Gabriele Wolff
Das nachstehende Interview mit der Autorin des preisgekrönten Kriminalromans "Das dritte Zimmer" wurde am 26. April 2004 von Klemens Taplan per E-Mail geführt.
Klemens Taplan: Sie haben Jura
studiert, mehrere Jahre als Rechtsanwältin gearbeitet und sind heute als
Oberstaatsanwältin in Neuruppin tätig. Wann haben Sie Ihre Liebe zur
Schriftstellerei entdeckt?
Gabriele Wolff: Mit zehn oder elf Jahren.
Da las ich Karl May und wusste, dass ich das auch einmal sein wollte: der Lehrer
meiner Leser. Einen eigenen Kosmos erfinden, der den Leser ins Buch hineinzieht.
Damals habe ich meine erste Geschichte geschrieben, die leider verschollen ist.
Sie war gebührend exotisch. Sie handelte von der Freundschaft zwischen einem
kleinen schwarzen Jungen und einem berittenen weißen New Yorker Cop, die sich im
Konflikt bewährt.
Wie bekommen Sie zwei anspruchsvolle Tätigkeiten,
Ihren Hauptberuf und Ihren Nebenberuf, unter einen Hut? Liefert Ihre Tätigkeit
als Oberstaatsanwältin die notwendigen Ideen für Ihre
Krimis?
Tagsüber arbeite ich im Hauptberuf, Nachts und am Wochenende, früher auch schon
mal während des Urlaubs, schreibe, lese, maile, forsche ich. Diese freie Arbeit
ist Erholung von der fremdbestimmten des Berufes, der mir wi ederum atmosphärisches
Material und Themen liefert, das sich in Literatur verarbeiten lässt.
Fühlen Sie sich dem Genre
"Kriminalroman" verpflichtet?
Ja. Es gibt kaum ein Drama ohne
Todesfall, und auch in der Literatur geht es um die Haltung zur Welt, zur Liebe,
zum Tod und zum Sterben. Der Kriminalroman als Form führt diese Tradition fort,
wobei die durch einen Mordfall erzeugte Spannung (vielleicht? hoffentlich!) das
Leserinteresse auch an Themen weckt, die es ohne diesen Kunstgriff schwer
hätten, wahrgenommen zu werden.
Der Friedrich Glauser-Preis ist der
bedeutendste Preis für deutschsprachige Kriminalliteratur. Ich gratuliere Ihnen
recht herzlich zu diesem Preis! Welche Bedeutung hat er für
Sie?
Eigentlich hat er eine meiner Illusionen gerettet, nämlich die,
dass nicht alles auf dieser Welt von Marktmechanismen bestimmt ist. Nur die
Glauser-Jury sichtet tatsächlich nahezu die gesamte Krimiproduktion; alle
anderen Instanzen, die für die Wahrnehmbarkeit von Büchern sorgen, richten sich
nach Präsenz in den Buchläden, nach der Anzahl von erschienenen Rezensionen, dem
Bekanntheitsgrad und der interessanten Vita der Autoren, nach dem kommerziellen
Erfolg, nach der Durchschlagskraft von Werbekampagnen etc. Durch diesen Rost
fallen Bücher, die in kleinen Verlagen erscheinen, nur allzu häufig. Was nicht
heißt, dass diese Bücher schlechter sind als andere, die mehr Wahrnehmung
erlangen.
Besonders die Frauen (Laura Lennart, Friederike Weber, ...)
erscheinen in "Das dritte Zimmer" selbstbewusst und aktiv. Ist
Gleichberechtigung heute auch in der realen Welt
selbstverständlich?
Ja. Aber nur bis zu einer gewissen unsichtbaren
Grenze, die unterhalb der eigentlichen Führungspositionen verläuft. Ansonsten
ist weibliches Selbstbewusstsein im Privaten so selbstverständlich geworden,
dass es zu einer nachhaltigen Verunsicherung der Männerwelt geführt hat. Meine
ich, beobachtet zu haben. Weshalb Männer dann auch gerne in die Arbeitswelt
flüchten, in der, jedenfalls an der Spitze, noch eher die alte "Ordnung"
herrscht.
Ist das milde Urteil am Ende dieses Romans ein Sieg der
Gerechtigkeit?
Ja, für mich schon. Denn der, der die Täterin unter
Druck gesetzt hat, in seinem Sinn erfolgreich zu sein, und derjenige, der ihr
beruflich und privat schadete, und ihr dadurch die Idee eingab, nie wieder Opfer
sein zu wollen, haben nur moralisch gefehlt und können nicht strafrechtlich
belangt werden. Das Urteil stellt also, indem diese Bedingungen berücksichtigt
werden, materiell Gerechtigkeit her, berücksichtigt man dann noch, dass das
Opfer ebenfalls nicht "schuldlos" war. Schreiben ist eben auch
Wunscherfüllung.
