Foto: Regina Károlyi |
Interview mit Andreas Hartmann,
Autor von "Der Herr der Wolken" |
Sandammeer: Herr Hartmann, Sie sind mindestens in einer Hinsicht ein außergewöhnlicher Autor: Zur Veröffentlichung von "Der Herr der Wolken" kam es nicht, nachdem Sie Ihr Manuskript klassisch beim Verlag eingereicht hatten oder über einen Literaturagenten, sondern Sie gewannen damit den letztjährigen "rotfuchs-Fantasy-Schreibwettbewerb". Welche Geschichte hat das Manuskript: Lag es bereits fertig in Ihrer Schublade, oder haben Sie es verfasst, nachdem Sie vom Wettbewerb erfahren hatten?
A. Hartmann: Ein solches Manuskript verfasst man, glaube ich, nicht, wenn man von einem Wettbewerb erfährt. Dazu reicht dann die Zeit nicht. Das Manuskript war fertig, lag in der Schublade und harrte seiner zukünftigen Bestimmung. Denn ich hatte das Gefühl, dass es, wenn ich es "so", ungefragt, an Verlage schicke, untergehen würde in einer immensen Flut und einer immensen Belastung der Verlagsmitarbeiter, die dafür zuständig sind.
Ich wusste einfach nicht, was damit passieren sollte. Dann erfuhr ich von diesem Wettbewerb und dachte, ich kann es einfach dort hinschicken. Ob das Manuskript dadurch im Verlag mehr Aufmerksamkeit bekäme als ein ungefragt eingereichtes, wusste ich nicht. Es wurde ja damals sozusagen vom Verlag um Einsendungen gebeten.
Sandammeer: Sie befassen sich beruflich - als technischer Übersetzer und Lektor - viel mit Büchern, aber eine solche Arbeit hat nicht unbedingt viel mit Belletristik und kreativem Schreiben zu tun. Wann und wie kam das Bedürfnis in Ihnen auf, sich selbst als Autor zu betätigen?
A. Hartmann: Die Reihenfolge war anders. Ich hatte mit dem Manuskript angefangen und kam durch Zufall zum technischen Schreiben und zum PR-Schreiben, und ich glaube, ich hätte diese Brot-Jobs, also das technische Schreiben und das PR-Schreiben, nicht machen können, wenn ich nicht den Ausgleich gehabt hätte. Wenn ich mich außerhalb des beruflichen Alltags nicht auf diese Weise beschäftigen würde, dann wäre ich vermutlich ganz schnell die Wände hochgegangen.
Sandammeer: Aber "Der Herr der Wolken" ist Ihr erstes veröffentlichtes Belletristik-Manuskript?
A. Hartmann: Ja, genau.
Sandammeer: Das Problem, das Ihre Protagonisten Tolig und Moguwol zu lösen haben, rührt daher, dass ein böser Magier den Stein vom Ausgang des Wolkensees weggenommen hat. Da nun unaufhaltsam die Wolken aus dem Wolkensee dringen, drohen dem angrenzenden Land Bilan und der gesamten von Ihnen entworfenen Fantasy-Welt ein ständig düsterer Himmel und Dauerregen. Die Idee ist im Grunde so einfach wie genial. Wie sind Sie darauf gekommen?
A. Hartmann: Das war in Irland. Dort gibt es extrem hohe Klippen. Eines Tages stand ich auf einer dieser Klippen und blickte auf das Meer. Diese Klippen sind so hoch, dass sogar die Möwen unter einem fliegen; man hat über sich keine Vögel mehr. Dort oben fühlt man sich ziemlich schwerelos und guckt auf die Welt herunter, und dadurch, dass scheinbar alles unter einem liegt, hat man das Gefühl, man könne nicht mehr höher hinaus. Da in Irland auch immer die Wolken ziemlich tief hängen, hat man auf den Klippen das Gefühl, man bräuchte bloß die Hand auszustrecken und könnte die Wolken berühren. Dieses Gefühl war der Auslöser.
Sandammeer: Ist das auf dem Buchumschlag gut wiedergegeben, der ja eine solche Szene zeigt?
A. Hartmann: Jetzt, wo Sie es sagen ... Das ist mir bisher gar nicht aufgefallen, weil der ursprüngliche Impuls, zu schreiben, inzwischen so lange zurückliegt und sich die Geschichte auch immer wieder mal verändert hat. Aber: stimmt.
