Bernhard Hennen
Das nachstehende E-Mail-Interview mit dem Autor wurde im April 2005 von lostlobo geführt.
Elf Fragen über
die Elfen
1) lostlobo: Im Heyne-Verlag ist eine Reihe von "Geschichtsbüchern" über
Rassen aus dem Fantasy-Kosmos erschienen: Orks, Zwerge, Drachen, etc. Warum
haben Sie sich für die Elfen entschieden? Gibt es ein Naheverhältnis zu diesen
spitzohrigen Ästheten?
Bernhard Hennen: Meine Beziehung zu den Elfen beginnt mit meinen ersten Fantasypublikationen
vor 15 Jahren. Schon damals ging es in einem Zyklus von Rollenspielabenteuern
um die Geheimnisse des Elfenvolkes. Mein Elfenbild ist geprägt durch eine Spannung
zwischen sich angezogen fühlen und abgestoßen sein. Elfen verkörpern für mich
die Utopie des vollkommenen Menschen. Geschöpfe, die mit sich und ihrer Welt
in Harmonie leben und denen es offen steht, sich in allen Lebensbereichen zur
Vollkommenheit zu entwickeln. So kann jeder, der sich mit einem Elfen misst,
nur scheitern. Ein Quell für starke Gefühle. So schwanken die nichtelfischen
Protagonisten des Romans zwischen Eifersucht, Bewunderung, Hass und Mitleid.
Und mit der Zeit lernt man die Schwächen jener kennen, die stets das Vollkommene
wollen, und stets das ... Doch das soll hier ein Geheimnis bleiben.
2) Wie sah die Arbeitsteilung mit James Sullivan in
"Die Elfen"
aus? Wer zeichnet wofür verantwortlich?
Wir haben unsere Arbeit begonnen, indem wir uns auf die Suche nach all
den unterschiedlichen Elfenbildern der Mythologie und Literatur gemacht haben.
Daraus entwickelten wir unser eigenes Elfenbild, bei dem manches vertraut ist,
wir uns aber auch die Freiheit für viele neue Deutungen nehmen, wie zum
Beispiel den Jenseitsglauben unserer Langohren. Als nächsten Schritt
entwickelten wir eine detaillierte Zusammenfassung des Romans und legten fest,
welche Kapitel aus wessen Erzählperspektive geschrieben wurden. Jede der
Romanfiguren wurde dann erzählerisch strikt von einem Autor bedient. So stammt
zum Beispiel Mandred aus meiner Feder. Doch auch in diesem Punkt mag ich "Die
Elfen" nicht all ihrer Geheimnisse berauben.
3) Betrachtet man z.B. die Zusammensetzung der
sieben Teilnehmer der
Elfenjagd, wird man unwillkürlich an Rollenspiele erinnert. Sieben Spezialisten
und Spezialistinnen, vom Fährtenleser, über den Barbarenkrieger bis zur
Elfenzauberin. Holen Sie sich Anregungen in klassischen Fantasy-Rollenspielen?
Da James und ich beide über viele Jahre Rollenspiele gespielt haben,
sind solche Einflüsse natürlich nicht von der Hand zu weisen. Sieht man sich
aber eine irdische Jagdgesellschaft an, so wird man eine Vielzahl von
Spezialisten finden: Treiber, Hundeführer, Jäger etc. Für eine Fantasywelt
gehört dieses Personal dann noch entsprechend ausgebaut, um die von unserer
irdischen Welt abweichenden Möglichkeiten zu nutzen.
4) In England gibt es die so genannten
"ley lines", Kraftlinien, die
Orte mit der Endung -ley in einer Art "heiliger Geometrie" verbinden sollen.
Die "Albenpfade", auf denen Ihre Helden in "Die Elfen" weite
Entfernungen überbrücken, sind ebenfalls verborgene Energielinien, die, wenn
sie sich in "Albensternen" kreuzen, Portale in andere Wirklichkeiten öffnen.
Je stärker der Albenstern, desto sicherer wird die Reise durch ihn, je
instabiler, desto größer wird die Gefahr, jenseits von Raum und Zeit verloren
zu gehen?
Wie kam es zu dieser Idee? Ist es eine Analogie der Fantasy zu den
Wurmlöchern der Science-Fiction - gewissermaßen "Star Trek" auf
den "Herrn der Ringe" umgemünzt? Oder aber kommt ein Glauben an ganz
irdische Kraftlinien zutage?
An die SF-Varianten der "ley lines" hatte ich nicht gedacht. Die
Geschichten um irdische Kraftlinien sind mir aber wohl bekannt, und es ist kein
Zufall, wenn man diesbezüglich Parallelen in "Die Elfen" findet. Ganz
bewusst beziehen wir uns auch auf fairy-tales aus dem angelsächsischen Raum, in
denen Steinkreise als Tore in andere Welten auftauchen. Ebenso findet man die
verwunschenen Wälder aus Feenmärchen und ähnliche Elemente, die mit Feen und
Elfen verbunden sind.
