Interview mit Andrzej Sapkowski |
sandammeer:
"Narrenturm" spielt
im Schlesien des frühen 15. Jahrhunderts. Was hat Sie dazu bewogen, die
Handlung zeitlich und örtlich dort anzusiedeln?
A. Sapkowski: Als Fantasy-Autor war ich bereits versiert im Bereich
"Mittelalter". Fantasy ist ja ein typisches Mittelalter-Genre, da gibt
es Schwerter, Rüstungen und so weiter. Also unterschied sich dieser Rahmen
nicht so sehr von der Fantasy, die ich bisher geschrieben hatte. Das war ja
historische Fantasy oder phantastische Historie, so kann man das auf
verschiedene Weise interpretieren. Jedenfalls wollte ich, als ich die Idee zum
Buch hatte, über das Mittelalter schreiben. Und zwar über die Hussitenkriege.
Denn ich glaube, diese Periode war sehr wichtig für Europa, für Polen,
Tschechien und Deutschland. Und sie war nicht so ausgeschöpft wie andere
Themen. Es gab Fachliteratur über die Hussitenkriege, aber praktisch gar keine
Belletristik. Ich dachte mir, das ist eine Chance für mich: Ich schreibe darüber,
und die Leute werden sagen, das ist etwas Neues.
sandammeer: Ihr Roman lässt sich keinem
Genre zuordnen - oder aber mehreren: historischer Roman, Phantastik (Fantasy),
Schelmenroman. Bietet dieser Genre-Mix Ihrer Meinung nach die Möglichkeit, den
Fantasy-Roman einem breiteren Leserkreis zugänglich zu machen?
A. Sapkowski: Na ja, das glaube ich, deshalb habe ich es doch gemacht. Aber zuordnen
kann man ihn natürlich sehr deutlich: Es gibt die so genannte historische
Fantasy. Die Vertreter der Fantasy haben zwar behauptet: "Ach, ein Subgenre
..." So kann man es sagen. Die historische Fantasy ist ein Subgenre, also
Fantasy, die in einem echten historischen Rahmen spielt: Die Daten stimmen, die
Personen stimmen, die Zeitperiode stimmt perfekt, und dazu kommen die
Fantasy-typischen Phantasieelemente wie Magie, Zauberer, Elfen und so weiter.
Diesem Genre kann man den "Narrenturm" zuordnen - vielmehr: man
muss. Natürlich stellt sich immer die Frage: Wie viel Gin macht Martini?
Hemingway zum Beispiel hat nur wenig Wermut in den Gin gegossen. Also: Mehr
Magie oder weniger Magie? Ich habe mehrere Fans in Polen, die mich absolut dem
Fantasy-Genre zuordnen. Andere meinen, "Der Narrenturm" sei ein
historischer Roman. Ich sage: Nein, es ist historische Fantasy - es enthält
zu wenig Magie. Wie gesagt, wie viel Gin macht Martini?
sandammeer: Beim Lesen des
"Narrenturms" wird der Leser zusammen mit dem Protagonisten, Reinmar
von Bielau, mit einer Fülle von philosophischem, religionstheoretischem und
mythisch-mystischem Gedankengut konfrontiert. Reinmar verliert nicht selten die
Orientierung. Die Parallele zur Gegenwart ist sicher kein Zufall?
A. Sapkowski: Nein, es ist natürlich kein Zufall. Und das finden manche Leute
mangelhaft. Mittelalter ist Mittelalter, und die Leute damals konnten kaum über
solche philosophische Dinge reden, weil man sie nicht kannte. - Aber das ist
mein Stil, ich habe das im "Hexer"-Zyklus schon so gemacht, und diesen
Stil werde ich einfach nicht los. Vielleicht reden die Figuren zu viel, aber das
macht mir Spaß; wenn ich lese, mag ich Bücher, die mit Dialog vollgepackt
sind. Das liest sich meiner Meinung nach besser.
sandammeer: Schlesiens Geschichte ist
voller Brüche. Polen, Deutsche, Böhmen und Österreicher kämpften in der
Vergangenheit um das Land. Sehen Sie Ihren Roman als eine Chance, aufgrund der
offensichtlichen historisch-kulturellen Gemeinsamkeiten das Verständnis
zwischen den Völkern zu fördern, die einst um die Macht in Schlesien stritten?
A. Sapkowski: Geschichte ist Geschichte. Es ist ein historischer Fakt, dass in diesen
Zeiten - im 14. und 15. Jahrhundert - Schlesien ein Teil des tschechischen Böhmen
war. Es war also sehr lange ein Land der tschechischen Krone. Natürlich waren
Schlesien und Böhmen zu dieser Zeit sehr stark germanisiert. Bis heute gibt es
sogar in Tschechien Orte, die mit zwei Namen benannt sind, deutsch und
tschechisch. Viele Leute verwenden heute noch die deutschen Namen von manchen Städten
und Dörfern. Natürlich ging die Geschichte weiter. Als die tschechische Krone
nicht mehr so stark war, nämlich nach der Schlacht am Weißen Berg im 30-jährigen
Krieg, kamen die Preußen nach Schlesien. Es gab dann auch weiterhin Konflikte,
zum Beispiel mit Österreich. Das Land Schlesien hatte nie Glück. Es gab ständig
neue Machthaber. Was soll man sagen: Geschichte ist Geschichte, und das muss man
auch so verstehen.
sandammeer: Sicher, aber es ist doch so,
dass in Ihrem Roman neben den Kriegshandlungen auch die kulturelle Verbundenheit
dieser verschiedenen Völker durchscheint.
