Foto: Regina Károlyi |
Interview mit Esmahan Aykol
über ihren Kriminalroman Esmahan Aykol wurde 1970 in Edirne (Türkei) geboren. Die
studierte Juristin hat unter anderem als Journalistin und Barkeeperin
gearbeitet. Heute ist sie hauptberufliche Autorin.
|
Sandammeer: Frau Aykol, "Scheidung auf Türkisch"
ist Ihr neuer Krimi mit der Protagonistin Kati Hirschel, einer deutschstämmigen
Frau, die in Istanbul einen Krimiladen betreibt. Mit "Hotel Bosporus"
begann diese Reihe, die mittlerweile drei Romane umfasst. Wie entstand die Figur
Kati Hirschel? Gab es eine Person, die Pate stand?
Esmahan Aykol: Zwei Personen sogar: eine deutsche Freundin von mir,
die lange in Istanbul gelebt hat, und eine türkische Freundin, die eine
Buchhandlung auf der Istiklal-Straße, der Fußgängerzone in Istanbul,
betreibt. Kati Hirschel ist eine Mischung aus beiden. Als ich vor neun Jahren
nach Deutschland kam, hatte ich die Idee, über kulturelle Unterschiede zwischen
Deutschen und Türken zu schreiben, und dachte anfangs, dass ich über meine
Erfahrungen schreiben würde, eine Türkin in Berlin. Aber dann fand ich die
Idee doch nicht so spannend, und ich kam auf den Gedanken, eine Deutsche nach
Istanbul zu schicken, die perfekt Türkisch spricht, und so entstand Kati
Hirschel.
Sandammeer: Das ist
wirklich außergewöhnlich. "Eine Türkin in Berlin", lag das nicht näher?
Esmahan Aykol: Das wurde schon oft gemacht. Viele Migranten haben
über ihre Erfahrungen in Deutschland geschrieben, und ich dachte, das wäre
nicht so spannend.
Sandammeer: Und wie
kamen Sie auf die Idee, die "Scheidung auf Türkisch" zugrunde liegt?
Der im modernen Istanbul angesiedelte Roman befasst sich zum Einen mit dem Thema
Homosexualität, zum Anderen mit den Restriktionen, denen jüngere Menschen,
insbesondere Frauen, in der Familie ausgesetzt sind - vor allem, wenn auch noch
Standesunterschiede hinzukommen. Basiert Ihr neues Buch auf realen Vorfällen?
Esmahan Aykol: Ich kam auf die Idee, als ich die Biografie der
Ehefrau Mustafa Kemal Atatürks gelesen habe. Atatürk war vor ihr mit einer
entfernten Verwandten zusammen, er heiratete dann aber Latife, und die entfernte
Verwandte erfuhr von dieser Heirat ein Jahr, nachdem sie stattgefunden hatte.
Daraufhin hat sie sich umgebracht. Oder vielmehr ist es bis heute nicht klar, ob
sie sich selbst umgebracht hat oder aber von Männern getötet wurde, die Atatürk
nahestanden.
Und als ich diese Passage in der Biografie von Atatürks Ehefrau gelesen hatte,
dachte ich: Könnte ich nicht auch über eine Frau schreiben, die unter solchen
Umständen zu Tode kam? Natürlich hat sich die Geschichte dann weiter
entwickelt, es kamen die Homosexualität und die Klassenunterschiede hinzu.
Meistens stammen meine Ideen von einem Satz, der mir beim Lesen eines Buches
oder einer Zeitung begegnet oder beim Reden mit Freunden, und dann entwickeln
sich diese Ideen mit der Zeit zu kleinen Nebengeschichten.
Sandammeer: Wie wurde
das durchaus etwas gesellschaftskritische Buch in der Türkei aufgenommen?
Esmahan Aykol: Wenn man Gesellschaftskritik in Romanen versteckt,
ist das nicht so gefährlich, denke ich. Orhan Pamuk zum Beispiel wurde nicht
wegen seiner Romane vor ein Gericht gebracht, sondern wegen seiner Äußerungen
vor einer Zeitung.
Sandammeer: Und Yaşar
Kemal?
Esmahan Aykol: Yaşar Kemal auch nicht. Dass er vor Gericht
kam, lag an einem Artikel, der im "Spiegel" erschienen war.
