Die Penta für Brasilien

Marcos betete vor jedem Spiel. Seine Hoffnung erfüllte sich mit dem fünften Weltmeistertitel der wunderbarsten Fußballer der Welt. Nunmehr steht es 9 zu 8 für Südamerika gegen Europa. Maßgeblichen Anteil daran hatte der vor vier Jahren geschmähte Ronaldo, der dem bis dahin als nahezu unbezwingbar geltenden Olli Kahn gleich zwei Trümmer in den Kasten setzte. Der Triumph begann mit dem ersten und einzigen Fehler des deutschen Wundertormanns im ganzen Turnier. Er versuchte, einen Schuss von Rivaldo zu fangen, und an seine Brust zu ziehen; dabei entglitt die Kugel seinen Händen, beschritt den Weg zum Kopf des Keepers und prallte von dort in Richtung des heranbrausenden Ronaldo, der sich für das Geschenk bedankte und einnetzte. Bis zu diesem Zeitpunkt hatten die Brasilos einige hochkarätige Chancen vergeben, und mehrere Male technische Qualitäten aufblitzen lassen. Nur wenig später fiel dann die Entscheidung durch einen Geniestreich sondergleichen: Kleberson spielte einen Ball zur Mitte, Rivaldo ließ diesen elegant passieren, und Ronaldo kam völlig frei zum Schuss und knallte den Ball haargenau neben den rechten Pfosten. Kahn hatte somit doppelt so viel Tore in einem Spiel bekommen, wie in sechs Spielen zuvor zusammen. Die Deutschen bemühten sich noch, das Unmögliche möglich zu machen, scheiterten aber an der gut gestaffelten Abwehr der Brasilos bzw. an dem gläubigen Menschen Marcos im Tor. Nach knapp 94 Minuten war es vollbracht. Die Brasilianer schafften die Penta, den fünften Weltmeistertitel. Und dies war verdient, denn die Südamerikaner hatten in allen sieben Spielen als großartiges Kollektiv mit den drei großen RRR-s brilliert. Ronaldinho, Rivaldo und Ronaldo gaben den Ton in einem Turnier an, das von haarsträubenden Schiedsrichterleistungen gezeichnet gewesen war. Selbst die im letzten Spiel plötzlich aktiven Deutschen konnten diesem Fußball nichts entgegensetzen. Besonders beeindruckend waren am Ende die Zeugnisse tiefer Gläubigkeit einiger Brasilianer.
Hier taten sich der erwähnte Marcos sowie Lucio besonders hervor. Es war gar nicht anders möglich, als sich mit diesen Fußballern zu freuen, die trotz unglaublich prall gefüllter Lohntüten eine menschliche Komponente ins Spiel brachten, die über das Spielfeld hinaus ging.

Ich brauche nicht lange nachzudenken, um die meines Erachtens besten Spieler der Weltmeisterschaft der Leserschaft zu präsentieren:
Kahn (Ger), Coly (Sen), Cafu (Bra), Roberto Carlos (Bra), Ronaldinho (Bra), Ahn (Südkorea), Hasan Sas (Tür), Diouf (Sen), Rivaldo (Bra), Ronaldo (Bra), Klose (Ger)