5) In der zweiten Hälfte der
"Elfen" spielt das Thema
Reinkarnation eine wichtige Rolle. Nuramon erfährt von seiner früheren
Existenz, Noroelle lebte schon einmal als Aileen, Farodins Frau, usw. Wie halten
Sie es selbst mit der Vorstellung der Reinkarnation? Glauben Sie, schon als
andere Person gelebt zu haben? Ihrem Talent nach vielleicht als Barde ...?
Nein, ich glaube nicht an die Reinkarnation. Ich finde es aber ein äußerst
reizvolles Thema für Geschichten und habe schon seit längerem das Konzept für
einen Thriller in meiner Schublade, in dem es um Reinkarnationstherapie geht.
Das Thema wird also gewiss auch in Zukunft in meinen Erzählungen auftauchen.
6) Anhand der Vita des Heilers Guillaume zeigen Sie, wie Geschichtsfälschung
und Propaganda zu religiösem Wahn führen können, wie Fakten auf dem Altar des
Dogmas geopfert werden. Soll das Beispiel der fanatischen Tjured-Ritter eine
politische Warnung vor fundamentalistischen Ideologien, vor Kreuzzügen, abgeben?
Ich bin kein Kreuzritter auf einer Mission. Die Ambivalenz von
Wahrheit ist aber eines der großen Themen meiner Romane. Deshalb liebe ich es,
mehrere personale Erzählstränge in meinen Geschichten anzulegen und
verschiedene Blickwinkel auf die vermeintliche Wahrheit zu liefern. "Die
Elfen" bot hier noch eine fantastische neue Möglichkeit, mit der
Vielschichtigkeit von Wahrheit zu arbeiten. Dadurch, dass sich die erzählte
Zeit über einen Zeitraum von 1000 Jahren erstreckt, bot es sich an, Zeit als
einen zusätzlichen verzerrenden Faktor in der Überlieferung von Wahrheit
einzuführen. Mit dieser Variante wird besonders in den fiktiven Quellen
gespielt, die in den Roman eingearbeitet sind. Natürlich ist die auch eine
Anspielung auf irdische Verhältnisse. So ist mir als Historiker sehr bewusst,
wie fragwürdig unser Bild von Geschichte in Bezug auf viele Epochen ist. So
stammen zum Beispiel fast alle überlieferten schriftlichen Quellen zu den
Karthagern aus der Feder römischer Autoren. Unser Bild über dieses antike
Imperium ist also in vielen Facetten durch die Betrachtung seiner Todfeinde geprägt.
Wie wahr wird also das sein, was man in Schulbüchern über Karthago liest?
7) Die von Ihnen beschriebene Stadt Iskendria erinnert stark an das
antike Alexandria: (die umfangreiche Bibliothek, das griechische Feuer), und
Tildanas kann wohl als Wortspiel für Atlantis betrachtet werden. Auch der
orientalische Baalskult mit seinen Kindsopfern taucht in abgewandelter Form auf.
Mögen Sie es, dem Leser auf diese Weise Parabeln aus der "realen"
Geschichtsschreibung und Mythologie zu geben oder ist dies nur literarisches
Stilmittel?
Es gehört eindeutig zu meinen Vorlieben, mehr oder weniger verdeckte
Bezüge auf unsere irdische Welt einfließen zu lassen. Gerade Iskendria ist
hier ein gutes Beispiel dafür, wie verschiedene Elemente zu einem neuen Bild
zusammengefügt werden. Die Gräber an den Zufahrtsstraßen der Stadt sind ein
Bezug auf die Begräbnispraxis im antiken Rom, Iskendria selbst bezieht sich
architektonisch und vom Flair des städtischen Lebens auf die Großstädte des
hellenistischen Orients, allen voran Alexandria. Wohingegen die beschriebene
Opferzeremonie in vielen Details Bezug auf römische Überlieferungen zum
Untergang von Karthago nimmt. Dieses Spiel mit irdischen Bezügen findet sich
auch auf anderen Ebenen, so orientieren sich die Ortsbeschreibungen im 2.
Kapitel am Topos des locus amoenus,
des "vollkommenen Ortes", so wie man ihn in mittelalterlicher Lyrik findet.