Doch, in einem Roman kann man Gesellschaftskritik sehr gut verstecken, besonders
in meinem Genre, dem Krimi. Man macht es mit Leichtigkeit, mit Humor, und dann
wird es nicht so ernst genommen.
Sandammeer: Nun
begannen Sie Ihre berufliche Laufbahn ja sicherlich nicht mit dem Entschluss,
eine Belletristik-Autorin zu werden. Ihre Biografie liest sich spannend und
nicht unbedingt geradlinig. Bitte umreißen Sie, was Sie bisher beruflich
gemacht haben, und wie Sie zu einer in der Türkei und in Deutschland
erfolgreichen Belletristik-Autorin wurden.
Esmahan Aykol: Ich habe in der Türkei Jura studiert und während
des Studiums bei verschiedenen Zeitungen und auch beim Fernsehen und Rundfunk
gearbeitet. Eigentlich habe ich alles gemacht. Ich war zehn Jahre lang
Journalistin; nachdem ich das Studium beendet hatte, habe ich mit einer Freundin
eine Bar eröffnet, danach habe ich zwei Monate als Anwältin gearbeitet und
festgestellt, dass das nichts für mich ist. Aber die juristische Theorie mochte
ich und mag sie immer noch. Also wollte ich an der Uni Karriere machen. Dann
habe ich meinen Mann - meinen jetzigen Ex-Mann - in Istanbul kennen gelernt. Er
war in Deutschland aufgewachsen, und wir haben uns entschlossen, zusammen nach
Deutschland zu gehen.
Ich wollte Deutsch lernen. Deutsch ist wichtig für Juristen, weil unser
Zivilgesetz aus der Schweiz stammt, und unser Strafgesetz stammt zum Teil aus
Deutschland. So ergab es sich, dass ich erst Deutsch gelernt und dann mit der
Promotion begonnen habe. Nachdem mein erster Roman erschienen war, habe ich mit
der Promotion aufgehört. Seit mittlerweile vier oder fünf Jahren schreibe ich
nur noch.
Sandammeer: Es war aber wohl nicht so, dass Sie sich hingesetzt haben mit dem Entschluss, ein
Manuskript zu verfassen und nie wieder etwas anderes zu machen?
Esmahan Aykol: Am Anfang habe ich gleichzeitig promoviert und
Romane geschrieben und dabei festgestellt, dass ich viel lieber Romane schreibe
als eine Doktorarbeit.
Sandammeer: Als Juristin bringen Sie natürlich eine gute Voraussetzung zum Krimischreiben mit.
Esmahan Aykol: Das Jurastudium ist ein sehr gutes Studium und hilft
sehr, weil man sich diszipliniert; man lernt, wie man über zehn Stunden am Tag
schreibt. Man eignet sich eine andere Disziplin an als in anderen Berufen.
Sandammeer: Ich meinte
die Frage auch dahingehend, dass Sie Ihr Fachwissen im Krimi-Genre sehr gut
einsetzen können.
Esmahan Aykol: Ja. Ich habe viel von meinem Wissen in diesem Roman
verwendet. Ich kenne die Gesetzeslage in der Türkei,
das war sehr praktisch.
Sandammeer: Da Ihre Kati-Hirschel-Krimis sehr authentisch wirken, vermitteln Sie
Ihren deutschen Lesern natürlich ein bestimmtes Bild von Istanbul und der Türkei
als Ganzem. Sehen Sie sich lediglich als eine Autorin, die ihren Lesern
Unterhaltung und Spannung bieten möchte, oder auch als eine Art kulturelle
Botschafterin, die zwischen den Kulturen vermittelt? Immerhin repräsentiert
Kati Hirschel ja auch ein bisschen Deutschland in Istanbul.
Esmahan Aykol: Wenn ich schreibe, denke ich
nicht an so etwas. Ich habe keine Mission, zum Beispiel Menschen zu erziehen
oder ein Bild zu vermitteln. Es geht mir darum, eine Geschichte möglichst gut,
möglichst spannend zu erzählen, sonst gar nichts. Ich denke, die Hauptaufgabe
der Literatur ist Unterhaltung.
