Leib. Beatus verbrachte die Nacht am Grabhügel Gabrielas, verkrallt in
dessen Erde. Als es hell wurde kletterte er über die Friedhofsmauer zurück in
die Welt der Lebenden. Tagsüber war er der dienstfertige Angestellte einer
Handelsfirma, den, bei aller Erschöpfung, der Vorsatz zur nächsten Liebesnacht
auf Gabrielas Grabhügel aufrecht hielt. Trotz bleierner Müdigkeit
beabsichtigte er sofort nach Dienstschluss an Gabrielas Grab zu eilen. Es kam
anders: Dem von der Liebesnacht am kalten Friedhofsboden entkräfteten Mann war
alle Energie entflossen. Und so sehr auch die Geilheit in Erwartung baldiger
Liebesspiele in ihm züngelte, es riss ihn doch von den Beinen. Der Stimme der
Vernunft folgend entschied er sich für den kräftigenden Schlaf. Die Aussicht,
dabei von Gabriela zu träumen, bestärkte seinen Vernunftbeschluss. Und in der
Tat träumte er von ihr: Sie lag nackt und verwesend in ihrem offenen Grab.
Besinnungslos geil riss sich Beatus die Kleider vom Leib und versenkte seinen
geifernden Schaft in ihre Spalte. Gabrielas Körper bewegte sich im Rhythmus
seiner Stöße und als er sich in sie vergoss schien sie sich aufzubäumen. Der
Traum platzte in diesem Augenblick und Beatus fand sich wieder in seinem von
Schweiß und Sperma durchnässten Bett. Wahnsinn und Panik kroch durch sein
Inneres. Die Leiche hatte ihn zur Fleischeslust verführt und er hatte sie
besamt. Zwar nur im Traum, doch sein Treiben am Friedhof in der vergangenen
Nacht, war real gewesen. Er hatte Gabriela begattet, wieder und immer wieder.
Und sie hatte sich ihm hingegeben, willig und verführerisch gehüllt in erdige
Seide. Schreckensbleich dämmerte ihm die Erkenntnis: Sie hatte ihm seinen Samen
entwunden. In ihren faulenden Eingeweiden gedieh nun jenes Ungeheuer, das die
Frucht seiner Sünde war. Eisiges Grauen ließ Beatus frieren. Der
Unwirklichkeit seiner Vorstellung war er sich zwar sehr wohl bewusst. Nur, warum
sollte das Unwirkliche nicht Wirklichkeit werden? Warum sollte der wahnwitzige
Inbegriff des Abscheulichen, der ihn ritt, nicht so real sein, wie die Tatsache
seines Vergehens am Grabe seiner Verflossenen? Wer wie Beatus das Abnorme an
eigener Person erfahren hat, wer wie er das Undenkbare begangen hat, der hat
einen völlig gewandelten Begriff vom Dasein. Dem Obszönen wird jede
Vorstellung einer Obszönität schneller real, als es eine sittliche Persönlichkeit
auch nur erahnen könnte. Und warum sollte eine Tote nicht gebären, wenn
Lebende gebären? Wo der Irrwitz herrscht, zählen die Gesetze der Biologie
nicht! Beatus wusch sich Schleim und Schweiß vom Leibe, schabte seine Zähne
blank und hüllte sich in modisches Stoffwerk, das ihm den Anschein der
Unscheinbarkeit verlieh. Nur als gelungene Maskerade eines Konventionalisten fühlte
er sich den Anforderungen des Alltags gewachsen. Solcherart trat er in die Gasse
hinaus, den Raum der peinlichen Blicke. Der Asphalt fror und die Kälte kroch
ihm durch sein Schuhwerk ins Gebein. Die Farblosigkeit dieser Welt eskalierte im
fahlen Licht der Gassenbeleuchtung. Beatus wusste nicht, warum er in die Gasse
getreten war, doch verharrte er nicht lange und bewegte sich auch schon in
Richtung des Friedhofs, wo Gabriela seiner erwartete. Kein Gedanke irritierte
den Schritt des Mannes, dessen ganzer Wille sich gegen die Vorstellung von der
eigenen Brut richtete. Dieser Wille war rein und insofern von höchster
Sittlichkeit, als da kein Eigennutz ihm anhaftete. Einem Engel gleich zog Beatus
durch den öden Liebreiz seiner Siedlung. Sie war feucht und roch nach Moder. Er
liebte diesen betörenden Geruch und er hasste das Parfum der jungen Frau, die
flüchtig seinen Weg kreuzte. Eine Gruppe ausgelassener Geselliger verscheuchte
ihn mit ihrem hackenden Gelächter. Ihre Gesichter glühten grell und als sie
merkten wie sehr sie Beatus verschreckten, hetzten sie ihm nach und johlten vor
Vergnügen dabei. Ihre Beute gab sich rasch auf und nahm Teil an ihrer Hetz,
grinste mit ihnen im Chor, speichelte und schwitzte, so wie sie und als er sich
loslöste war sein Gesicht zur Fratze erstarrt. Kälte und Stille umgab ihn
neuerlich, als ein Trippeln auf ihn zuschnellte. Ein Weib mit trächtig gewölbtem
Bauch umschlang seinen Hals und furchte mit der Zunge seine Lippen. Ihr
klammernder Leib fühlte sich kalt und verdörrt an, ihre zudringliche Zunge
trocken. Im Widerschein der Straßenleuchte gewahrte er wie absonderlich bleich
sie war. Und er sog ihren erdigen Duft ein, der ihn in Wallung brachte. Alle
Freude seines Geschlechts verströmte sich über das gebeinige Wesen in seinen
Armen und er füllte ihr Gefäß, stöhnend und glücklich verklärt. Als er
wieder bei Sinnen war, entwand sie sich ihm und ließ ihn stehen, allein vor den
Gemäuern des Friedhofs, dessen ernstes Schweigen sein Gemüt umfasste. Beatus
trauerte. Er trauerte um Gabriela und ihre Leibesfrucht. Am Tag danach
entdeckten Friedhofsbesucher neben einem aufgerissenen Grab den exhumierten
Leichnam einer jungen Frau, deren Eingeweide herausgerissen neben ihr lagen.
Darin eingebettet ein verwesender Fötus zu sehen war.