Interview mit Gregor Seferens,
dem preisgekrönten Übersetzer aus dem Niederländischen, u.a. der Werke Harry Mulischs


sandammeer: Wie und wann hat es sich ergeben, dass Sie begonnen haben, die Bücher von Harry Mulisch zu übersetzen?
Gibt es eines, das Sie als Ihr Lieblingsbuch bezeichnen würden?


Gregor Seferens: Seit Mitte der Achtziger Jahre war ich ein Mulisch-Leser. Nach dem Erfolg von "Die Entdeckung des Himmels" fand ich, es sei an der Zeit, den deutschen Lesern auch ein so epochales Werk wie "Het stenen bruidsbed" zugänglich zu machen. Es gab bereits eine Übersetzung aus dem Jahr 1960, doch die war angestaubt. Ich habe also darüber mit dem Hanser Verlag korrespondiert, und Christoph Buchwald, der zuständige Lektor, hat mir schließlich die Übersetzung anvertraut. Das war gar nicht die Intention meiner Initiative, denn ich hatte vorher - abgesehen von einem am Ende erfolgreichen Antrag auf europäisches Patent - noch nie etwas aus dem Niederländischen oder einer anderen Sprache übersetzt. Da ich aber diesen Roman in und auswendig kannte und auch schon wissenschaftlich darüber gearbeitet hatte, habe ich mir die Arbeit zugetraut. Und so ist 1995 "Das steinerne Brautbett" erschienen, meine erste literarische Übersetzung überhaupt. Natürlich ist dieser Roman auch eines meiner Lieblingsbücher von Harry Mulisch.

sandammeer: Weisen die Übersetzungen von Mulisch-Texten besondere Charakteristika auf? Gibt es eine Passage, die Sie schwierig zu übersetzen fanden?
Wie hat sich die Übersetzerarbeit mit Harry Mulisch gestaltet? Da Harry Mulisch gut Deutsch konnte: Gab es Diskussionen um verschiedene Übersetzungsvarianten zwischen Ihnen?


Gregor Seferens: Mulisch hat wiederholt darauf hingewiesen, dass er keine Bücher schreibt, sondern ein Œuvre. Und tatsächlich bilden seine Werke durch vielfältige Querverweise, immer wiederkehrende Themen und Motive eine Art literarischen Kosmos, den man kennen sollte, wenn man ein Buch von ihm übersetzt. Und vielleicht ist das eine Schwierigkeit bei der Arbeit an seinen Büchern, dass man sich ein wenig mit antiker Kosmologie, mit ägyptischer Mythologie, mit der Urknall-Theorie, mit Alchimie und Philosophie auskennen sollte. Wenn ich Fragen hatte, hat er mir immer Auskunft gegeben. In meine Arbeit eingemischt hat Mulisch sich nie. Da gab es, wie mir berichtet wurde, ein großes Vertrauen seinerseits. Mir gegenüber hat er einmal gesagt, er habe genaugenommen von "Siegfried" die niederländische Übersetzung angefertigt. Da der Roman in Wien spiele, eigentlich ständig deutsch gesprochen werde und auch das im Roman vorkommende fiktive Tagebuch von Eva Braun ursprünglich in deutscher Sprache abgefasst sei, habe ich aus seinem Text das Original rückübersetzt.

sandammeer: Haben Sie vielleicht eine kleine Mulisch-Anekdote oder Mulisch-Erinnerung für sandammeer?
Zeigte Harry Mulisch irgendwelche exzentrischen Verhaltensweisen wie viele seiner Figuren? Merkte man ihm den "Bürgerschreck" schon von Weitem an?


Gregor Seferens: Wenn Harry ein Bürgerschreck war - und ich kann mir vorstellen, dass er in den Sechziger Jahren und vielleicht auch noch später als ein solcher empfunden wurde -, dann lag das vor allem an der Schreckhaftigkeit des Bürgertums. Auch habe ich ihn nie als exzentrisch empfunden. Dass er Wert auf gute Kleidung legte, wurde ihm manchmal vorgehalten, doch seine Art, sich zu kleiden, hatte nichts Dandy- oder gar Geckenhaftes. Ich habe ihn als einen überaus freundlichen, höflichen, charmanten, alles andere als dünkelhaften Menschen erlebt. Für mich verkörperte er in gewisser Weise den egalitären Geist der Sechziger und Siebziger Jahre. Als ich in Harrys Gesellschaft Bekanntschaft mit dem ehemaligen niederländischen Außenminister Hans van Mierlo und dem noch amtierenden Präsidenten der Europäischen Zentralbank Wim Duisenberg machte, da stellte er uns einander ganz selbstverständlich jeweils mit Vornamen vor.

sandammeer: Bei meinen Recherchen habe ich keine deutschsprachige Mulisch-Biografie entdeckt. Gibt es überhaupt eine? Wenn nicht: Welche niederländische würden Sie empfehlen?
Und ist eine deutsche Übersetzung von "De ontdekking van Moskou" zu erwarten?


Gregor Seferens: Es gibt weder eine deutschsprachige noch eine niederländische Biographie, die diesen Namen verdient. Lesenswert und interessant ist, was Mulisch selbst über seine Familie und Jugend in "Mijn getijdenboek" geschrieben hat. Was "De ontdekking van Moskou" angeht, sind wir im Gespräch.

sandammeer: Haben Sie mit Harry Mulisch auch einmal über Karl May diskutiert? Und sind Sie auf besondere Rezeption von dessen Erzählung "Der Boer van het Roer" aus dem Erzählband "Auf fremden Pfaden" in den Niederlanden gestoßen?

Gregor Seferens: Wir haben über Karl May gesprochen, den Harry wohl für eine, ob ihrer überbordenden Phantasie, kuriose Figur hielt. In seinem Roman "De verteller" von 1970 spielt Karl May eine gewisse Rolle. Was Mays in Südafrika handelnde Erzählung angeht, so hat es 1887 eine niederländische, den Verfasser nicht nennende Übersetzung im Verlag "De Katholieke Illustratie" gegeben, die wohl nach der 1879 in der - ebenfalls katholisch ausgerichteten - Zeitschrift "Deutscher Hausschatz" erschienenen Fassung angefertigt wurde. 2006 ist ein Reprint dieser Übersetzung im Privatdruck erschienen. Nach 1962 gab es eine Art "Werkausgabe" in den Niederlanden, die auf den mehr oder weniger stark bearbeiteten Texten des Karl May Verlags basierte, die im Zuge der Übersetzung noch einmal bearbeitet wurden. Im 50. und letzten Band tauchte auch eine Neuübersetzung von "Der Boer" auf, diesmal unter dem Titel "De koning der Zoeloe's" ("Der König der Zulus"). Dass eine dieser Übersetzungen - wegen des Niederlande-Bezugs des Textes - eine besonders intensive Rezeption ausgelöst hätte, ist mir nicht bekannt. Auch in den Niederlanden liebten die Leser vor allem Winnetou, Old Shatterhand und Kara Ben Nemsi.

sandammeer: Vielen Dank für das Interview!


Das von Doris Krestan geführte Interview entstand per E-Mail im Mai 2016.