A. Sapkowski: Ja, wie ich sagte, gehörte Schlesien im 15. Jahrhundert zur
tschechischen Krone. In Schlesien regierten Herzöge aus der Piasten-Dynastie,
also mit polnischen Wurzeln. Aber niemand von ihnen sprach Polnisch, sie
sprachen alle Deutsch! Im Buch sagen die polnischen Schiffer zu Reinmar:
"Du bist Deutscher!" Er wehrt sich: "Nein, ich bin
Schlesier!" Aber er spricht und denkt deutsch.
sandammeer: Vielleicht auch dank Polens
EU-Beitritt wird die polnische Gegenwartsliteratur zunehmend häufiger ins
Deutsche übersetzt. Welche neuen Impulse können polnische Autoren dem
deutschen Buchmarkt vermitteln?
A. Sapkowski: Na, das ist keine Frage für mich, ich bin kein Kritiker. Ich kann nur über
meine bescheidenen Erfolge sprechen. Ich glaube, der Beitritt zur Union ändert
in diesem Feld gar nichts. Und ich bin absolut sicher, dass Autoren wie
Stanislav Lem oder Kapuscinski und andere, die in Polen erfolgreich sind, schon
lange auch mit ihren deutschen Übersetzungen Erfolg hatten. Wird das mehr
werden? Wohl nicht, denn die Europäische Union ist eine politische Erscheinung.
Sie wird schon einiges ändern, aber doch nicht allzu sehr.
sandammeer: Sie waren ursprünglich in der
Wirtschaft, im Außenhandel tätig. Wie fanden Sie zum Schreiben - und zur
Fantasy?
A. Sapkowski: Das weiß niemand so genau, auch ich nicht (lacht).
Es war einfach so, dass ich mich in der Branche auskannte1). Ich war
als Kaufmann beruflich oft im Ausland, sogar jedes Jahr in Frankfurt, auf der
Pelzmesse, denn ich war in der Pelzbranche tätig. Dann, eines Tages, habe ich
in einem Fantasy-Journal gelesen - Neue Phantastik -, dass es ein
Preisausschreiben für Erzählungen gibt. Ich weiß bis heute nicht, warum, aber
ich habe die Erzählung geschrieben. Das war "Der Hexer". Ich habe den
dritten Preis gewonnen. Im Handel hatte "Der Hexer" Erfolg, mehr
sogar, möchte ich sagen, als die beiden Erzählungen, die den ersten und den
zweiten Preis gewonnen hatten. Der Erfolg war so groß, dass ich mir sagte:
Okay, schreiben wir noch einen Band und noch einen und noch einen ... Jedenfalls
war mir die Fantasy-Literatur sehr gut bekannt, ich war praktisch ein
Spezialist. Das Genre war damals nicht so populär in Polen, es herrschten noch
die alten, schlechten Zeiten in Polen mit ihren ganz anderen wirtschaftlichen
und politischen Bedingungen. Und Fantasy galt bei den damaligen Machthabern als
etwas dekadent. Science Fiction konnte man lesen, das hatte mit Wissenschaft zu
tun, mit Ökonomie, war also etwas für kluge Leute. Fantasy war dekadent, somit
etwas für dumme Leute. Außer Tolkien, der in der polnischen Übersetzung schon
in den 60er Jahren herausgegeben worden war, hatten wir absolut nichts. Sogar
von Ursula Le Guin wurde nur der elfte Band herausgebracht. Ich dachte, wenn ich
Fantasy schreibe, betrete ich Neuland. Damit hatte ich nicht gerechnet. Ich
hatte auf Reisen westliche Fantasy gekauft, hielt mich für einen Spezialisten
und dachte, die Leute würden große Augen machen. Aber das war nicht wahr: Die
Leute kannten Fantasy über Tolkien hinaus! Das heißt, diese Kenntnisse waren
zwar keine Stufe zum Erfolg, aber der Umstand, dass ich das Buch überhaupt
geschrieben habe.
sandammeer: Das heißt, der Wettbewerb
wirkte als Auslöser, doch das Publikum war schon da ...
A. Sapkowski: Natürlich, und die Beliebtheit hat sich
angeglichen; Science Fiction und Fantasy verkaufen sich in Polen etwa fifty-fifty.
Man kann also nicht sagen, dass klassische Science Fiction beliebter wäre oder
aber typische Fantasy wie Tolkien
oder Harry Potter
- das ist gleich gewichtet.
sandammeer: Im deutschsprachigen Raum stößt "Narrenturm"
bereits kurz nach dem Erscheinen der deutschen Ausgabe auf große Begeisterung.
Wann etwa dürfen Ihre Fans mit der Übersetzung des zweiten Bandes der Trilogie
rechnen?
A. Sapkowski: Der zweite Band wird, glaube ich, sehr
bald erscheinen. Schon vor zwei Jahren wurde er in Polen herausgegeben, und
Frau Samborska2) ist sehr aktiv bei der Arbeit, sie ist wohl fast
fertig. Das Problem ist der dritte Band, den ich noch nicht geschrieben habe.
Ich gebe zu, da bin ich ziemlich faul. Aber ich werde mich bessern!
sandammeer:
Darauf hoffen wir! Vielen Dank für das Interview!
1)
Sapkowski erläutert das im weiteren Verlauf seiner Antwort.
2) Barbara Samborska, die Übersetzerin.
Das Interview führte Regina Károlyi am 19.10.2005.