Die fiktiven Quellen wiederum lehnen sich an den verschiedensten Formen
irdischer Quellen an und imitieren auch deren Sprache und stilistische
Besonderheiten. Hier findet man Bezüge auf Logbücher, nordische Sagas,
mittelalterliche Chroniktexte etc. Über all diesen literarischen Spielereien
steht aber als eherne Regel, dass die Handlung des Romans unabhängig von diesen
Details jederzeit verständlich bleibt und der Leser nicht das Gefühl
vermittelt bekommt, dass ihm wesentliche Ebenen der Geschichte verborgen
bleiben. Alle versteckten Bezüge haben vor allem den Zweck, ein wissendes
Schmunzeln bei jenen zu provozieren, die sie entdecken.
8) Wie sehen Sie J.R.R. Tolkiens Werk? Stören Sie Vergleiche mit dem
Altmeister? Gerade wenn man an die beseelten und weisen Baumriesen in "Die
Elfen" denkt, fallen einem die Ents aus "Der Herr der Ringe"
ein.
Ich denke, man kann zurzeit keinen Fantasy-Roman schreiben, ohne an
Tolkien gemessen zu werden. Man muss also hinnehmen, dass man verglichen wird,
und kann nur hoffen, dass man nicht allzu schlecht abschneidet. Natürlich gibt
es auch Anklänge an Tolkiens Mittelerde. Bei der Menge von Stoffen, die er in
seinem Gesamtwerk bearbeitet hat, ist es so gut wie unmöglich, einen
Fantasy-Roman zu schreiben, in dem nicht Elemente vorkommen, die man auch bei
Tolkien findet. So sind die beseelten Bäume schon ein wenig eine Hommage an
Tolkien, auch wenn sie bei uns fest verwurzelt bleiben. Ebenso war es unser
Ziel, so wie Tolkien das Gefühl zu vermitteln, dass hinter unserer Erzählung
eine ganze Welt steht, mit einer Fülle von Details, bei denen der vorliegende
Roman zunächst nur an der Oberfläche kratzt.
9) Stichwort Tolkien. Bei einigen Fantasy-Autoren und Autorinnen wird
bewusst auf die von J.R.R. erfundenen Elbensprachen Sindarin oder Quenya Bezug
genommen. Ihre Elfen sprechen offensichtlich eine andere Sprache. Ein bewusster
Kontrapunkt?
Hier haben wir uns allein schon deshalb von Tolkien abgesetzt, weil
wir uns nicht in den Fallstricken des Urheberrechts verfangen wollten. Sindarin
und Quenya sind Schöpfungen Tolkiens, so wie auch die Hobbits. Elfen hingegen
gab es schon vor ihm. Wir haben der Konstruktion unserer elfischen Namen ein
grob gezimmertes Gerüst zu Grunde gelegt, um die Einheitlichkeit einer Sprache
zumindest im Ansatz zu simulieren. Auf diesem Gebiet mit Tolkien konkurrieren zu
wollen, der viele Jahre in die Entwicklung seiner Elfensprachen gesteckt hat, wäre
jedoch töricht.
10) In Ihrem Buch
"Nebenan" kommt die Dryade Neriella vor. In "Die Elfen" heißt die Hauptheldin Noroelle. Verbirgt sich dahinter möglicherweise
eine Hommage an eine reale Menschenfrau ähnlichen Namens? Die große Liebe, für
die Sie Albensterne durchschreiten würden?
Noroelle und Neriella haben nur klangliche Übereinstimmungen. Sie
sind auch kein ferner Spiegel einer wirklichen Person. Allerdings muss ich
gestehen, dass sich in meinen frühen Romanen durchaus Heldinnen finden lassen,
für die ich durch Albensterne gegangen wäre.
11) Am Ende von
"Die Elfen" sinniert Nuramon über die Reise
ins "Land jenseits des Wassers". Planen Sie eine Fortsetzung des Elfenepos?
Einige Fragen sind ja noch offen: 'Was geschah mit den Alben?', 'Können
auch Menschen ins Mondlicht eingehen?', usw.
Zurzeit schreibe ich an einem Roman mit dem Arbeitstitel
"Elfenwinter". Es wird also mit den Elfen weitergehen, doch geschieht dies
auf etwas unkonventionelle Weise. In "Elfenwinter" erzähle ich keine
Geschichte, in der es nach dem Schlusspunkt in "Die Elfen" einfach
weitergeht. Da "Die Elfen" eine Geschichte erzählt, die sich über rund
1000 Jahre erstreckt, sind viele interessante Ereignisse im Roman nur
angerissen. Man begegnet Figuren, die einem ans Herz wachsen und die durch die
Zeitsprünge, zu denen es immer wieder beim Durchschreiten der Albensterne
kommt, im Strudel der Geschichte verloren gehen. Von einem dieser "verlorenen
Helden" wird "Elfenwinter" handeln,
denn dort erzähle ich, wie Alfadas Mandredson zum König des Fjordlandes wurde.
Vielen herzlichen Dank für
das Interview!