Sandammeer: Wie haben Sie die Charaktere entwickelt? Diese wirken so authentisch und sind so individuell gezeichnet, dass man annehmen möchte, Sie hätten Vorlagen aus dem "wahren Leben" gehabt.
A. Hartmann: Das ist größtenteils Zufall. Der Magier Moguwol und der Junge Tolig waren einfach da. Ich war in Irland gewesen und hatte immer noch die Erinnerung an diese Klippen in mir, das hat wirklich gegärt. Welche Geschichte ich erzählen wollte, wusste ich noch nicht, aber ich hatte ein Gefühl für diese Geschichte und hörte eine Erzählstimme. Zu dieser Erzählstimme, stellte ich fest, würde ein Junge passen, und mir war relativ früh klar, was für ein Junge das ist, wie er aussieht, was er möchte, was er erwartet. Und dann war mir auch klar, wie der Magier zu sein hat. Es gab andere Figuren wie den bösen Magier, die erst relativ spät dazukamen. Aber das war gar nicht so schwierig, weil die Welt stand, die Personen standen, und ich musste nur noch jemanden finden, der dazu passte. Das ging relativ einfach - ich hoffe, es geht immer so einfach ...
Sandammeer: Haben Sie die Handlung, die ja durchaus recht komplex ist, vorskizziert, also genau geplant, oder ergab sie sich spontan beim Schreiben?
A. Hartmann: Die Story hat sich in der Tat noch mal geändert. Ich hatte eine Version fertig und stellte immer wieder fest, dass ich etwas umstellen musste. Und dann hatte ich immer noch nicht das Gefühl, dass die Geschichte zwingend ist, dass sie von A über B nach C läuft. Also habe ich mehrmals umgearbeitet, sodass es ein relativ langwieriger Prozess war, bis ich überzeugt war, dass es eine Geschichte war, die rund ist und auch funktioniert.
Sandammeer: Da in Bilan, dem Land, in dem Ihr Roman spielt, ein Gesetz den Magiern Gewaltanwendung untersagt, müssen der Magier Moguwol und der Junge Tolig statt dessen ihren Verstand und ihre Intuition einsetzen - ein gutes Signal für Kinder. Auch Loyalität und Respekt vor Menschen, die anders sind als man selbst, spielen eine große Rolle. Welche weiteren Werte möchten Sie mit Ihrem Buch den Lesern auf den Weg geben?
A. Hartmann: Ich glaube nicht, dass ich unmittelbar erziehen möchte mit dem Buch. Gar nicht. Natürlich fließt mein Denken und Empfinden mit in das Buch ein, meine Wertvorstellungen, meine Ideen, meine Träume, meine Ängste. So entstanden bestimmt Passagen, in denen es auch um die Frage geht, wie Erwachsene mit Kindern umgehen oder umgehen sollten, oder wie Kinder sein dürfen. Aber es ist nicht mein Ziel, Gesellschaftskritik zu betreiben oder die Gesellschaft wachzurütteln. Schön wäre es, wenn es liefe, wie Sie es gerade beschrieben haben: Man liest die Geschichte, ist sozusagen in ihr drin und lässt sich doch von ihr zum Nachdenken anregen.
Sandammeer: Haben Sie eigentlich selbst Kinder oder Zugang zu Kindern? - Weil das Buch so gut an die Zielgruppe angepasst ist.
A. Hartmann: Wir erwarten ein Kind ¹. - Jein. Kinder sind Teil der Gesellschaft, ein Teil, der, wie ich finde, oft zu kurz kommt, oder dem zu wenig Beachtung geschenkt wird. Kinder dürfen oft nicht richtig dabei sein oder nur ausnahmsweise. Es ist nicht so, dass ich Kinder zu Hause hatte oder in der Verwandtschaft oder anderweitig von Kindern umgeben wäre. Paul Maar hat mal etwas Schönes gesagt: dass er in erster Linie für das Kind in sich selbst schreibt. Das habe ich erst vor Kurzem gelesen, und es hat mir sehr gefallen, denn mir ist klar geworden, dass das ganz gut passt.
Sandammeer: Bücher welcher Autoren haben Sie als Kind gern gelesen? Hat Sie das beim Finden "Ihres" Genres beeinflusst, oder kamen Sie auf andere Weise zur Fantasy?