Besonders hervorheben möchte ich die Genialität eines Ronaldo, und die schier unglaubliche Torhüterleistung eines Oliver Kahn. Die Überraschungsmannschaften dieser WM waren zweifellos Senegal, Südkorea und die Türkei. Coly und Diouf gaben dem senegalesischen Spiel eine Würze, die leider von einem überforderten Referee im Viertelfinale gegen die Türkei brutal gestoppt wurde. Die Senegalesen zeigten herzerfrischenden Fußball, und das Spiel Senegal gegen Schweden war wohl neben Brasilien gegen Costa Rica das beste des Turniers.
In den Mittelpunkt rückte ein Spieler, der in Italien meist nur auf der Ersatzbank seines Stammvereins Perugia sitzt, und gerade gegen Italien für das Golden Goal sorgte. Ahn zeigte großartigen Spielwitz, und sorgte immer wieder für Gefahr im gegnerischen Strafraum. Die Krönung eines dritten Platzes blieb den Kickern aus Südkorea versagt, weil sie gegen die Türken vollkommen unnötig nach nur elf Sekunden (WM-Rekord) einen Gegentreffer kassierten, und ansonsten in der ersten Halbzeit gnadenlos ausgekontert wurden. Die Türken ihrerseits waren zwar gegen die Brasilianer zwei Mal unterlegen, hatten mit Hasan Sas aber einen Spieler in ihren Reihen, der im brasilianischen Dress sehr gute Figur gemacht hätte. Er machte ein Traumtor gegen Brasilien, und spielte überhaupt insgesamt eine großartige WM. Für die Glanzlichter des türkischen Teams war er fast im Alleingang verantwortlich, wenngleich besonders die Leistung des türkischen Kollektivs das fachmännische Publikum überrascht haben mag. Der Sieg gegen die bedauernswerten Senegalesen kam zwar glücklich zustande; nach der verdienten Niederlage gegen die Könige dieser WM spielten sie jedoch clever einen Sieg gegen die Südkoreaner nach Hause. Für ein Unikum sorgte wohl der Stürmer Klose, der innerhalb von nur drei Spielen fünf Kopftore erzielte. Eine Leistung, die es so noch nie gegeben hatte. Die Brasilianer freilich haben neben dem genialen Ronaldo mit Ronaldinho, Rivaldo, Cafu und Roberto Carlos Spieler in ihren Reihen, die teilweise einen Fußball vom anderen Stern exerzierten. Die Mannschaft des Weltmeisters 2002 kann höchstwahrscheinlich in vier Jahren auf einige Leistungsträger nicht mehr zurück greifen. Roberto Carlos und Rivaldo werden beispielsweise schon 33 und 34 Jahre alt sein. Andererseits haben solche Spieler auch im "gehobenen Fußballalter" ihre Qualitäten, die nicht zu unterschätzen sind. Man wird sehen, wie sich dies weiter entwickelt.

Zuguterletzt ist dem Schiedsrichter Collina ein Kompliment zu machen. Der Mann wirkt ja meist sehr grimmig, aber seine Leistung war eindeutig würdig eines WM-Finales. Er ließ nichts anbrennen, und keine einzige seiner Entscheidungen war in Zweifel zu ziehen. Als Erinnerung an dieses WM-Finale 2002 zog er nach dem Ende des Spiels den Ball an sich, und ließ diesen dann von Sepp Blatter unterschreiben. Er kann ja in vier Jahren nicht bei der WM dabei sein, weil das Alter eines internationalen Referees überschritten sein wird. Es ist zu hoffen, dass er einige würdige Nachfolger finden wird. Denn abschließend ist festzustellen:
Italien wurden fünf Tore wegen angeblichem Abseits aberkannt, von denen zumindest drei keineswegs abseits gewesen waren.
Belgien wurde gegen Brasilien ein Tor wegen angeblichem Foul aberkannt, das laut Fernsehbildern nicht ersichtlich war.
Mexiko bekam nach einem klaren Hands eines Amis im eigenen Strafraum keinen Elfer zuerkannt.
Die Amis wiederum bekamen nach einem klaren Hands eines Deutschen im eigenen Strafraum keinen Elfer zuerkannt.
Die Spanier bekamen im Spiel gegen Südkorea zwei eindeutig korrekte Tore nach angeblichem Abseits bzw. Überschreiten der Toroutlinie des Balles nicht zuerkannt.
Neben diesen groben Fehlentscheidungen gab es noch viele weitere fragwürdige Entscheidungen, die den Turnierverlauf auf den Kopf stellen hätten können. Die Semifinali hätten in diesem Sinne etwa auch Brasilien gegen Senegal, und Spanien gegen USA lauten können. Ein Finale Brasilien gegen Spanien hätte sicher für mehr Zündstoff gesorgt als der letztlich eindeutige Sieg der Brasilos gegen in ihrem letzten Spiel immerhin gut spielende deutsche Akteure.

(Sportla)