Sandammeer: Sie haben einen weiteren, ebenfalls bei Diogenes erschienen Roman
verfasst, "Goodbye Istanbul", dessen Protagonistin von Istanbul nach
London geht, um Abstand von einer unglücklichen Liebe zu gewinnen. Werden Sie
die Kati-Hirschel-Reihe fortsetzen oder sich in eine neue Richtung orientieren?
Esmahan Aykol: Im Moment schreibe ich an
zwei Romanen, beide ohne Kati Hirschel, und ich habe auch eine Idee mit Kati
Hirschel. Ich werde beides machen: Roman-Romane schreiben, wie ich es nenne,
aber auch Kriminalromane.
Manchmal, wenn ich in Istanbul auf der Straße bin, versetze ich mich in Kati
Hirschel und sehe die Umgebung mit ihren Augen. Ich glaube, ich kann ohne sie
nicht leben. Das hört sich komisch an ...
Sandammeer: Nein, gar nicht. Das ist doch ein Zeichen dafür, dass Sie die Romane mit
Ihrem Herzblut geschrieben haben, wie man so sagt. Bei der Lektüre spürt man
das auch.
Dieses Jahr ist die Türkei Gastland der Frankfurter Buchmesse, eine gute
Gelegenheit, nach Berührungspunkten auch in der Literatur beider Länder,
Deutschland und der Türkei, zusuchen. Sie sind mit beiden Ländern vertraut.
Nennen Sie uns Ihre türkischen und Ihre deutschen Lieblingsautoren?
Esmahan Aykol: Orhan Pamuk lese ich sehr gerne und auch Ahmet Hamdi
Tanpinar, der dieses Jahr übrigens auch ins Deutsche übersetzt wurde; die Bücher
sind bei Hanser und im Unionsverlag erschienen1). Auch Sait Faik lese
ich gerne sowie Gedicht von Nazim Hikmet.
Von den deutschen Schriftstellern mag ich zum Beispiel Ingrid
Noll; Erich Maria
Remarque habe ich seit meiner Kindheit sehr gerne gelesen, der übrigens nach
meinem Eindruck in Deutschland nicht so gut angesehen ist.
Sandammeer: Ich glaube, er ist in Deutschland einfach zu wenig bekannt.
Esmahan Aykol: In der Türkei eigentlich auch. Ich habe ihn durch
Zufall entdeckt und dann alle seine Bücher gelesen.
Sandammeer: Sandammeer.at bedankt sich für das Interview und wünscht Ihnen für die Zukunft weiterhin
viel Erfolg und alles Gute!
Das Interview wurde am 16.10.2008
auf der Frankfurter Buchmesse am Stand des Diogenes-Verlags von Regina Károlyi
geführt.
1) Es
handelt sich um folgende Titel:
Ahmet Hamdi Tanpinar: "Das Uhrenstellinstitut"
Das Selbstporträt eines türkischen Mannes ohne Eigenschaften: Hayri Irdal ist
bereits als Kind von Uhren fasziniert. Durch die Begegnung mit dem Lebenskünstler
Halit wird er plötzlich zu einem einflussreichen Menschen. Gemeinsam gründen
sie das Uhrenstellinstitut, einen gigantischen und doch ganz und gar überflüssigen
Verwaltungsapparat, der für die korrekte Einstellung sämtlicher Uhren im Land
zu sorgen hat.
"Das Uhrenstellinstitut" steht gleichrangig neben klassischen Werken
der Weltliteratur. Es ist möglicherweise der bedeutendste Roman der Türkei im
20. Jahrhundert - mit Sicherheit ist es der komischste. (Hanser)
Buch
bei amazon.de bestellen
Ahmet Hamdi Tanpinar: "Seelenfrieden"
Der junge Historiker Mümtaz hat eine geradezu osmotische Beziehung zu der
alten, vom Verfall bedrohten Sultansmetropole: zu ihren Bauwerken, zum Basar
voller rätselhafter Dinge, zur Poesie, zur klassischen Musik. Als er Nuran
kennenlernt, erwacht in dieser Liebe einen Sommer lang der Zauber der alten
osmanischen Kultur zu neuem Leben. Bis eines Tages der todkranke Suat,
Studiengefährte und Rivale von Mümtaz, auftaucht und diese Liebe zerstört.
Tanpinars Roman hat Kultstatus gewonnen. (Unionsverlag)
Buch
bei amazon.de bestellen