A. Hartmann: Beeinflusst wurde ich, glaube ich, eher von vielen. Ich habe als Kind sehr viel quer Beet gelesen, klar, die Klassiker wie Max Kruse, Otfried Preußler; eigentlich möchte ich gar keine Namen nennen, weil ich dann das Gefühl habe, ich vergesse andere, die ebenso wichtig waren, die mir aber jetzt gerade nicht einfallen.
Fantasy - das hat sich einfach für die Geschichte ergeben. Das war eine Welt, eine Umgebung, die für die Geschichte notwendig war. Ich habe mich nicht hingesetzt und beschlossen, eine Fantasy-Geschichte zu schreiben, sondern ich hatte ein Gefühl für diese Geschichte und das, was darin vorkommen sollte, und da war mir bereits klar: Das musste in einer Fantasy-Welt passieren.
Es ist nicht gesagt, dass meine nächste Geschichte auch in einer Fantasy-Welt spielt. Ich glaube, es gibt Bücher, die vor zwanzig Jahren einfach als Abenteuerromane liefen, die könnte man heute sofort als Fantasy einordnen, zum Beispiel
Otfried Preußlers "Krabat". Das hätte man damals auf keinen Fall als Fantasy bezeichnet, heute wäre das problemlos möglich.
Das Genre ist also, denke ich, eher der Geschichte geschuldet.
Sandammeer: Den Schluss des Buchs haben Sie so abgefasst, dass eine Fortsetzung denkbar ist. Gibt es diesbezüglich bereits Pläne? Wenn nicht, arbeiten Sie gerade an einem anderen Manuskript?
A. Hartmann: Ich arbeite gerade an einem anderen Manuskript, einer Vampirgeschichte. Das heißt allerdings nicht, dass Fantasy für mich abgearbeitet wäre und ich darin nicht mehr schreiben würde. Letztendlich weiß ich auch noch nicht, welche Geschichten in Zukunft auf mich zukommen werden. Die werden dann die Welt bestimmen, in der sie stattfinden.
Fantasy bietet einem unendlich viele Möglichkeiten; man kann das gestalten, was man für die Geschichte braucht.
Zum anderen Teil Ihrer Frage; denkbar ist eine Fortsetzung. Ich drücke es mal ganz dreist aus: Wenn das Buch so gut läuft, dass Rowohlt sagt, man könnte noch einen zweiten Teil hinterherschieben, und die Idee ist da, dann gerne! Die Figuren sind mir definitiv ans Herz gewachsen.
Sandammeer: Sandammeer.at bedankt sich für das Interview und wünscht Ihnen für die Zukunft weiterhin viel Erfolg und alles Gute!
Das Interview wurde am 18.10.2008 auf der Frankfurter Buchmesse am Stand des Rowohlt-Verlags von Regina Károlyi geführt.
¹) Herrn Hartmanns Frau war beim Interview ebenfalls anwesend.
Zum Buch: "Der Herr der Wolken"
Der kleine Tolig wird von einem
riesigen Raubvogel in das weit entfernte Bilan verschleppt. Nachdem er sich aus
dem Nest des roten Greifes befreien kann, wird er von den Bilanern als lange
gesuchter Held und Retter des Landes gefeiert. Denn Rigul, ein mächtiger und böser
Magier, hat den Stein von der Mündung des Wolkensees fortgerollt, und die
Regenwolken bedrohen die Welt mit ewiger Dunkelheit. Gemeinsam mit dem Zauberer
Moguwol und seinen streitlustigen Begleitern, dem sprechenden Wanderstab und
Teekessel, macht sich Togul auf eine gefährliche Reise, um den Kampf gegen
Rigul aufzunehmen und den Wolkensee wieder zu verschließen. Auf dem langen Weg
begegnen sie der geheimnisvollen Pflanzenfrau Irenn, den ängstlichen Hinzlingen,
einem in der Wüste gestrandeten Seefahrervolk und einer schlafenden Riesin. Und
auch wenn Moguwol sich unnahbar und unwirsch gibt, muss er schließlich
feststellen, dass der mächtige Rigul ohne die Hilfe von Tolig nicht zu besiegen
ist. (rororo Rotfuchs) Zur
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