Das "dritte" Zimmer hat für Lennart Vosswinkel eine
besondere Bedeutung. Es hat etwas mit seinen persönlichen Problemen zu tun. Die
Ursache wird geklärt. Der Zusammenhang zur Haupthandlung ist mir nicht klar
geworden. Gibt es eine Verbindung?
Diese Verbindung ist
merkwürdigerweise einigen nicht klar geworden. Lennart beginnt seine "Therapie",
die in der Regression in die Kindheitswelt mit ihren übermächtigen Verboten,
Strafen, Ängsten, mächtigen Elternfiguren besteht, weil er bemerkt hat, dass er
der Welt zu defensiv gegenübersteht, angezogen zwar von starken Frauen, aber
ihnen - wie auch den Hierarchien in seiner Berufswelt - nicht gewachsen. Rückzug
und Ironie sind seine erwachsene Reaktion, also gesparter Gefühlsaufwand.
Das ist, im Falle eines Falles, kein brauchbares Rezept, was der Leser und auch
er selbst merkt, als er beschließt, den Dr.
Faustus-Pakt mit der Macht einzugehen. Es gibt da eine Lektüre zum Thema
Macht, die er sich zumutet, auf S. 132: die Sucht nach Macht als Ausdruck eines
Ich-Defizits, als Infantilität, als fortdauerndes Kämpfen aus der Erfahrung
früher Unterlegenheit. Das ist bei ihm so, und das macht ihn anfällig für die
Suggestionen, die Monika Herbst ihm vermittelt.
Diesen Urgrund muss er betreten. Aber Autoren sind nicht die
Berufensten, die eigenen Werke zu interpretieren, und ich dachte, dass diese
Befreiung im eigentlichen "dritten Zimmer" der Kindheit, die ihn erst liebes-
und lebensfähig macht, sich schon von selbst erklärt. Nun ja.
Das
Thema "Machtmissbrauch" ist (nicht nur) in Deutschland immer wieder aktuell.
Funktionieren unsere inneren Kontrollmechanismen hinreichend?
In
hierarchischen Systemen mit einer übergeordneten politischen Leitung gibt es
keine, das ist das Problem. Und wenn es welche gibt, werden sie von der Politik
ausgeschaltet und durch willfährige externe Kommissionen ersetzt - Bob Woodward
hat darüber gerade ein erhellendes Buch geschrieben: wie es gegen jeglichen
Sachverstand zu einer Kriegsentscheidung kommen konnte, die eben
politisch/ideologisch/religiös gewollt, aber rational nicht zu begründen war.
Die Presse als Kontrollmechanismus versagt ebenso, da es ihr im Wesentlichen auf
Auflagensteigerung ankommt.
Sie haben die Bürokratie im Westen und im
Osten Deutschlands kennen gelernt. Gibt es aus Ihrer Sicht heute noch
wesentliche Unterschiede?
Nein. Nicht die geringsten!
Ein
Ausspruch von Dr. Wenz in "Das dritte Zimmer" (Zitat: " ... Können Sie nicht ein
einziges Mal kurz und knapp aufschreiben, was der Minister wollen soll?"), gibt
für mein Verständnis mit wenigen Worten die Situation im Ministerium wieder und
ist zugleich - je nach Perspektive - humorvoll und ernst. Würden Sie dem
zustimmen?
Ja! Humor, der ja nichts mit Witzischkeit zu tun hat oder
mit Blödelei, entsteht aus einer klaren und oft niederschmetternd
desillusionierenden Wahrnehmung von Realität, die aber ohne die Fähigkeit, sich
durch Lachen von ihr zu distanzieren, sie klein zu halten, nicht zu ertragen
wäre. Ich bin nun mal so. Selbst auf traurigsten und erschütterndsten
Beerdigungen entgehen mir komische Momente nicht ...
"Das dritte
Zimmer" enthält mehrere markante Charaktere mit hohem Wiedererkennungswert. Wird
die sympathische Kriminalbeamtin Friederike Weber noch in weiteren Krimis
vorkommen?
Mit Friederike Weber ist mir etwas Merkwürdiges passiert.
Sie war eigentlich als bloße ermittelnde Nebenfigur angelegt, nahm aber immer
mehr Raum ein und wuchs mir ans Herz. Ich glaube schon, dass sie noch mehr
machen möchte. Sie hat so eine zupackende Art, der auch ich mich kaum entziehen
kann. Mal sehen.
Vielen Dank für das Interview.